Ist es selbstverständlich, für einen guten Job umzuziehen?

vom 02.05.2015, 18:42 Uhr

Im Beitrag Wird es irgendwann Ehe ohne Versorgungsregelungen geben? hatte ich geschrieben, dass ich nicht für einen Job umziehen würde. Da stellte jemand die Frage, was denn ist, wenn ein Partner in einer anderen Stadt einen neuen Job angeboten bekommt, ob denn der andere da nicht mitziehen sollte. Ich finde nein.

Ein Umzug ist ja eine große Belastung, man muss sein bisheriges Umfeld verlassen und manche wollen das einfach nicht. Ich würde auch lieber arbeitslos oder länger arbeitslos bleiben anstatt wegzuziehen. Trotzdem wird ja in unserer Gesellschaft oft angenommen, dass Menschen für Jobs einfach mal so umziehen, als hätte man keine Wurzeln und als sei man eine Figur auf einem Schachbrett, die dann eben mal ein Feld weiterrückt.

Warum wird es als selbstverständlich angesehen, dass Leute wegen einem Job umziehen sollen? Ist das nicht ein Zeichen für die zunehmende Entmenschlichung unserer Gesellschaft, sodass wir als kleine Arbeitsroboter betrachtet werden?

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ja, es ist so, dass man bei bestimmten Berufen möglicherweise umziehen muss, wenn man einen neuen Job bekommt. Das liegt einfach daran, dass es bei Spezialisten nur wenige Firmen gibt, die solche Leute brauchen. Und die sind natürlich nicht alle an dem selben Fleck. Es gibt zwar auch Zentren, wo es mehrere Firmen gibt, aber wenn man dort nicht wohnt, gibt es vielleicht in einem 100km-Umkreis nur ein oder zwei Firmen. Dann ist ein Umzug unvermeidlich.

Da kann man erst einmal nichts machen, wenn es einfach keine Firmen in dem Bereich gibt. Da bleibt nur umziehen oder beruflich neu orientieren. Schließlich können die Firmen nicht zu jedem einzelnen Bewerber ziehen.

Wenn man das nicht möchte, darf man einfach nicht einen solchen Beruf wählen. Es gibt genug Berufe, bei denen es quasi überall Bedarf gibt. Allerdings gilt fast überall, dass man mit höherer Qualifikation und damit in der Regel auch höherem Gehalt auch eine höhere Umzugsbereitschaft zeigen muss. Es gibt natürlich Ausnahmen. Als Unternehmer oder Freiberufler kann man sich seinen Einsatzort prinzipiell selbst aussuchen. Allerdings muss man sich da auch nach seinen Kunden richten. Wobei es ja auch Jobs gibt, bei denen man fast völlig ortsunabhängig arbeiten kann.

Gesellschaftlich sehe ich das nicht kritisch. In anderen Ländern ist so etwas ganz normal und da funktioniert es auch. Und Deutschland ist ja auch nicht so groß, das heißt es ist durchaus auch möglich, Wochenpendler zu sein. Ich kenne viele Leute, die das so machen. Durch flexiblere Arbeitsmodelle ist es ja durchaus auch möglich, dass man im Endeffekt mehr Zeit mit der Familie verbringen kann als ein Tagespendler, der jeden Tag zwei Stunden im Auto oder im Zug verbringt. Und Letzteres ist inzwischen auch schon normal.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich bin da eh nicht so festgelegt. Mir könnte man sagen, heute Abend ziehen wir nach Amerika und ich würde meine Sachen packen. Sicherlich hat man seine Wurzeln, aber die nimmt einem ja keiner. Gute Freundschaften überstehen durchaus auch viele Kilometer und solche haben wir und man kann heutzutage ja auch jederzeit wieder dorthin zurück zu Besuch.

Für meinen Partner würde ich ebenso überall hin und er würde für mich überall hin. Ein gutes Jobangebot sollte man meiner Meinung nach nicht ausschlagen und dann schauen, dass man gemeinsam in der neuen Stadt glücklich werden kann.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Für mich ist es selbstverständlich, dass ich für einen guten Job werde umziehen müssen. Ich werde schließlich zu einer handvoll Spezialisten in ganz Deutschland gehören, sobald meine Spezialisierung abgeschlossen ist. Da mein Berufszweig hier in Deutschland eher zu den Exoten gehört, hat man da auch keine andere Wahl.

Was komplett anderes wäre es im Ausland. In Großbritannien oder den USA beispielsweise ist mein exotischer Berufswunsch Standard. Dort wird das Thema in meinem Studiengang dann ausführlich behandelt und es gibt ganze Wirtschaftszweige, die sich ausschließlich mit diesem Sektor befassen. Da müsste ich vielleicht nicht unbedingt umziehen, wegen potentiellen Agglomerationsvorteilen der entsprechenden Institutionen mit den Universitäten. Hier habe ich aber gar keine andere Möglichkeit, was mich aber auch nicht im geringsten stört.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Zitronengras hat geschrieben:Ist das nicht ein Zeichen für die zunehmende Entmenschlichung unserer Gesellschaft, sodass wir als kleine Arbeitsroboter betrachtet werden?

Es ist ja nicht so, als wäre das eine ganz neue Entwicklung. Meine Urgroßeltern sind im 19. Jahrhundert geboren worden und lebten in Ostpreußen. Die sind nach dem ersten Weltkrieg aus Ostpreußen in das Ruhrgebiet gekommen, weil es dort für sie keine vernünftige Arbeit mehr gab.

Mein Vater ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren worden. Er stammt aus Süddeutschland, hat einige Jahre in Berlin gearbeitet und ist dann ebenfalls ins Ruhrgebiet versetzt worden. Als in den 1980er Jahren die Arbeitslosigkeit groß war, ist gleich die halbe Schule in andere Bundesländer umgezogen, weil es dort Arbeit gab. Wir waren dann nur noch zwischen 12 und 14 Schülern in einer Klasse.

Meine Freunde aus der Jugendzeit sind komplett über Deutschland verstreut, weil sie dort die passenden Jobs gefunden haben. Nur ein kleiner Teil lebt überhaupt noch in der Region, das war für alle völlig normal. Entweder gab es keine gute Alternative hier oder sie wurden eben versetzt. Mein Freundeskreis heute in der Umgebung stammt fast ausschließlich aus anderen Bundesländern und lebt heute wegen der Arbeit eben hier.

Und wenn ich wieder angestellt arbeiten wollte? In meinem ersten Job wäre das erste aktuelle Stellenangebot in 90 km Entfernung. Für das Pendeln mit dem Auto würde der Verdienst nicht reichen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind die Arbeitszeiten nicht vereinbar. ich müsste umziehen.

In meinem zweiten Job müsste ich wahrscheinlich das Bundesland verlassen. Ich wüsste von einer Stelle in Brandenburg, einer in Norddeutschland und einigen offenen Stellen im süddeutschen Raum. Woanders wird so etwas gerade nicht gesucht. Hoffen auf eine Stelle in der Nähe wäre wie Lotto.

In meinem dritten Job würde ich hier zwar etwas finden, aber es läge deutlich unter meiner Qualifikation. Entsprechend niedrig würde die Bezahlung ausfallen. Berlin, Frankfurt, Hamburg oder München oder gleich eine Stelle im Ausland wären da die vernünftige Lösung.

Und wenn ich meine selbstständige Tätigkeit als Angestellte ausführen wollte, dann lägen mindestens 50 km zwischen meinem Wohnort und der nächsten freien Stelle. Das hieße dann auch jeden Tag lange Pendeln, hier herrscht zu Stoßzeiten Dauerstau, oder eben umziehen.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


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