Ist ein sehr freizügiges Liebesleben heutzutage normal?
Ich habe nun schon von verschiedenen Quellen gehört, dass ein freizügiges Leben heutzutage scheinbar normal ist. Sei es mein Nachbar, der mir erzählte, dass er ab und an Leute abschleppt, die er online kennengelernt hat und sich dann mit diesen verabredet oder sei es ein anderer Bekannter von mir, der mir neulich eröffnete, dass er mit seiner Freundin eine offene Beziehung hatte und gerne auf SM-Partys ging. Irgendwie habe ich den Eindruck, dass es inzwischen normal zu sein scheint, sich so hemmungslos zu verhalten.
Selbst kann ich mir das gar nicht vorstellen. Ich finde den Gedanken, jemanden online kennenzulernen und dann gleich mit dem „aktiv“ zu werden, ziemlich abstoßend. Das kommt mir richtig primitiv vor und auch wenn Leute offene Beziehungen haben, wo jeder mal mit dem oder dem anderen oder wie er gerade will oder dass er mehrere „Freundschaften plus“ pflegen würde – das ist doch eklig.
Selbst ein guter Freund von mir, von dem ich das niemals gedacht hätte, hat mir mal offenbart, dass er auch mal jemanden online kennengelernt hatte und sich dann bei dem zu einem „Date“ getroffen hatte. Und eine Freundin von mir hat auf diese Weise mehrmals ihren Partner betrogen. Also insgesamt habe ich wirklich den Eindruck, alle um mich herum haben gar keine Hemmungen mehr und können sich gar nicht beherrschen, obwohl ich bisher nie den Eindruck hatte, dass ich von lauter triebgesteuerten Menschen umgeben wäre.
Das Schlimme ist, dass ich das manchmal von anderen gar nicht vermutet hätte. Da denkt man, man hat rechtschaffende und brave Freunde und dann erfährt man solche Dinge, die bei mir irgendwie dazu führen, dass ich mich vor dem anderen ein Stück weit ekle. Für mich ist das nämlich nicht normal, regelmäßig irgendwen abzuschleppen, ich sehe das schon irgendwie als unnormales Verhalten an.
Ist es denn heutzutage wirklich so, dass für die meisten solche „Abenteuer“ zum Leben dazu gehören? Warum sind die Menschen so verroht?
Das Verhalten anderer ist für mich nie so die Richtschnur gewesen. Wenn jemand Single ist, finde ich es auch nicht verwerflich, wenn er sich ausprobieren möchte. Jeder nach seinem Geschmack! In einer festen Beziehung finde ich ein promiskuitives Verhalten ethisch fragwürdig. Warum interessierst du dich so stark dafür, wie das Sexualleben anderer aussieht?
Ich denke, dass der Umgang damit einfach immer lockerer wird. Heutzutage ist es ja quasi normal, dass mitten am Tag Werbung für Kondome oder für Liebesspielzeug im Fernsehen kommt und dass man Letzteres auch ganz normal in der Drogerie kaufen kann. Die Gesellschaft wird in dieser Hinsicht immer offener und man muss sich nicht mehr für seine Sexualität und für seine Vorlieben schämen. Das ist doch etwas Gutes.
Ich denke, dass einerseits einfach offener darüber gesprochen wird. Zum anderen ist es heutzutage wahrscheinlich auch so leicht wie noch nie, andere Leute kennenzulernen, die die gleichen Wünsche, Vorlieben und Bedürfnisse haben. Mithilfe einiger Apps oder dem Internet kann man ja ganz einfach Leute aus der eigenen Stadt kennenlernen, mit denen man sich locker und unverbindlich noch am gleichen Tag treffen kann. Solche Möglichkeiten gab es vor einigen Jahren noch gar nicht und ich denke schon, dass das dazu führt, dass die Leute diese Chancen eben auch für sich ausnutzen.
Ich kann aber nicht so ganz nachvollziehen, weshalb dich das so bei anderen stört. Ich kann absolut nachvollziehen, dass du vielleicht keinen Partner möchtest, der ebenfalls schon sexuell einiges ausprobiert hat und vor dir sehr aktiv war. Aber ist das bei Freunden, Bekannten und Nachbarn so wichtig? Mir ist so etwas im Prinzip egal. Natürlich bin ich auch ab und zu mal überrascht, weil ich manche Menschen beispielsweise nicht so eingeschätzt hätte, aber das ändert für mich nun nicht unbedingt etwas an meiner Meinung zu ihnen und ich würde mich deshalb erst recht nicht vor ihnen ekeln.
Zitronengras hat geschrieben:Ist es denn heutzutage wirklich so, dass für die meisten solche „Abenteuer“ zum Leben dazu gehören? Warum sind die Menschen so verroht?
Auch wenn ich mich selbst nie besonders freizügig im oben beschriebenen Sinn verhalten habe, finde ich ehrlich gesagt in diesem Zusammenhang den Begriff "verroht" eher unpassend. Letztlich geht es um sexuelle Freizügigkeit, und ich finde, dass das jedem selbst überlassen ist (sofern alle direkt und indirekt Beteiligten damit einverstanden sind).
Unter Verrohung würde ich eher eine Tendenz zu Gewalt, Ausgrenzung, Missbrauch, Rücksichtslosigkeit verstehen. Aber solange man sich zu Sex und Erotik im gegenseitigen Einverständnis trifft, ist dagegen eigentlich nichts einzuwenden (wobei man zu Corona-Zeiten vielleicht eher davon absehen sollte, aber das ist ein anderes Thema).
Ich finde eher die Idee erstaunlich, dass ein sehr freizügiges Sexualleben eine moderne Erfindung sein soll. Obwohl ledige Mütter und deren Nachwuchs massive Nachteile und gesellschaftliche Ächtung zu erwarten hatten, waren schon vor 100 Jahren 20 Prozent der Kinder unehelich. Und da sind die Muss-Heiraten und die Kuckuckskinder noch nicht enthalten.
Die Nazis wollten arische Kinder und wer als SS-Offizier vier Kinder nachweisen konnte, wurde von der Lebensborn-Abgabe befreit. Ob der Nachwuchs ehelich war, das war unerheblich. Die Aufforderung, große blonde Frauen zu begatten, ist sicherlich menschenverachtend, aber eigentlich legitimierte es doch nur die gängige Praxis.
Und dass es die ganzen unvermeidlichen Ehen gab, hat sicher nicht zu glücklichen und treuen Paaren geführt. Meine Großeltern haben sich verabscheut und meine Mutter war ein Wonneproppen, der als "Siebenmonatskind" ein Jahr in der Wohnung gelassen worden ist, damit niemand die tatsächliche Zeugung vermuten konnte. Und dann Kuppeleigesetz müssten solche Sachen sehr freizügig im Freien passieren.
Früher war es nicht besser, die Folgen waren nur härter.
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