Intuitives Essen als Ernährungsumstellung
Ernährungsweisen gibt es ja mittlerweile wie Sand am Meer. Bekannt sind sicher LowCarb, LowFat oder Kalorien zählen. Vor einiger Zeit habe ich vom intuitiven Essen gehört und finde den Ansatz für Menschen mit Problemen beim Essen sehr interessant.
Es geht darum, dass man wieder anfängt, auf den Körper und seine Hungersignale zu achten. Bei vielen Menschen die Gewichtsprobleme haben, ist es ja so, dass sie z.B. emotionale Esser sind oder einfach verlernt haben auf ihre Hungersignale zu achten. Das intuitive Essen wiederum versucht Wege aufzuzeigen, wieder nur bei echtem körperlichen Hunger zu essen.
Eine Freundin, die zwar schlank, aber immer unzufrieden mit ihrem Gewicht ist, hat davon gehört und hat den Ansatz als Schwachsinn empfunden. Es sei ja normal, dass man nur isst wenn man Hunger hat. Wie seht ihr diesen Ansatz des intuitiven Essens? Ist das nur Geldmacherei oder steckt dahinter wirklich ein gutes Konzept?
Sicherlich ist das Konzept in der Theorie sehr sinnvoll, zumal in der heutigen Zeit und in unseren Breitengraden ein absolutes Überangebot an Nahrung herrscht, was sich in kontinuierlich steigenden Adipositasfällen äußert. Egal, ob ich morgens ins Büro komme, nachmittags zum Einkaufen gehe oder mich abends in der Stadt vergnüge, reizvolle Delikatessen, Keksteller und Probierhäppchen und lockende Sonderangebote sind in Hülle und Fülle vorhanden. Wenn man bei so etwas leicht schwach wird und nicht genug bekommt, isst man schnell über den eigenen Hunger hinaus.
Allerdings ist eine Ernährung wie diese nicht unproblematisch und einfach so umsetzbar, denn ungesunde Ernährungsgewohnheiten wie die unseren westlichen haben nun mal auch zur Folge, dass die körpereigene Regulation von Hunger und Sättigung gestört ist. Wer stressbedingt keine regelmäßigen Mahlzeiten über den Tag zu sich nimmt und sich dafür abends vor dem Zubettgehen zwei Teller Spaghetti einverleibt, der wird sicherlich weder ein adäquates Hungergefühl am Vormittag noch eine zufriedenstellende Sättigung nach der späten Mahlzeit verspüren.
Zuckerersatzstoffe, die heute auch weit verbreitet sind, interagieren mit dem Insulinhaushalt und ziehen nach Aufnahme schnell einen reaktiven Heißhunger nach sich, den man andernfalls nicht hätte. Und auch der permanente lustbetonte Griff ins Bonbonglas oder in die Pralinenschachtel gaukelt einem Appetit und Hunger auf mehr vor, obwohl eigentlich Belohnungsmechanismen im Gehirn dafür verantwortlich sind.
Um eine gesunde und angemessene Ernährung rein nach Intuition zu gewährleisten, muss man diese Störkomponenten erst einmal in den Griff bekommen. Sprich, man muss den Körper zu einem richtigen Rhythmus der Nahrungsaufnahme erziehen und ihn an Mengen gewöhnen, die seinem Verbrauch entsprechen. Das wiederum ist in unserem Alltag die absolute Seltenheit geworden und wird ohne langfristige und intensive Ernährungstherapie kaum alleine machbar sein.
Das Ergebnis eines Versuchs ohne Vorbereitung wäre jedoch, so fürchte ich, eher das Gegenteil von dem was man sich erhofft, nämlich mehr oder weniger unkontrollierte Essattacken und ein dauerhaftes hin und her.
Ich wiederum finde es Schwachsinn zu glauben, dass Menschen tatsächlich nur essen, wenn sie Hunger haben. Wir haben nun mal ein Steinzeithirn, das bei Fett und Zucker schreit: "Super! Vorräte anlegen! Wir wissen ja nicht, ob es die nächsten 6 Monate nur Baumrinde gibt!" in Kombination mit einem absoluten Überangebot an Nahrungsmitteln. Dazu kommen noch gesellschaftliche Zwänge, Manipulation durch die Medien (Stichwort Werbung) und der Druck, den wir uns selber machen. Von daher halte ich "intuitives Essen", wenn ich das Prinzip richtig verstanden habe, zwar ernährungstechnisch für sinnvoll, aber in der Praxis für verdammt schwer umzusetzen.
Für eine konventionelle Diät haben ja noch viele Leute Verständnis, weil Unzufriedenheit mit dem Gewicht praktisch zum guten Ton gehört. Aber Essen dient nun mal bei der überwältigenden Mehrheit der Menschen nicht nur der Versorgung des Körpers mit Treibstoff, sondern erfüllt unzählige andere soziale und kommunikative Zwecke. Was macht man beispielsweise, wenn der Chef zum Dinner bittet, aber man selber gerade keinen Hunger hat? Oder wenn die Oma extra Apfelkuchen gebacken hat, um einem eine Freude zu machen? Oder die Mittagspause im Betrieb ist um eins, man hat aber erst um zwei Hunger, und der Chef möchte keine Brösel auf dem Schreibtisch.
Ich sehe hier also interessante Ansätze, aber durchaus auch Schwierigkeiten in der Praxis. Und dazu kommt noch, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen von "schlank" nicht zwangsläufig mit den Vorstellungen des eigenen Körpers übereinstimmen. Kleidergröße 32/34 kann man auf diese Art sicher nur in Ausnahmefällen halten, wenn der Körper durch intuitives Essen versucht, sich auf eine solide 42 hochzupolstern. Ich selber esse, was mir gerade schmeckt, und lege mir keine Verbote auf mit dem Ergebnis, dass ich seit 15 Jahren die gleiche Kleidergröße habe. Offensichtlich habe ich ein solides Gleichgewicht gefunden. Ich bin nur eben nicht schlank, und das ist ja das Ziel vieler Leute.
Es ist normal nur zu essen wenn man Hunger hat? Für was ist dann die ganze Abteilung im Supermarkt mit den Chips und den Süßigkeiten da? Sicher nicht für Leute, die sich etwas zum Mittagessen kaufen wollen. Und die ganzen Eisstände im Sommer? Das Popcorn im Kino? Und der Nachtisch, der nach einer ausreichend großen Mahlzeit serviert wird?
Ich glaube viele Menschen haben in unserer Gesellschaft wirklich noch ein gutes Gefühl dafür, was ihr Körper wann wirklich braucht. Es wird ja sogar Durst mit Hunger verwechselt und Appetit mit Hunger zu verwechseln ist sowieso normal.
Ich glaube nur, dass es nicht einfach ist alte Gewohnheiten abzulegen, die man sich in vielen Jahren nach und nach angeeignet hat. Wenn man sich zum Beispiel jahrelang reflexartig irgendwas in den Mund gestopft hat sobald man auf einen Fernseher oder eine Leinwand schaut wird einem das fehlen, egal ob man Hunger hat oder nicht. Da muss man deutlich mehr als nur sein Essverhalten betrachten und ändern.
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