In Deutschland Herkunft wichtiger, als Begabung?

vom 08.09.2015, 14:48 Uhr

Heute habe ich in einer alten Folge der Sendung Nano den Satz gehört ''Herkunft ist wichtiger als Begabung''. Das soll tatsächlich für Deutschland gelten. Ehrlich gesagt hätte ich das so nicht vermutet, denn Deutschland präsentiert sich ja immer als ein so fortschrittliches Land und da möchte man meinen, dass hier auch eine gewisse Chancengleichheit vorhanden ist.

Dem ist aber offenbar nicht so. So haben Kinder von wohlhabenden Eltern nach wie vor deutlich höhere Chancen auf das Gymnasium und auch Hochschulen zu kommen. Bei Defiziten können die Eltern sich Förderkurse erlauben und die Kinder können auch an mehr kulturellen Veranstaltungen teilnehmen.

Letztendlich ist es daher wichtiger, wie viel Geld die Eltern haben, da schlaue Kinder aus ärmeren Familien einfach nicht genug gefördert werden, als dass sie je auf die Idee kommen würden, später eine Hochschule oder so zu besuchen. Und wer es doch schafft wird aufgrund eines ausländischen Namens oft schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Wie seht ihr das Problem, kann man das wirklich pauschal in Deutschland so sagen? Kennt ihr Beispiele an denen man wirklich sehen kann, dass in Deutschland die Herkunft wichtiger ist, als die Begabung?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Erst einmal ist ein Studium heutzutage nicht mehr unbedingt ein Garant für einen guten Job. Ich denke, dass man als Handwerksmeister inzwischen oftmals besser dasteht als mit einem geisteswissenschaftlichen oder sozialwissenschaftlichen Studium. Das gilt natürlich ganz besonders dann, wenn man ein eigenes Unternehmen aufbauen kann. Vom höheren Ansehen eines Akademikers - falls es das heutzutage überhaupt noch gibt - kann man sich jedenfalls nichts kaufen.

Und selbst als einfacher, ungelernter Arbeiter in einem Industrieunternehmen kann man unter Umständen mehr verdienen als in "hochqualifizierten" Berufen. Ich kann mich noch hier an eine Diskussion erinnern, in der jemand geschrieben hat, dass man als Journalist mit Studium froh sein könne, wenn man 1000 Euro im Monat verdient. In der Industrie kann man als Ungelernter mit einer 35h-Woche das Doppelte verdienen, allerdings muss man dann Schichtarbeit in Kauf nehmen.

Ob ein ausländisch klingender Name ein Nachteil ist, kann ich nicht wirklich beurteilen. Aber zumindest bei großen Unternehmen, also die attraktiveren Arbeitgeber, kann ich mir das kaum vorstellen. Teilweise wird ja sogar damit geworben, dass man multikulturelle Teams zusammenstellt.

Außerdem ist es gar nicht so wichtig, dass man auf das Gymnasium geht. Man kann auch über den zweiten Bildungsweg problemlos an die Hochschulreife gelangen und dann auf einer Fachhochschule oder Universität studieren gehen. Wenn man diesen Weg konsequent durchzieht, verliert man noch nicht einmal wirklich Zeit, hat aber dafür schon einen berufsqualifizierenden Abschluss.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Da Förderung, und damit im weitesten Sinne auch Bildung bereits im Kleinkindalter beginnt, ist es in jedem Fall eine Frage der Herkunft.

Ich würde das allerdings nicht zwangsläufig an dem Verdienst der Eltern festmachen, auch wenn ein statistischer Zusammenhang besteht. Diesen Zusammenhang halte ich deshalb für unvermeidlich, weil es für geringer qualifizierte Arbeit normalerweise weniger Geld gibt und so auch ein Zusammenhang zwischen Bildung der Eltern und der Bildung der Kinder hergestellt wird. Den wesentlich wichtigeren Punkt sehe ich allerdings in der Bildungsnähe oder -ferne der Herkunftsfamilie.

Ist sie selbst bildungsnah, so wird ihr in den meisten Fällen daran gelegen sein, auch dem Kind eine gute Bildung zu ermöglichen. Daher ist es in einer solchen Familie recht wahrscheinlich, dass das Kind von klein auf in seiner Entwicklung gefördert und unterstützt wird.

Ist die Herkunftsfamilie bildungsfern, so ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass auf die Bildung des Nachwuchses nicht so viel Wert gelegt wird. Da bleiben Förderung und Entwicklungsunterstützung oft auf der Strecke. Manchmal möchte man dort auch fördern, weiß aber mangels eigener Bildung nicht so recht, wie man es anstellen soll. Das Ergebnis ist für die Kinder das Gleiche.

Das Schulsystem, das ja immer mal wieder reformiert wird, auch um den Konnex zwischen Elternhaus und Bildungschancen der Kinder zu entschärfen, verschärft die Situation zunehmend.

Gerade erst sind wieder neue Vorschriften erlassen worden, die Schulen bestimmte Vorgaben zu Hausaufgabenerteilung macht. Im Zusammenhang mit der verkürzten Gymnasialschulzeit hat diese Regelung zur Folge, dass weniger Hausaufgaben aufgegeben werden dürfen. Das bedeutet, dass zu viel Stoff in die Stunde gepackt werden muss und weniger Wiederholung per Hausaufgabe stattfindet. Es wird allgemein dadurch eine Verschlechterung für die Stoffvermittlung erwartet.

Hier ist der Schüler mit dem schmalen Elternportemonnaie wieder gezwickt. Während die wohlhabenden Eltern dem Kind die Nachhilfe zahlen und organisieren können, haben sie das Nachsehen und müssen schauen, woher sie den Stoff bekommen.

Ich würde keinen Absolutismus vertreten, wenn es um den Zusammenhang von kindlichen Bildungschancen mit der Bildungsnähe oder dem Portemonnaie der Eltern geht. Es gibt immer rühmliche und erfreuliche, natürlich auch bedauerliche, Ausnahmen. Aber die Tendenzen sind in der Realität meiner Auffassung nach nicht zu übersehen.

» tok_tumi » Beiträge: 837 » Talkpoints: 1,20 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^