Hygiene-Wahn mancher Menschen lächerlich und unlogisch?

Ich bin neulich mit der Bahn nach der Arbeit nach Hause gefahren. Neben mir saß in der Bahn eine junge Frau, die Nagellack getragen hat, der teilweise abgeblättert ist. Auch trug sie diversen Fingerschmuck. Gleichzeitig hatte sie aber einen ziemlichen Hygiene-Wahn und rieb ihre Hände sehr gründlich mit einem feuchten Desinfektionstuch ab. So intensiv, wie sie das getan hat, wirkte sie auf mich schon irgendwie unlogisch und die ganze Handlung hatte das lächerliches.

Welchen Sinn hat es, die Hände zu desinfizieren, wenn man dabei so schlampig vorgeht? Denn die Keime sitzen auch in den feinen Rissen des Nagellacks und unter dem Handschmuck sowieso. Findet ihr den Hygiene-Wahn mancher Menschen auch so lächerlich und unlogisch? Sprecht ihr die Menschen dann darauf an oder behaltet ihr eure Gedanken für euch?

Du schreibst ja schon selber von "Wahn" beziehungsweise Zwang, und damit lieferst du dir im Prinzip die Antwort auf deine Frage, ob solche Verhaltensweisen unsinnig und übertrieben sind. Es handelt sich bei solchen Phänomenen nicht selten um manifeste psychische Erkrankungen, und natürlich sind die damit verbundenen Gewohnheiten irgendwo krankhaft ausgeprägt. Ein unlogisches und einschränkendes Ausmaß sind dabei feste Diagnosekriterien.

Bei Waschzwängen beispielsweise ist den Betroffenen sogar selber klar, dass ihre Handlungen unnatürlich und übersteigert sind, aber ihr innerer Widerstand ist einfach nicht stark genug, um die Impulse zu unterdrücken. Sie leiden sogar richtig darunter, dass sie diese repetitiven Rituale ausführen müssen. Es gibt auch psychotische Erkrankungen, die mit übermäßiger Hygiene einhergehen, wobei die Patienten dabei eher der Überzeugung sind, völlig korrekt zu handeln.

Natürlich ist nicht jeder Hygienefimmel automatisch psychopathologisch, und nicht jeder ordentliche Mensch ist zwangsgestört oder wahnhaft. Solange man im Alltag nicht wesentlich eingeschränkt wird und keinen wirklichen Leidensdruck hat, ist keine Diagnosegrundlage gegeben. Übertreiben kann man es trotzdem, aber da steht es meiner Meinung nach Außenstehenden nicht wirklich zu, Urteile zu fällen oder Kritik zu üben. Seine Macken und Gewohnheiten hat schließlich jeder, und wir alle sind dabei nicht immer super konsequent und rational. Daher würde ich so etwas auch nicht ansprechen, wenn es mir auffällt, es sei denn es nimmt wirklich hoch auffällige Züge an.

Ich war ja nun nicht in der Situation anwesend, aber die einmalige gründliche und nachhaltige Benutzung eines Desinfektionstuchs finde ich wie hier geschildert gar nicht mal wahnhaft oder unlogisch. Natürlich wird sie nicht denselben Effekt erzielen, als hielte sie ihre Hände für zehn Minuten in Bleiche, aber es wird den Großteil der Keime schon reduzieren, wenn man es gründlich macht.

Und selbst wenn dann noch ein einsamer Keim irgendwo am oder unter einem Ring sitzt, wird der vermutlich nicht gerade für irgendeine wie auch immer geartete Infektion sorgen, dafür ist der Infektionsdruck dann viel zu gering. Im Gegensatz dazu, wenn man gerade in der Bahn alle möglichen Knöpfe und Griffe berührt hat und übersät mit Bazillen ist.

Ich kann es natürlich nun auch nicht sagen, wie die Situation auf mich gewirkt hätte, aber wenn sie wirklich sehr gründlich die Hände sauber gemacht hat, dann kann ich mir schon vorstellen, dass das auch krankhaft war und sie nichts dagegen machen konnte. Es gibt ja doch einige Menschen, die einen Waschzwang oder so etwas haben.

Ich kann es mir vorstellen, dass es für solche Menschen dann auch nicht wirklich leicht ist, mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein. Somit war dieses Desinfizieren der Hände dann vielleicht eine Handlung, um sich dabei wohler zu fühlen. Wie es auch immer sei, ich würde einen anderen Fahrgast in einer solchen Situation sicher nicht ansprechen, weil es mich ja auch nichts angeht, ob das Verhalten logisch ist oder nicht.