Hochrangigen Leuten gegenüber eingeschüchtert sein

vom 25.04.2015, 20:30 Uhr

Ich hatte neulich beruflich mit einer Chefärztin zu tun. Über das, was ich beruflich machen musste, sind wir auch etwas ins Plaudern gekommen. Sie hatte mir nämlich berichtet, dass sie mit ihrer Tätigkeit nicht so ganz zufrieden ist, weil sie von gewissen Hierarchieebenen des Krankenhauses doch viele Vorgaben erhält, die sie nicht immer als sinnvoll erachtet und dass sie daher auch einen beruflichen Wechsel anstrebt oder dass sie es zwar mag, in ihrer Position in gewisser Weise bewundert zu werden, aber dass sie etwa ein Problem damit hat, sich auf andere einzulassen, weil sie dann vermutet, dass man nur wegen ihrer Position mit ihr Kontakt sucht und nicht an einer echten Freundschaft interessiert wäre.

Eigentlich hat mich das schon überrascht, dass sie mir das so offen gesagt hat. Ich muss aber sagen, dass mich die Frau auch eingeschüchtert hat, denn auch wenn sie ganz normal mir gegenüber saß und auch in zivil gekleidet war, also nicht im Klinik-Outfit, so hat man ihr schon angesehen, dass sie irgendwie eine bessere Position hatte, weil sie für ihr Alter sehr gepflegt war und auch eine extrem gewählt Ausdrucksweise hatte. Ich hatte immer den Eindruck, dass sie sich jedes ihrer Worte genau überlegt und auch mich so bewertet - ich hab mich da richtig gehemmt und tollpatschig gefühlt.

Darum kann ich mir schon auch vorstellen, dass diese Frau Probleme hat, wirkliche Freunde zu finden, weil sie zwar nicht mit Absicht auf andere herabschaut, aber weil man ihr ihre Position auch angemerkt hat und weil man, obwohl sie mit mir ganz normal geredet hat, den Eindruck hatte, dass sie irgendwie anders als „normale Leute“ ist.

Aus Interesse habe ich mal gefragt, wie viel man denn in ihrer Position verdient, weil wenn sie mit ihrem Job unzufrieden ist, so dachte ich es mir, dann müsste man doch als Chefärztin bestimmt genug verdient haben, dass man ab einem gewissen Alter gar nicht mehr arbeiten muss. Und die Antwort, die ich dann bekommen habe, die hat mich erst recht geschockt. Sie meinte, dass sie „nur 12.000“ Euro verdienen würde. Sie hat wirklich „nur“ gesagt. Und das wäre netto 7000 und das sei bei ihr jeden Monat schnell weg.

Sie habe ein großes Haus, was sie auch noch abbezahle, mehrere teure Autos und sie würde sich gerne etwas gönnen, auch um sich gut zu fühlen. Sie meinte etwa, dass sie sich neulich einen neuen Wohnzimmertisch gekauft habe und da musste es eben ein Modell für 5000 EUR sein. Und durch ihren Lebensstil hat sie dann insgesamt so hohe Verbindlichkeiten, dass sie dann von dem Einkommen gar nicht so viel übrig hat.

Zudem meinte sie, dass sie mehrfach im Monat zu ihrem Freund in Holland fliege, der leite ein großes Industrieunternehmen. Vorher sei sie mit einem anderen hochrangigen Angestellten zusammen gewesen. Also scheinbar hat sie zu normalen Leuten auch nicht so viel Kontakt, sondern bewegt sich immer in einem Umfeld von Leuten, die ähnliche Positionen haben.

So typisch für Chefärzte ist das denke ich nicht. Ich kenne auch einen anderen aus meiner Heimat, der wirkt ganz anders. Der ist immer etwas zerstreut und läuft mit ungekämmten, zerzaustem Haar herum und verdient laut dem Tarifvertrag des Krankenhauses auch weniger als die Hälfte als diese Chefärztin, mit der ich da zu tun hatte - also etwa so viel wie ich. Der grenzt sich irgendwie nicht so durch seinen Stil ab und schäkert immer mit den Krankenschwestern.

Mir würde es aber auch schwer fallen, mit so einem Menschen wie diese Ärztin normal umzugehen. Ich werde nächste Woche nochmal mit ihr zu tun haben, davor graut es mir ein wenig, weil ich mich ihr so unterlegen fühle und sie mich mit ihrer Art einschüchtert, auch wenn das nicht beabsichtigt sein mag. So einen Lebensstil vor Augen geführt zu bekommen, den man selbst nicht hat und vermutlich nicht erreichen kann, das ist schon sehr einschüchternd.

Hattet ihr auch schon mit Leuten zu tun, die sozial deutlich über euch standen? Ist es der Status oder die Art, wie sich die Menschen benehmen? Vielleicht würde ich die Frau ganz anders wahrnehmen, wenn sie nicht so vornehm, sondern bodenständiger wirken würde?

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 25.04.2015, 20:45, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen


Ich bin von solche Neureichen, die mit ihrem Status und ihrem Geld protzen nicht eingeschüchtert sondern einfach nur genervt. Irgendwo bemitleide ich solche Menschen auch, weil sie sich über das definieren, was sie besitzen und nicht über das, was sie als Person ausmacht.

Aber es gibt doch genug oberflächliche Menschen, die auf solche Blender abfahren, deshalb wird es auch nicht an Freundschaften mangeln. Klar sind das dann wahrscheinlich keine Freunde mit denen man die Nacht durch quatscht und dabei den schlechten Wein leer, den der Pizzaservice mitgebracht hat, weil man keinen anderen mehr da hat, aber wenn man so viel Wert auf seinen Status legt will man das wahrscheinlich auch gar nicht.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Ich verstehe es schon, dass man hochrangigen Menschen gegenüber vielleicht etwas eingeschüchtert ist, aber das würde ich nicht auf die sozialen Verhältnisse beziehen, sondern nur auf die Leistung der entsprechenden Personen. Wenn ich vor einer solchen Person stehe, dann bin ich nur darum eingeschüchtert, weil die entsprechende Person eben viel erreicht hat.

Aber wie du schon mitbekommen hast, muss das eben auch nicht heißen, dass diese Menschen glücklich mit ihrem Job sind. Und genau so ein Kommentar, dass der Job nicht so toll ist, würde mir schon viel von meiner Befangenheit nehmen. Die tollen Häuser und vielen Autos solcher Personen beeindrucken mich sowieso nicht sonderlich, weil ich nach solchen materiellen Werten nicht schaue.

» Barbara Ann » Beiträge: 28945 » Talkpoints: 58,57 » Auszeichnung für 28000 Beiträge



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