Heilung von Essstörungen nicht möglich?
In einem Interview mit einem Psychiater und Psychologe, der auf Essstörungen spezialisiert war, sagte dieser, dass eine Heilung im Sinne einer kompletten Genesung bei Essstörungen prinzipiell nicht möglich sei. Der Grund dafür sei, dass es sich bei Essstörungen um Süchte handelt (beispielsweise die MagerSUCHT, oder EssSUCHT) wobei es natürlich auch noch zahlreiche andere Formen von Essstörungen gibt.
Die Substanz, um die es bei den Krankheiten geht, sind die Nahrungsmittel. Das Problematische daran ist, dass es nicht möglich ist, sich diesem "Suchtmittel" komplett zu entziehen. Es ist schließlich nicht möglich, nicht zu essen. Somit muss der Betroffene lernen, mit dem Suchtmittel im Maßen umzugehen, und kann sich nicht, wie es beim Alkoholsucht oder Drogenabhängigkeit der Fall wäre, dem Suchtmittel "einfach" komplett entziehen.
Ein alkoholabhängige Person kann im Supermarkt die Spirituosenabteilung meiden, während eine essgestörte Person dazu gezwungen ist, sich mit dem Suchtmittel ein Leben lang mehr oder weniger auseinander zu setzten.
Er bezeichnete essgestörte Personen, die es geschafft haben, augenscheinlich wieder normal zu essen, als "trocken" oder "clean", aber eben nicht als geheilt. Wie seht ihr das? Habt ihr vielleicht eigene Erfahrungswerte dazu? Diese Sichtweise kann ja recht ernüchternd sein für Menschen, die an einer solchen Krankheit leiden.
Ich sehe es so, dass einer Essstörung, auch wenn sie eine Sucht ist, immer psychische Probleme zu Grunde liegen, die gelöst werden müssen. Nehmen wir einmal die Magersucht her: Hier resultiert die Sucht aus dem einzigen Grundgedanken: "Ich kann über meinen Körper selber bestimmen, ich kann nur über meinen Körper protestieren."
In Magersuchtfamilien gibt es kein "Ich". Es gibt immer nur ein "wir". Wir machen das so und so. Probleme werden nicht ausdiskutiert, sondern unter den Tisch gekehrt. Es wird alles im Leben der Person über ihren Kopf hinweg bestimmt. Irgendwann entscheidet sich die Person, nichts oder nur noch wenig zu essen, weil das das Einzige ist, was sie selber bestimmen kann.
Nun ist das Ziel, aus der sogenannten "Triangulation" auszubrechen. Der Person, die an Magersucht leidet, muss sich von den Eltern los lösen, gegebenenfalls ausziehen und sich selber etwas aufbauen, um wieder psychisch und somit auch körperlich gesund zu leben.
So etwas ist möglich. Ich habe Magersüchtige gesehen, die jetzt ein ganz normales Leben führen und gar nicht mehr unter der Sucht zu kämpfen haben. Deshalb kann ich dem Fachmann hier nicht ganz zustimmen. Denn die Sucht liegt immer einer psychischen Störung zu Grunde, die geheilt werden muss. Und es ist möglich, die Hintergründe der Krankheit zu erkennen und diese zu bekämpfen.
Ich bin der Ansicht, dass Süchte nur ein Symptom für tiefe psychische Probleme sind. Natürlich kann man eine Sucht nur dann wirkungsvoll bekämpfen, wenn man die psychischen Probleme in den Griff gekriegt hat. Denn sonst sucht man sich vielleicht alternative Süchte, aber man löst das Problem nicht so wirklich. Das sollte man meiner Ansicht nach immer im Hinterkopf behalten.
Heilung von Essstörungen ist meiner Ansicht nach nur dann möglich, wenn man sein psychisches und emotionales Defizit in den Griff bekommt. Wenn das der Fall ist, wird der Umgang mit Nahrungsmitteln auch leicht fallen und man wird nicht mehr rückfällig, was die Essstörungen angeht. Aber wenn man seine Probleme nicht in den Griff bekommt, wird der tägliche Lebensmitteleinkauf immer ein Kampf sein.
Ich glaube, dass der Professor es so gemeint hat, dass wie bei jeder anderen Sucht zeit des Lebens eine Rückfallgefahr bleiben wird. Es gibt natürlich viele Leute, die sich von einer Sucht lossagen, ungeachtet dessen sind auch nach Jahren oder sogar Jahrzehnten (!) Rückfälle möglich.
Manchmal wird so ein Rückfall auch von Außenstehenden übersehen und falsch gedeutet. Eine Frau in den mittleren Jahren oder über fünfzig, die eine harsche Diät verfolgt, ist nicht so ungewöhnlich, ältere Leute, die wenig essen, wird man Appetitlosigkeit unterstellen oder eine andere Krankheit. Umgekehrt werden Essstörungen aber mit steigendem Alter oft besser, also, es gibt keinen Grund die Flinte ins Korn zu werfen.
An Magersucht als Ausdruck einer Störung in der Familie glaube ich aber auch und auch daran, dass man dem mit steigender Autonomie begegnen kann. Ich habe zum Beispiel selbst eine Bekannte, die nicht merkt, dass sie mit ihrer total grenzenlosen und einnehmenden Art ihrer Familie gegenüber eigentlich der Auslöser für die Magersucht ihrer Tochter ist. Es gibt kein ich, nur wir, ist gut ausgedrückt.
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