Hat euch Angela Merkels Fernsehansprache überzeugt?
Gestern lief die Fernsehansprache von Angela Merkel über die aktuelle Corona-Situation in Deutschland und während sie dafür gestern noch überwiegend Lob kassierte, werden heute schon kritischere Stimmen zu der Rede laut. Da wird hauptsächlich kritisiert, dass die Rede zu pathetisch und nahezu einschläfernd gewirkt hätte. Laut einer eilig angelegten Umfrage waren auch knapp 60% der Befragten der Meinung, dass die Rede eher untauglich war, die Deutschen zu mehr Solidarität aufzurufen und zu bewegen. Habt ihr Angela Merkels Fernsehansprache verfolgt und welchen Eindruck hat diese denn auf euch hinterlassen?
Nein, ich habe die komplette Rede nicht verfolgt und erst im Nachhinein ein paar Ausschnitte gesehen. Aber ganz ehrlich, wer Corona vorher nicht ernst genommen hat wird es nach der Ansprache der Kanzlerin auch nicht tun. Und wer sich vorher schon an die Hinweise und Vorgaben der Regierung gehalten hat, den wird die Rede auch nicht mehr motiviert oder emotional berührt haben. Man kann nur auf den gesunden Menschenverstand hoffen und dass sich jetzt jeder mal an seinem Näschen packt und sich gefälligst an die Sicherheitsvorschriften hält und nicht mehr als Egoist durchs Leben läuft.
Also was denn nun? "Pathetisch", also allzu gefühlvoll und schmalzig oder "einschläfernd"? Und meines Wissens ist es nicht der Job der guten Frau, eine mitreißende Show abzuliefern und ihr Publikum auf Top-Niveau zu unterhalten, wenn es um Ausnahmesituationen mit täglich steigendem Bodycount geht. Hätte man statt unserer gewählten Kanzlerin Helene Fischer dazu verpflichtet, im hautengen Corona-Outfit mit Glitzer den Aufruf zu Vernunft und Verzicht laut vorzusingen - wäre das besser für die Moral der Nation gewesen?
Ich denke, dass PolitikerInnen in Extremsituationen aller Art eigentlich gar nicht gewinnen können. Äußern sie sich gar nicht, wird es ihnen als Desinteresse oder Unfähigkeit ausgelegt. Machen sie gemäßigte und rationale Ansagen, sind sie nicht unterhaltsam und mitreißend genug, obwohl wir doch alle wissen, was mitreißende Politiker mit großem Gestus und schnarrender Stimme schon alles angerichtet haben. Und plärren sie vor laufender Kamera los und flehen das Volk mit Rotzglocke im Gesicht an, doch endlich Vernunft anzunehmen, jammern die Leute wegen mangelnder Autorität und Souveränität.
Ich kann nicht behaupten, dass mich die Frau Merkel von irgend etwas überzeugt hat, sondern ich wusste schon vorher, wo der Hammer hängt und dass jeder unverantwortlich handelt, der sich jetzt im Straßencafé fläzt oder Privatpartys mit 200 Teilnehmern feiert. Aber ich finde es durchaus angemessen und nötig, dass in Situationen wie dieser, auch mal die oberste Etage zum Volk spricht.
Ich habe die Rede nicht verfolgt aber die Nachrichtensendung vor der Rede gesehen und da wurden Ausschnitte gezeigt. Für mich klang das recht sachlich und ich bin echt froh, dass wir uns in dieser Situation nicht mit einem aufgeblasenen Selbstdarsteller wie Trump herumschlagen müssen. Die meisten deutschen Politiker sind eher langweilig und das ist gerade sehr gut so.
Eigentlich sollte allein die Tatsache, dass es diese Ansprache gab, jeden davon überzeugen, dass die Lage ernst ist. Weil es in Deutschland nämlich eigentlich nicht üblich ist, dass sich die Kanzlerin außerhalb der Neujahrs (oder Weihnachten?) Ansprache überhaupt an die Bürger wendet.
Davon abgesehen - "pathetisch und nahezu einschläfernd"? Wie kann man diese beiden Eigenschaften denn bitter vereinen? Kleine Nachhilfe in der deutschen Sprache: Wenn ich mit Pathos (also pathetisch) spreche bin ich übertrieben emotional und leidenschaftlich mit einer gewissen Theatralik, oft auch in den Gesten. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Einschlafen.
Gerbera hat geschrieben:Helene Fischer dazu verpflichtet, im hautengen Corona-Outfit mit Glitzer
Mein Denken funktioniert viel über Bilder und ich könnte jetzt tatsächlich ein relativ detailliertes Bild davon zeichnen, wie das in meinem Kopf aussieht. Danke dafür.
Naja seien wir mal ehrlich. Was soll sie denn machen? Sie hat versucht ruhig und sachlich das Ganze einzuordnen und hat dabei auch ziemlich deutlich gesagt, wie ernst die Lage ist. Was genau ist daran so schwer zu verstehen, wenn sie klar und deutlich sagt, dass es die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg ist?
Sie soll ja nun keinen Pausenclown machen. Und ganz ehrlich, der Vergleich mit Trump fiel hier ja schon. Was genau haben wir denn davon, wenn da so ein Selbstdarsteller auftritt, der auch ganz klar zu verstehen gibt, dass er keine Ahnung von dem hat was er da sagt? Der heute Hü und morgen Hott sagt?
Wenn man die Situation in Deutschland mal sachlich betrachtet, dann ist es doch so, dass das RKI allen voran mit Lothar Wieler und den jeweiligen Experten, die er und anfangs Jens Spahn zu den täglichen Pressekonferenzen eingeladen hatten, schon seit Wochen klar und eindringlich sagen, was auf uns zu kommt und was wir alle zu tun haben. Daraus kann man eigentlich nur schlussfolgern, dass es vielen Menschen entweder egal ist, was ihnen Experten sagen oder dass viele Menschen ganz einfach zu dumm sind, dass zu verstehen.
Da kann man wahrscheinlich so viele Ansprachen halten, wie man will. Für einige Menschen helfen dann eben nur klare Vorgaben, egal was man da im Fernsehen erzählt.
Die Rede war ja vorher groß angekündigt worden und ich dachte, da käme nun endlich mal ein Machtwort, aber gesehen habe ich eher ein Sandmännchen. Es fehlte nur noch, dass sie uns allen eine gute Nacht wünscht. Da fehlte es ja an allem!
Es erinnerte mich eher an einen Hundebesitzer, der seinen Hund volltextet, dass der sich doch bitte hinsetzen soll. Das funktioniert auch nicht, weil da schon alles an Körpersprache und dergleichen fehlt. Insofern war das meiner Meinung nach mal wieder eine Rede, die kein Mensch brauchte, denn selbst wenn man zuhören wollte, war man bei dieser Redeweise nach spätestens fünf Sätzen eingeschlafen.
Ich habe den Eindruck, der ein oder andere hat ganz einfach unsere Staatsform nicht verstanden. Was genau soll Merkel denn einschneidendes verkünden? Die Bundesregierung ist doch keine Landesbehörde mit Weisungsbefugnis. Dafür müsste man wahrscheinlich einen Notstand ausrufen. Aber ein deutscher Bundeskanzler hat nun einmal eben nicht gleichen Befugnisse wie beispielsweise eine französischer Präsident.
Das war doch aber vorher auch schon. Auch bei Jens Spahn haben das viele einfach nicht verstanden. Als er als Bundesgesundheitsminister empfahl, dass Krankenhäuser ihre Plan-Ops absagen sollten, gab es noch genug Ärzte, die meinten er hat es ja nur empfohlen und braucht sich nicht daran halten. Dass diese Empfehlung aber das höchste und eindringlichste war, was er machen konnte, haben viele nicht verstanden.
Weder ein Bundesminister noch ein Kanzler setzt irgendwelche Sachen durch. Dafür sind in einem föderalen System immer noch die Länder zuständig. Wenn überhaupt muss man da eher den Ministerpräsidenten mal gehörig in den Arsch treten, dass sie sich zwar zusammen treffen und es dann doch oft nicht hinbekommen, danach eine klare einheitliche Linie für alle Bundesländer zu finden und dann auch zügig durch zu ziehen.
Als Bundeskanzler kann man da nur ganz viel appellieren und versuchen die vielen kleinen Fürsten von viel Vernunft zu überzeugen. Und ganz wichtig ist dabei eben auch nicht in Panik zu verfallen oder aus dem Bauch heraus irgendwelche Entscheidungen treffen, die man dann nur sowieso nicht durchboxen kann. Und ich finde, dass hat sie sehr gut gemacht. Jeder mit etwas Verstand konnte den Ernst der Lage erkennen und heraushören. Wir haben doch nun 15 Jahre Angela Merkel hinter uns und wissen wie sie tickt und auftritt. Wer da nun erwartet, dass sie mit dem Schuh auf den Tisch haut wie einst Chruschtschow bei der UN muss da enttäuscht sein, war aber wohl dann auch die letzten 15 Jahre nicht in unserem Land.
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