Habt ihr schon mit Armut Bekanntschaft machen können?
Immer wenn die aktuellen Armutsberichte für Deutschland veröffentlicht werden, dann kann einem ja schon langsam angst und bange werden. Die Zahlen steigen Jahr für Jahr und eine Kehrtwende ist nicht in Sicht. Demnach sind aktuell etwa jeder sechste Erwachsene und jedes fünfte Kind von Armut betroffen.
Aber wie kann das denn eigentlich sein, wo Deutschland doch ach so reich ist? Habt ihr schon Armut unmittelbar oder mittelbar erlebt und glaubt ihr dass man dieser auch wieder entrinnen kann? Haltet ihr die Verarmung der deutschen Bevölkerung für durchaus realistisch oder wird da vielleicht auch etwas übertrieben?
Armut ist relativ. Nach der üblichen Berechnung für Armut sind sofort mehr Menschen arm, wenn ein Teil der Bevölkerung mehr verdient. Steigen nicht gleichzeitig die Preise, hat sich an der Situation der Menschen mit geringerem Einkommen gar nichts verändert, nur gelten sie plötzlich als arm.
Mancher Mensch, der statistisch als arm gilt, kommt gut zurecht. Andere haben mehr Geld und sind schlechter dran. Wer für einen schlechten Job ein Auto benötigt oder weit geltende Fahrkarten kaufen muss oder in einer Region mit hohen Mieten lebt, der kann arm sein, obwohl er statistisch gesehen genug hat.
Ich habe eine ganze Weile mit 1600 DM zwei Pferde finanziert. 1000 DM gingen für die Pferde weg, 600 sind für Miete und zum Leben ekelhaft wenig gewesen. Wenn man nur das Geld zum Leben nimmt, dann war ich bitterarm. Aber ich habe mir einen großen Luxus geleistet und hätte die Situation ändern können. Armut sieht anders aus.
Das ist kein Vergleich zu den wirklich armen Menschen hier in meinem Stadtteil. Nur mit Kindergeld und ohne Krankenversicherung zu leben, das ist echte Armut. Weniger als 600 Euro Rente und aus Scham auf die Grundsicherung zu verzichten, das ist Armut. Und das ist hier alles nicht selten.
Also laut Statistik wäre ich ein Mensch, der definitiv unter der Armutsgrenze leben würde. Ich bin Studentin, das schränkt mich finanziell ziemlich ein. Das heißt, ich darf nicht mehr als 20 Stunden pro Woche arbeiten wegen der Versicherung und Leistungen wie Arbeitslosengeld oder so bekomme ich ja auch nicht, weil das Studium als Ausbildung gilt und wenn man ausgebildet wird, kann man nicht arbeitslos sein.
Dennoch fühle ich mich nicht arm, wenn ich ehrlich bin, auch wenn ich es theoretisch auf dem Papier und per Definition bin. Ich habe trotzdem zu Essen und genug Sachen anzuziehen. Ich habe ein Dach über dem Kopf und ich laufe nicht mit schmutzigen oder löchrigen Sachen herum. Also allein von der Optik und meiner äußeren Erscheinung würde man nicht vermuten, dass ich "bettelarm" bin. Ich habe es sogar geschafft, eine höhere vierstellige Summe anzusparen, was die meisten Menschen von Studenten gar nicht so vermuten.
Es gibt aber trotzdem nichts, was mir fehlen würde. Ich bin aber auch eher ein genügsamer Mensch, sodass ich jetzt nicht am Hungertuch nagen muss oder so. Ich habe trotzdem alles was ich brauche, daher bin ich laut meinem eigenen Verständnis gar nicht "arm", auch wenn das sicherlich nicht jeder so sehen würde.
Ich selber war zum Glück noch nicht von Armut betroffen, aber ich habe durchaus schon Menschen kennengelernt, die ich als arm bezeichnen würde. Das ist bei meiner Arbeit schon mal der Fall. Das tut mir dann schon immer sehr leid, vor allem, wenn diese Personen nichts dafür können und durch Arbeitslosigkeit auch erst einmal nichts an der Situation ändern können.
Vor allem dann, wenn auch noch Kinder betroffen sind, finde ich es besonders schlimm. Es muss für ein Kind schon traurig sein, wenn die Klassenkameraden alles bekommen und sie selber froh sein können, wenn genug Geld für Essen da ist. Ob es nun zu einer Verarmung kommt, oder die Medien da übertrieben, das kann ich nicht beurteilen.
Von der Statistik her fallen wir auch unter die Armutsgrenze und das obwohl wir im Monat genug verdienen mit zwei Gehälter. Von diesen zwei Gehältern geht jedoch die horrende Miete von 1200 Euro ab und nochmals die Kinderkrippe für unseren Sohn mit nochmals 1000 Euro. Damit ist schon mehr als die Hälfte weg. Zusätzlich noch das Geld für die Wegstrecke zur Arbeit, und die Pflichtversicherungen und wir haben kaum noch etwas übrig.
Theoretisch würden wir besser fahren wenn wir beide unsere Jobs kündigen und auf Hartz 4 machen. Denn dann würde die Wohnung billiger werden, bzw. komplett vom Amt bezahlt werden und auch die Krippe für unseren Sohn müssten wir dann gar nicht bezahlen auch diverse Versicherungen die wir nur wegen unserer Berufe haben müssten wir dann nicht haben. Im Prinzip hätten wir dann sogar mehr Geld zur Verfügung als jetzt, wo wir beide in Vollzeit am Arbeiten mit einer 45 und 60 Stunden Woche sind.
Das ärgert mich maßlos, da hier doch viele auf die Weise so rechnen und eben nicht Arbeiten gehen, da es sich nicht lohnt. Ich hingegen möchte meinem Sohn ein gutes Vorbild und auch Beispiel sein, und eben nicht nur den ganzen Tag vor dem Fernseher auf dem Sofa sitzen und mir alles von anderen finanzieren lassen. Auch wenn es so wirklich schwer ist und auch anstrengend, denke ich das es die Mühe wert ist.
Ansonsten mache ich täglich mit Armut Bekanntschaft durch meinen Job. Das schlimmste was ich bislang gesehen habe war eine alte Frau die im Monat von 145 Euro Witwenrente leben musste. Die Grundversorgung hatte sie zwar beantragt, wurde aber immer wieder abgelehnt. So hat sie sich dann zufrieden gegeben mit dem was sie hat.
Für mich war es besonders schlimm da diese Dame mehrmals die Woche zur Dialyse kam und für jede der sechs Fahrten einen Eigenanteil von 25 Euro zu leisten hat, da die Krankenkasse das nicht alles übernimmt seit 2005, obwohl die Krankenkassen dafür genug Geld aus den Beiträgen zur Verfügung hätten. Kommt wie es kommen musste, irgendwann wurde die Dame nicht mehr von uns befördert da der Gerichtsvollzieher bei ihr die offenen Summen nicht pfänden konnte. Wie sie nun zur Dialyse kommt weiß ich ehrlich gesagt gar nicht, denke aber öfters an sie wenn ich an dem Platz in der Dialyse vorbei komme.
Ich habe mal von einem Hartz IV Satz gelebt. Nicht weil ich Hartz IV bekommen habe, aber ich wollte lernen, damit zurecht zu kommen. Ich wollte sehen, ob die Kritik berechtigt ist, ob die Hartz IV Empfänger lügen würden, weil ich manchmal Vorurteile hatte und deswegen habe ich das mal gemacht.
Ich habe mit dem Geld ganze drei Monate leben dürfen, da war der Satz aber noch niedriger: Das war irgendwie vor sechs Jahren, weil es auch als Experiment im Freundeskreis stattfand. Wir haben die Einkaufszettel behalten etc. damit wir alles nachweisen konnten, dass niemand von uns über die Strenge geschlagen hat.
Der erste Monat war verdammt hart! Danach habe ich es geschafft zu frühstücken, Mittagessen und Abendessen vorzubereiten. Ich habe frisch gekocht, mal mit Fleisch und Fisch. Selten Fleisch vom Metzger oder Fisch vom Fischhandel, aber trotzdem noch aus der Theke. Regelmäßig Salat und Obst! Das hat perfekt geklappt.
Wenn ich zum Wochenmarkt gegangen bin, der eigentlich bei uns ums Eck täglich ist, dann bekomme ich noch heute locker 3 Eisbergsalate für 1.10€. Mal weniger und mehr. Kommt eben auf die Preise an. Es war also durchaus auch mal möglich, als gesellschaftlich "arm" zu leben, weil Hartz IV Empfänger natürlich zurecht auch als Arm gelten.
Ich mag es nur nicht, wenn ich vereinzelnd Menschen im TV sehe, die behaupten, dass sie dick sein, weil bei Hartz IV ja nur Fertigkram möglich ist, weil ich es selber erfahren habe, das es nicht so ist. Man kann gut kochen, wenn es frisch ist und auch über zwei Tage!
Doch zur DM habe ich auch schon mal "arm" gelebt und wäre über 1600DM froh gewesen. Doch ich finde auch noch immer, dass die DM besser war und mir alles nie so teuer vor kam. Ich hänge da doch etwas nach und empfinde den Euro auch als Teuro! Das hat sicher nichts damit zu tun, aber ich weiß genau, dass ich für 100DM den Einkaufswagen voll hatte und dieselben Sachen heute kosten mich 100Euro, was schon heftig ist.
Olly173 hat geschrieben:Also laut Statistik wäre ich ein Mensch, der definitiv unter der Armutsgrenze leben würde. Ich bin Studentin, das schränkt mich finanziell ziemlich ein.
Das geht mir genauso. Als Student kann man ja nicht sonderlich viel Geld verdienen, zumindest nicht während der Vorlesungszeit. Da muss ich auch mit enorm wenig Geld zurechtkommen. Allerdings kenne ich es ja auch nicht anders, da ich eben schon seit einigen Jahren studiere und davor zur Schule gegangen bin. Ich weiß nicht, wie es ist, sein geregeltes Einkommen zu haben, weil man Vollzeit arbeitet. Von daher finde ich es nicht so wild, dass ich nicht so viel Geld habe. Ich bin es ja nicht anders gewohnt.
Dauerhaft würde ich die Krise bekommen, wenn ich eben immer so wenig Geld zur Verfügung haben würde, weil man sich enorm einschränken muss. Ich kann mir zwar ab und zu einen Urlaub leisten und gehe gerne ins Kino oder ins Restaurant und auch shoppen, aber ich könnte mir momentan nie ein Auto leisten und mein Freund und ich wohnen auch nur in einer Einzimmerwohnung. Aber ich weiß ja, dass ich nicht für immer so wenig Geld haben werde, zumindest nicht dauerhaft.
Meine Eltern sind aber auch alles andere als reich, da nur mein Vater wirklich berufstätig ist. Als er arbeitslos war, mussten wir auch mit sehr wenig Geld zurechtkommen, wobei es mir trotzdem nie an etwas gefehlt hatte. Wir hatten nie die größte Wohnung und auch für Urlaube hatte das Geld nicht gereicht, aber ich musste mich trotzdem nie groß einschränken. Ich denke, dass ich es deshalb auch nicht wirklich kenne, viel Geld zur Verfügung zu haben, weshalb ich aber auch wirklich gut mit Geld umgehen kann und tatsächlich auch eher sparsam bin. Das hat mich schon geprägt.
Ich lebe ja selber in Armut und kenne auch viele die dies tun. Klar kann man Armut auch wieder entrinnen. Die meisten Studenten tun dies. Aber wer arm ist, weil er kaum Rente bekommt hat natürlich kaum noch eine Chance der Armut zu entrinnen. Die Verarmung in Deutschland halte ich für absolut realistisch.
Aber wie kann das denn eigentlich sein, wo Deutschland doch ach so reich ist?
Krankheit, Arbeitslosigkeit, viele Kinder. Und auch die Armen sind ja in Deutschland gut abgesichert.
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