Habt ihr schon einmal ein Talent verkümmern lassen?

Manche sagen, jeder Mensch hätte für irgendetwas ein Talent, ich bin mir da nicht so sicher, ob dem wirklich so ist. Aber wie dem auch sei, es gibt zumindest sicher sehr viele Leute, die tatsächlich ein bestimmtes Talent haben und ein Teil von denen wiederum, welcher diese Begabung völlig brach liegen lässt. So hatte ich mal einen Freund, der einfach nur wunderbar zeichnen konnte, er hat ständig irgendwelche kleinen Skizzen gemalt und auch Comics vor sich hin gekritzelt.

Dass er dort ein Talent hatte, war nicht zu übersehen und ich denke, er wusste das auch. Aus mir unbekannten Gründen hat er aber nie versucht, irgendwie in der Branche Fuß zu fassen oder beruflich etwas daraus zu machen und wurde später Handwerker in einem ungeliebten Job. Auch später kannte ich Leute, die ihr Talent nicht nutzen wollten, obwohl es ihnen als solches grundsätzlich bekannt war.

Hattet ihr schon ein Talent, welches ihr habt verkümmern lassen oder kennt solche Fälle? Was waren die Gründe?

Komische Wortwahl. "Verkümmern lassen" bedeutet ja, dass ein Talent irgendwie abnimmt oder verschwindet wenn man es nicht nutzt. Bei Sport mag das ja stimmen, weil man Muskeln regelmäßig trainieren muss und die Leistung mit zunehmendem Alter trotz Training bei vielen Sportarten abnimmt, aber ich zeichne doch nicht schlechter wenn ich das ein paar Jahre lang nicht gemacht habe.

Ich finde es außerdem immer etwas komisch bis weltfremd wenn Leute annehmen, dass man ein bestimmtes Talent oder eine bestimmte Leidenschaft automatisch zu Geld machen möchte. Vielleicht möchte man sein Hobby ja gar nicht zum Beruf machen weil es ein großer Unterschied ist ob man etwas zum Spaß und zur Entspannung macht oder ob man unter dem Druck steht abliefern zu müssen weil man von seiner Arbeit leben muss.

Und was das weltfremde betrifft, ich habe mich mal kurzzeitig mit dem Gedanken herum geschlagen Kunst zu studieren und saß auch mal in einer Studienberatung. Ich weiß wie die Berufschancen aussehen. "In der Branche Fuß fassen" bedeutet in der Regel kleine Jobs als freier Mitarbeiter, von denen man kaum leben kann. Die besten Chancen hat man in Kombination mit einem Lehramt Studium, aber nicht jeder, der gut zeichnen kann, kann auch gut unterrichten.

Ich hatte sozusagen familienbedingt ein aktives absolutes Gehör. Sowohl genetisch als auch vom Umfeld her hatte ich halt beste Voraussetzungen. Aber ohne Training verschwindet das Halt im Laufe des Lebens. Man kann den Ton eben nicht immer genau einordnen und hört, anders als bei anderen Geräuschen irgendwann tendenziell zu hoch. Mich interessiert Musik kaum, ich mag die und konsumiere. Da geht die Fähigkeit naturgemäß verloren.

Ich finde auch nicht, dass ein Talent verkümmern zu lassen gleichbedeutend ist mit kein Geld damit zu verdienen. Lange Zeit habe ich mich über den nach wie vor dummen Spruch amüsiert, der sinngemäß besagt: Du kannst alles werden, was du willst! Mittlerweile finde ich, dass da durchaus was dran ist: Du kannst alles werden, was du willst, du kannst nur nicht mit allem genügend Geld verdienen, dass es zum Leben reicht!

Es gibt viele begabte Menschen, die kein oder nur wenig Geld mit ihren Talenten verdienen und sie eher als Hobby betreiben. Laientheater, Garagenbands, Torten backen für die Verwandtschaft, Bücher im Selbstverlag herausgeben - immer sind Talent und Begeisterung dabei, und ich würde sogar sagen, dass die Mehrheit der speziell begabten Menschen nie auf einer Bühne, Leinwand, Kunstgalerie oder im TV zu sehen ist. Negiert das ihre Talente? Ich finde nicht.

Ich selber würde von mir behaupten, dass ich ein gewisses Talent zum Schreiben habe, das ich auch privat für alle möglichen Zwecke und zu meinem Vergnügen nutze. Ich finde nicht, dass es "verkümmert", nur weil ich meine Ergüsse nicht mit Gewalt versuche zu publizieren oder sonstwie der Öffentlichkeit aufs Auge drücke. Talent hin oder her - das Ergebnis ist bestenfalls mittelprächtig und der Markt in jeder Hinsicht völlig überfrachtet.

Und Faktoren wie Glück und Geld spielen im Regelfall sowieso eine größere Rolle als die natürliche Begabung. Ich will gar nicht wissen, wie viele große Sporttalente, Tänzer, Musikerinnen oder Modedesigner gar nichts aus ihrer Begabung machen konnten, weil Mama und Papa das Ballett-Internat oder die 5000-Euro-Klarinette nicht finanzieren konnten.

Als Kind war ich extrem aktiv, sportlich und hatte jede Menge Energie. Ich war in vielen Dingen gut und mochte es am liebsten, mich den ganzen Tag draußen auszutoben. Besonders viel Spaß hatte ich beim Skaten. Mit 12 Jahren war ich richtig gut im Inliner fahren und Skateboarden. Halfpipes waren kein Problem für mich und ich fühlte mich damit pudelwohl. Ich denke, dass da einiges draus hätte werden können.

Genauso sah es zu dieser Zeit auch mit dem Fußball aus. Da war ich auch richtig gut drin und hatte großen Spaß daran. Doch wie beim Skaten war es da auch, dass es meine Eltern schlicht und einfach nicht wollten. Als meine Inline Skates mir zu klein wurden und mein Skateboard und mein Fußball mir kaputt gingen, haben sie sich komplett geweigert, mir diese Sachen irgendwann neu zu schenken und mir verboten, sie mir vom Geburtstagsgeld der Oma selbst zu kaufen.

Ich war damals tatsächlich etwas männlich, wenn man das von einem Kind mit 12 Jahren sagen kann. Ich habe mich gerne so angezogen und hatte eher Interessen, die auf Jungs zutreffen. Damit hatten meine Eltern ein riesiges Problem, da sie panische Angst hatten, ich könne deshalb lesbisch werden. Aus dem Grund haben sie versucht, bestimmte Sachen zu unterbinden.

Ich fand es unheimlich schade, dass alles so gekommen ist. Ich denke, dass ich da großes Potenzial gehabt hätte. Später war es dann natürlich zu spät, als ich dann auch schon volljährig war und ich so lange Pause gehabt hatte. Da hätte ich dann aufgrund einer anderen Sportverletzung ohnehin nicht mehr so etwas machen können, so dass die Chancen leider alle weg sind.