Habt ihr Angst vor dem sozialen Abstieg?

vom 29.08.2017, 12:31 Uhr

Laut Wissenschaftlern der Universität Leipzig soll die Angst der Deutschen vor dem sozialen Niedergang bzw. Abstieg bemerkenswerterweise gesunken sein. Nur noch gut ein Drittel aller Bundesbürger soll sich vor dem sozialen Abstieg fürchten. Dies soll seit der Wiedervereinigung der niedrigste Wert sein und der zweitniedrigste Stand überhaupt seit Beginn der Messungen. Für diese Studie wurden Umfragedaten des Sozio-ökonomischen Panels des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung analysiert mit Daten von über 45.000 Erwerbstätigen.

Mich würde mal interessieren, wie ihr darüber denkt. Zu welcher Gruppe gehört ihr? Gehört ihr zu den Menschen, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben oder tangiert euch das eher weniger? Von welchen Faktoren ist eine derartige Sichtweise und Gefühltwelt eurer Meinung nach abhängig und warum? Ist dies möglicherweise auch eine Frage von Kultur und Prägung? Schließlich leben nicht nur so genannte "Biodeutsche" in diesem Land.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich bin gerade an einem Punkt in meinem Leben, an dem eigentlich alles möglich ist. Ich habe meinen Mann verlassen und damit auch meiner Lebensgrundlage den Rücken gekehrt, da wir ja gemeinsam selbständig waren. Ich bin wieder bei meiner Mutter eingezogen und muss jetzt mal schauen, was aus mir wird. Ob ich mit meinem Uniabschluss etwas anfangen kann ist fraglich.

Dennoch habe ich auch jetzt überhaupt keine Angst vor einem sozialen Abstieg. Mein Mann wollte mir in den Gesprächen nach der Trennung Angst machen, damit ich ihn nicht verlasse und meinte, ich würde bei Hartz IV landen. Den Gedanken finde ich vollkommen abwegig. Und wenn ich mein Leben lang nur Hilfsjobs ausübe, werde ich sicherlich nicht von der Stütze leben müssen. Ganz abgesehen davon, dass ich schlau genug bin für alle möglichen Umschulungen.

Aber das ist wahrscheinlich genau der Punkt. Ich bin - ohne angeben zu wollen - halt wirklich schlau genug. Ich gehöre zur Bildungsschicht, habe Abitur und Magister. Da ist immer irgendetwas möglich. Wenn man in dem Punkt schon nicht viel vorzuweisen hat, weil es das Leben eben schon von Anfang an schlecht mit einem meinte, kann ich schon verstehen, dass man Angst davor hat, abzusinken.

Wenn ich jetzt absinke, starte ich immerhin recht weit oben. Ich habe zwar nie viel Geld verdient, wegen dem Weg, den ich gewählt habe. Aber ich habe auch noch nie Arbeitslosengeld beantragen müssen. Wenn man eh schon immer an der Schwelle dazu stand, hängt das Damoklesschwert natürlich sehr viel niedriger. Also es ist auf jeden Fall abhängig vom allgemeinen sozialen Status, den man so im Durchschnitt inne hat.

Und der wird eben auch von solchen Dingen wie Migrationshintergrund bestimmt. Daher wird es in dieser Personengruppe vermehrt Menschen geben, die Angst vor einem Abstieg haben. Das kann auch insofern kulturell bedingt sein, als dass sie so ein Sozialsystem, wie wir es von klein auf gewohnt sind, gerade erst kennenlernen.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Mir geht es hier auch ein bisschen so ähnlich wie Bienenkönigin. Ich habe zwar durchaus Migrationshintergrund, sehe aber "deutsch" aus, habe die deutsche Staatsbürgerschaft und einen deutsch klingenden Namen, weswegen die ganzen Vorurteile, mit denen Leute zu kämpfen haben, die nicht so privilegiert sind, schon einmal wegfallen. Noch dazu habe ich auch einen Uni-Abschluss, mit dem ich zwar konkret im Augenblick nichts anfangen kann, aber immerhin mir selber und anderen bewiesen habe, dass ich wenigstens geistig beweglich bin und halbwegs Grips habe. Würde mir also von heute auf morgen der Boden unter den Füßen weggezogen, hätte ich immer noch mehr und bessere Chancen, die Nase über Wasser zu halten als viele andere.

Vorausgesetzt natürlich, dass ich gesund bleibe, aber vor einem sozialen Abstieg wegen Krankheit oder Behinderung habe ich schon allein deswegen keine Angst, weil man diese Risiken nie ganz ausschließen kann. Diese Gefahr besteht natürlich immer, aber ich würde mir schließlich nur die Laune vermiesen, wenn ich darüber zu viel nachdenken würde, ohne etwas tun zu können.

Dazu kommt noch, dass ich im Prinzip nur für mich selber Verantwortung trage. Hätte ich minderjährige Kinder oder wären andere Leute direkt davon abhängig, dass ich mein Einkommen und meine Wohnung behalten kann, hätte ich sicher auch mehr Sorgen und Ängste, was einen möglichen sozialen Abstieg angeht. So kann ich mir sagen, dass ich alleine schon irgendwo unterkommen und irgendeinen Job finden werde, und wie es bei den Bremer Stadtmusikanten so schön heißt: Etwas Besseres als den Tod findest du überall.

Auch ist meine "Fallhöhe" nicht besonders hoch. Ich lebe zwar in nicht allzu prekären Verhältnissen, aber ich führe wahrhaftig kein Luxusleben und hätte auch vom Charakter her kein größeres Problem damit, mich einzuschränken, zu verzichten und Bescheidenheit zu üben, wenn es denn nicht anders geht. Da mir materielle Dinge also nicht besonders am Herzen liegen, käme ich wohl auch mit dem sozialen Abstieg eher zurecht als andere, deren Selbstwertgefühl direkt an ihren Kontostand gekoppelt ist. Aber das heißt natürlich nicht, dass ich es mir dann am Rande der Gesellschaft bequem machen würde, sondern ich würde mich schon bemühen, wieder etwas mehr in die Mitte zu rutschen.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Ich mache mir da auch schon manchmal Gedanken. Was eben wäre, wenn es zu einer Trennung von meinem Partner käme, was ich natürlich nicht hoffe. Ich denke, dass ich dann sicherlich auch noch weitere Einschränkungen hätte, aber schon irgendwie über die Runden kommen würde. Luxus in dem Sinne brauche ich nicht und habe auch keine großen Ansprüche. Es würde sicherlich irgendwie weitergehen, aber die Angst vor einem sozialen Abstieg kann ich dennoch nachvollziehen.

Ich habe auch keinen Migrationshintergrund, aber ich würde nicht sagen, dass es deswegen schwerer oder leichter ist. Das kommt sicherlich immer trotzdem noch auf die Umstände an und vielleicht auch, ob man Familie hat oder eben ganz alleine da steht.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



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