Für Arbeitskollegen einsetzen, die Nachteile haben?
Mein Freund arbeitet seit einer Weile in einer Kanzlei und ist sehr zufrieden mit seinen Kollegen. Er wird demnächst selbst Partner dieser Kanzlei und bekommt so eine gute Gewinnbeteiligung und kann seinen Arbeitsalltag selbst organisieren oder Arbeitskräfte einstellen. Außerdem steht ihm so sehr viel mehr Urlaub zu. Ein anderer Partner in der Kanzlei hat beispielsweise neulich eine Weltreise gemacht.
Traurig ist aber, dass mein Freund all diese Vorteile hat, obwohl er erst seit kurzer Zeit in der Kanzlei arbeitet. Eine andere Anwältin arbeitet dort schon seit 8 Jahren und wurde nicht Partnerin. Sie musste ihren Arbeitsplatz für meinen Freund räumen und in einen weniger angenehmen Raum ziehen. Sie bekommt auch sonst häufig als letzte oder gar nicht neue Software, neue Computer und anderes Zubehör.
Mein Freund ist sehr verwundert darüber, dass die Anwältin eher schlecht behandelt wird und sich darüber auch nicht beschwert. Er überlegt nun sich für sie einzusetzen, auch wenn dies für ihn Nachteile bedeuten könnte. Was würdet ihr anstelle meines Freundes tun? Würdet ihr euch für jemanden einsetzen, der es deutlich schlechter hat als ihr, weil man euch vorgezogen hat?
Ich finde es sehr nobel und auch richtig von deinem Freund, sich für die andere Frau einzusetzen, auch weil sie wegen ihm scheinbar benachteiligt wird. Mag sein, dass er dadurch anfangs Nachteile bekommen könnte, aber ich glaube, dass sich das relativieren wird. Denn so spricht sich das herum, er wird einen guten Ruf bekommen und seine Mitarbeiter werden sich noch mehr für ihn einsetzen, wenn sie sehen, dass er das auch tut. Ich glaube, dass er im Endeffekt nur gewinnen kann, also langfristig betrachtet.
Ich finde es richtig sich für benachteiligte Kollegen einzusetzen. Im Arbeitsalltag werden manche Menschen einfach weniger beachtet und dann auch mal schneller benachteiligt, weil sie nichts sagen oder sich nicht über Dinge beschweren werden. Meiner Meinung nach sollte er erst mal bei ihr nachfragen, wie sie das sieht und empfindet und sich dann an die anderen Partner wenden.
Ich finde es toll, dass sich dein Freund Gedanken darüber macht, dass es nicht schön ist, dass diese Frau dort schon so lange arbeitet und nun durch ihn auch noch Nachteile hat. Ich kann mir schon vorstellen, dass er auch Nachteile haben könnte, wenn er sich nun für sie einsetzt und ich würde auch erst mal bei ihr nachfragen, wie sie das sieht und ob sie so zufrieden ist. Vielleicht findet sie es ja in Ordnung und möchte nicht die verantwortungsvolle Position haben, die dein Freund nun bekommt.
Es mag ja auf den ersten Blick nobel erscheinen, was dein Freund sich da wegen seiner scheinbar zu Unrecht benachteiligten Kollegin überlegt hat. Mit dieser Einstellung wird er es aber letztendlich in der Welt der Anwälte nicht sonderlich weit bringen, als Partner einer Kanzlei schon gar nicht. Früher oder später wird ihm das mehr Steine in den Weg legen, als er zu überschreiten im Stande ist.
Zumal ich die Reaktion deines Freundes auch klar übertrieben finde. Hat er sich denn mal Gedanken darüber gemacht, warum er bevorzugt wird, während die entsprechende Kollegin bereits seit acht Jahren dort arbeitet, die Karriereleiter seitdem aber scheinbar nicht aufgestiegen ist? Gerade in Kanzleien gibt es dafür meist einen sehr guten Grund. Hier kann meiner Meinung nach auch nicht die Rede davon sein, dass Frauen dort allgemein benachteiligt werden würden.
Ich kenne beispielsweise eine Anwältin, die ein mittleres sechsstelliges Jahresgehalt hat und ebenfalls Partnerin in ihrer Kanzlei ist. Sie wurde im Übrigen direkt als Partnerin eingestellt und musste nicht den Umweg über eine "normale" Mitarbeit gehen, nachdem das übliche Prozedere erledigt war. Sie muss sich aber auch jeden Tag aufs Neue dort durchsetzen, da ihre Position nicht in Stein gemeißelt ist. Leistung zahlt sich auch, wer keine oder nur unzureichende Leistung bringt, bekommt das eben auch knallhart zu spüren.
Insofern würde ich mir an der Stelle deines Freundes eher mal ein paar Gedanken darüber machen, warum seine Kollegin nach acht Jahren Mitarbeit in dieser Kanzlei so behandelt wird, wie sie eben behandelt wird. Und warum er praktisch von Null auf Hundert dort durchstarten kann. Vielleicht ist dies ja gerechtfertigt, weswegen es auch absolut falsch wäre, dann unnötig für sie in die Bresche zu springen. Letztendlich ist sie ebenso für sich selbst verantwortlich, wie dein Freund für sich selbst verantwortlich ist. Er kann übrigens auch schnell aufs Abstellgleis geschoben werden, wenn er keine Leistung mehr bringt.
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