Finger anbieten, ganze Hand nehmen - nichts mehr anbieten?

vom 01.11.2020, 09:00 Uhr

Ich bin mittlerweile vorsichtig geworden, Nachhilfeschülern anzubieten, mir jederzeit übers Handy Fragen stellen zu können. Ich hatte eigentlich gedacht, dass das eher eine Ausnahme bleibt. Es sollte ein zusätzlicher Service für Notfälle sein.

Bei den meisten Schülern ist das auch so, aber nun habe ich jemanden, der das ausgiebigst ausnutzt und persönliche Stunden, die bezahlt werden, ausgedünnt werden. Es ist meine eigene Schuld, dass ich mich da nicht so ganz klar ausgedrückt habe und ich muss es irgendwie wieder zurückfahren.

Auch auf anderen Gebieten gibt es Menschen, die immer die ganze Hand nehmen, wenn man ihnen den kleinen Finger reicht. Kennt ihr solche Leute, die solche Angebote ausnutzen? Ich bin da ein geeignetes Opfer. Ich habe beispielsweise einer Freundin angeboten, ihren Hund auszuführen, als sie eine Knieverletzung hatte.

Nun bittet sie mich öfters mal auch ohne wirkliche Not darum, weil ich mich doch anscheinend mit dem Hund so gut verstehe. Ich mag aber keine Hunde. Kennt ihr dieses Problem, dass ihr eine kleine Gefälligkeit anbietet, es aber nicht dabei bleibt? Ich überlege mir nun immer sehr, wem ich etwas anbiete und bei wem ich lieber warte, bis er mich bittet.

» blümchen » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Das tut mir sehr leid für dich, aber das liegt auch maßgeblich daran, wie du dich verhältst. Es ist sehr löblich, dass du ein netter Mensch bist, der helfen möchte, wenn andere Menschen Hilfe brauchen. Darum soll es auch gar nicht gehen, die Einstellung ist top. Allerdings wird man dann auch schnell ausgenutzt und sollte Grenzen aufzeigen. Wenn du keine Hunde magst, dann sag das doch einfach, wenn du keine Nachrichten möchtest, dann zeig die Grenze auf, bei der Schluss ist.

Du setzt die Grenzen deiner Hilfe, denn diese sollte freiwillig sein und nicht erzwungen. Ich war früher auch so und habe jedem geholfen, teilweise stundenlang meine Freizeit dafür verschleudert anderen Leuten zu helfen, allerdings hat das nichts gebracht, sie wollten mehr und mehr. Man muss also lernen sich selber anzuerkennen mit den Grenzen, die man hat und sich selber auch als wertvoll genug ansehen, damit man diese auch vor anderen Menschen vertreten kann. Das solltest du dir also mal überlegen, ob du das weiterhin so willst.

Man kann auch ganz klar mal sagen, was man möchte. Das nimmt einen kein Freund übel, das wird niemand abschrecken dir nahe zu sein, außer er wollte dich eh nur ausnutzen. Dann kannst du aber auch auf den Kontakt pfeifen.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich kenne dieses Muster leider selber allzu gut. Nicht umsonst habe ich im Leben schon zig mal Sätze wie „Du bist einfach zu gut für diese Welt“ oder „Du kannst einfach nicht ‚Nein‘ sagen“ gehört. Tatsächlich biete ich auch ehrlich und aufrichtig gerne meine Hilfe an, wenn ich sehe, dass jemand in der Not ist, und ich würde entsprechend auch nur dann einen Gefallen abschlagen, wenn es meine aktuelle Situation erfordert. Eine Gegenleistung erwarte ich normalerweise nicht, denn es gibt mir schon ein gutes Gefühl, geholfen zu haben und wertgeschätzt zu werden. Leider wird so ein zuvorkommendes Verhalten aber nicht immer mit Dankbarkeit belohnt, sondern von vielen als Einladung betrachtet, die Entlastung immer wieder einzufordern.

Sowohl in der Schule als auch später im Berufsleben lief es also schnell darauf hinaus, dass im Falle des Falles ich gefragt wurde - denn zum einen habe ich selten abgelehnt und zum anderen aus Pflichtgefühl, Gewissenhaftigkeit und Perfektionismus auch meistens ein zufriedenstellendes Ergebnis abgeliefert. Zwar glaube ich, dass ich mittlerweile um einiges standhafter bin und mich nicht mehr völlig nach Strich und Faden ausnutzen lasse, aber ich halse mir trotzdem nach wie vor mehr auf, als gut für mich ist, und stelle eher eigene Bedürfnisse als die von anderen zurück. Bei engen Freunden und Familie fällt es mir auch einfach schwer, etwas an mir abprallen zu lassen, aber das sind ja auch nicht die Menschen, die mich bewusst aus eigener Bequemlichkeit vereinnahmen. Kollegen und flüchtige Bekanntschaften kann ich da eher mal die Grenzen aufzeigen.

» MaximumEntropy » Beiträge: 8472 » Talkpoints: 838,29 » Auszeichnung für 8000 Beiträge



Das "zu gut für diese Welt" habe ich mir schon zu Schulzeiten abgewöhnt, als ich zwar bei manchen Mitschülerinnen gut genug war, um ihnen in Latein den Arsch zu retten, aber nicht cool genug, als dass man auch mal ein paar Worte mit mir redet. Und auch jetzt im Erwachsenenalter bemühe ich mich zwar, hilfsbereit zu sein, aber zu meinen Regeln und Bedingungen.

Und wem das nicht reicht, der soll sich einen anderen Deppen suchen, der sich am Ende noch darüber freut, ausgenutzt zu werden. Die gibt es ja leider wie Sand am Meer. Viele Leute, gerade Frauen, ziehen ihr Selbstwertgefühl daraus, "gebraucht" zu werden und sich aufopfern zu dürfen, und merken gar nicht, dass sie nur den Deppen vom Dienst geben.

Ich halte also natürlich Türen auf, schleppe Kinderwägen die Treppe am Bahnhof herunter und sehe zu, dass das Handy meines Vaters funktioniert. Und noch vieles andere mehr. Aber wenn es mir zu viel wird oder jemand glaubt, hier irgendwelche Ansprüche anmelden zu müssen, weil ich einmal halbwegs nett war, ist der Ofen aus, und zwar sofort. Es ist ja nicht so, als sei ich im ganzen Universum die einzige Lösung für irgendein bescheuertes Problem.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



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