Faul, wenn man lieber studiert statt Ausbildung zu machen?

vom 12.10.2017, 00:18 Uhr

In letzter Zeit geht es in den Medien wieder viel um das Thema mangelnde Fachkräfte. Heutzutage gehen viel mehr junge Menschen studieren, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Viele Ausbildungsbetriebe haben daher Schwierigkeiten Nachwuchs zu finden oder müssen mit schlechteren Schülern vorlieb nehmen.

Neulich kam dazu auch eine Sendung im Fernsehen und ein Unternehmer beschwerte sich lautstark über die schlechte Moral seiner Auszubildenden. Seiner Meinung nach sind die jungen Menschen von heute fauler geworden, da sie nun studieren anstatt eine Ausbildung zu machen. Lange oder frühe Arbeitszeiten würden viele abschrecken.

Ganz verstehen kann ich das Argument eigentlich nicht. Es kommt natürlich auf den Studiengang an. Wer auf Lehramt studiert, BWL, VWL oder Philosophie der hat sicherlich ein entspanntes Leben. Viele Juristen, Mediziner und allen voran die Naturwissenschaftler haben aber doch ein sehr hartes Studium und müssen sich über Jahre hinweg anstrengen. Wochenenden am Schreibtisch und lange Tage im Labor gehören da zum Alltag. Zudem dauert ein Studium in der Regel auch länger als eine Ausbildung und in vielen Studiengängen gehört die schlecht oder sogar gar nicht bezahlte Promotion dazu.

Könnt ihr nachvollziehen, dass man heute offenbar der Meinung ist, dass junge Menschen fauler geworden sind, da sie lieber studieren anstatt eine Ausbildung zu machen? Ist das für euch plausibel?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich halte es auch für ein schwachsinniges Argument, dass alle Studenten faul sind. Ebenso würde ich nicht partout unterschreiben, dass BWLer immer ein schönes und entspanntes Leben haben, auch wenn deren Stundenplan im Vergleich zu manch anderen um Welten anders aussieht. Nichtsdestotrotz hat jedes Studienfach seine eigenen Voraussetzungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten, und je nachdem, wie gut man mit den einzelnen Veranstaltungen zurechtkommt und wo die persönlichen Stärken und Schwächen liegen, kann es auch sein, dass sich ein eigentliches Grundlagenstudium schon kompliziert gestaltet.

Nun muss ein Student zwar nicht direkt nach dem Abi schon in die 40-Stunden-Arbeitswoche einsteigen, aber spätestens nach dem Abschluss beginnt auch für ihn der Ernst des Lebens. Niemand kann mir erzählen, dass ein Assistenzarzt, der pro Monat 9 24-Stunden-Dienste schiebt und dabei (je nach Fachrichtung) an richtige lebensbedrohliche Notfälle gerät, "fauler" sei als ein Bäcker, der um kurz vor 5 im Laden steht, um die ersten Brote in den Ofen zu packen, nur weil er vorher 6 Jahre lang studiert hat. Bei Studenten verlagert sich das Arbeitsleben vielleicht um eine gewisse Zeitspanne nach hinten, aber ich finde, dass das Studium an sich auch nicht als reines Zuckerschlecken anzusehen ist, da man viel lernen und unter- oder unbezahlt in Praktika und anderen Einsätzen häufig die Drecksarbeit machen muss.

» MaximumEntropy » Beiträge: 8472 » Talkpoints: 838,29 » Auszeichnung für 8000 Beiträge


Ich finde es offen gesagt reichlich dämlich und bescheuert, dass man eine anspruchsvolle Tätigkeit nur am Umfang der Präsenszeiten abhängig machen möchte. Nur, weil eine Ausbildung offiziell 40 Stunden pro Woche Präsenszeiten nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Berufsschule erfordert, ist man doch nicht automatisch fleißiger oder intelligenter, nur weil man eine Ausbildung macht.

Ich hatte im Studium auch meine 40-50 Stunden pro Woche, wobei ich da parallel 20 Stunden arbeiten musste und dann auch noch Vor- und Nachbereitung des Unterrichts hatte. In Hochzeiten kam ich da summa summarum auf locker 60 Wochenstunden oder mehr. Da hatte ich locker mehr zu tun als ein Azubi, auch wenn ich weniger Anwesenheitspflicht hatte.

Ich kann nur für mich sprechen und ich bitte darum, diese Aussage nicht pauschal auf alle Azubis zu beziehen. Ich gehöre zu den Menschen, die definitiv faul wären, wenn sie statt einem Studium, eine Ausbildung absolvieren würden. Ich hatte eine Zeit lang in Erwägung gezogen, eine Ausbildung statt eines Studiums zu absolvieren, hatte diverse Vorstellungsgespräche und Schnupperpraktika gehabt und habe dann festgestellt, dass ich mit einer Ausbildung maßlos unterfordert wäre. Ich hatte da schon am zweiten Tag im Betrieb grenzenlose Langeweile und bin fast durchgedreht.

Also, nur weil man längere Anwesenheitszeiten hat, ist eine Ausbildung nicht zwangsläufig anspruchsvoller oder man muss dafür fleißiger sein. Ich muss für ein Studium definitiv mehr tun als für eine Ausbildung, wobei mich das auch ausreichend fordert und mir im Studium nie langweilig gewesen ist.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Er ist sicherlich einfach gefrustet gewesen und in so einer Gefühlslage sagt man manchmal Dinge, die man so bewusst nicht sagen würde. Ich würde es also auch nicht auf die Goldwaage legen, was er da gesagt hat. Jeder, der sich mal mit einem Studium auseinandergesetzt hat, weiß dass man dafür auch etwas tun muss und teilweise auch wirklich mehr leisten muss als bei einer Ausbildung, immerhin muss man sich ja auch finanzieren.

Studenten haben nach außen hin oft das Bild des feiernden jungen Menschen, der mal eben seine Zeit absitzt, aber so ist es ja nicht und es ist harte Arbeit. Je nach Studiengang hat man ja nicht mal mehr Freizeit. Wobei ich auch verstehen kann, dass es ihn ärgert, wenn er keine Lehrlinge mehr bekommt. Problematisch sehe ich hierbei aber auch, dass Abiturienten lieber genommen werden und man bei einem Ausbildungsberuf bevorzugt wird, wenn man einen höheren Abschluss hat.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Ich finde die Argumentation relativ lustig. Ich bin belustigt, weil ich sie so schwachsinnig und kurzsichtig finde, dass ich lachen muss. Ich selber bin Student gewesen und habe übrigens auch einen Teil VWL und einen Teil BWL drin gehabt. Ich kann mich nicht beschweren, ich habe aber auch keine Vergleichsmöglichkeiten, deshalb maße ich mir nicht an zu sagen, dass es leichter oder schwerer war als zum Beispiel ein Medizinstudium. Aber entspannt würde ich auch nicht unbedingt sagen. Man muss halt etwas tun und das ist logischerweise anders als das, was man im Handwerk tut.

Dabei gebe ich mal zu bedenken, dass der Arbeitstag für einen Studenten nicht mit dem Beenden der letzten Vorlesung endet, es müssen Sachen vorbereitet und nachbereitet werden und es muss sich auf Prüfungen vorbereitet werden. Und vorlesungsfrei Zeit heißt im Übrigen auch nicht Urlaub oder so. Es ist traurig, dass so etwas noch gleichgesetzt oder verwechselt wird. Da sieht man wie wenig Ahnung die Leute von einem Studium haben und direkt sagen die Studenten sind faul und machen nichts. Das macht mich regelrecht wütend.

Ich habe auch viele Handwerker im Freundeskreis und die haben das genau so gesehen bis ich ihnen das mal erklärt habe. Einige sehen es immer noch so, das ist aber eher so, weil sie sich mal eine Meinung gefasst haben und jetzt nicht mehr davon abrücken wollen, andere habe ich überzeugen können. Noch ein Argument gegen die Faulheit von Studenten: Mittlerweile bin ich schon ein paar Jahre im Berufsleben und mache mindestens 45 Stunden die Woche und fange um kurz vor sieben Uhr morgens an zu arbeiten.

Da ich Pendler bin, heißt das für mich um halb sechs Uhr morgens aufstehen. Ich kann also die „Furcht“ vor frühen oder langen Arbeitszeiten nicht so ganz bestätigen. Außerdem kenne ich einige Handwerker, die machen ihre 40 Stundenwoche und dann lassen die den Hammer fallen. Also ich kann auch dem umgekehrten Weg bestätigen. Sicher müssen sich Meister, die einen eigenen Betrieb führen, mehr ins Zeug legen, aber einen Meister mit einem Studenten, der vielleicht gerade erst angefangen hat mit dem Studium, zu vergleichen ist die der sprichwörtliche Vergleich von Äpfeln mit Birnen.

Die Argumentation des Interviewten kann ich also nur als halbgaren Unsinn abtun. Es mag sicherlich Ausnahmen auf beiden Seiten geben, aber meiner Einschätzung nach ist das nicht die Regel. Außerdem hören viele, für die das Studium nichts ist, mit fortschreitender Semesterzahl auch wieder auf zu studieren und wählen einen Ausbildungsberuf. Auch das Wort „Fachkräftemangel“ finde ich lustig. Bin ich keine Fachkraft, nur weil ich studiert habe?

» Antalis » Beiträge: 539 » Talkpoints: 0,22 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ältere Leute oft völlig falsche Vorstellungen vom Studienalltag haben. Wobei das teilweise natürlich schon auf eigenen Erfahrungen basiert, weil sie halt in einer Zeit studiert haben, in der ganz andere Studienordnungen galten.

Ich habe mich schon mit Leuten unterhalten, die so etwas wie Anwesenheitspflicht in Seminaren überhaupt nicht kannten in ihrer Studienzeit. Natürlich denkt man dann, dass studieren etwas für "Faule" ist wenn man sich selber den Montag nach einem durchgefeierten Wochenende frei nehmen konnte ohne, dass sich das irgendwie negativ ausgewirkt hat.

Aber du selber hast ja auch Vorurteile indem du bestimmte Studiengänge als "entspanntes Leben" bezeichnest. In der Realität muss man sich nämlich gerade in vermeintlich lockeren Fächern wie Philosophie schon frühzeitig um eine berufliche Qualifikation kümmern, neben dem Studium. Als Naturwissenschaftler bekommst du die Qualifikation für deinen zukünftigen Beruf im Studium mit und musst keine extra Arbeit leisten.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


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