Familienarbeitszeit schädlich für die Wirtschaft?

vom 04.04.2017, 04:22 Uhr

Ich habe kürzlich die provokativ formulierte Meinung einer Autorin gelesen, die die Familienarbeitszeit betrifft. Die Autorin kritisierte den Vorschlag von Familienministerin Schwesig, die forderte, dass beide Eltern eben Teilzeit arbeiten und dafür vom Staat bezahlt werden. So soll eben mehr Zeit für den Nachwuchs übrig bleiben. Die Autorin lobte diesen Vorschlag als Schritt in die richtige Richtung, kritisierte ihn aber zugleich.

Denn dieser Vorschlag ist in ihren Augen Gift für die Wirtschaft und würde der Wirtschaft auf Dauer gesehen schaden. Aktuell wäre die Erwerbsquote so hoch wie schon lange nicht mehr und die Unternehmen hätten einfach Bedarf und könnten ihren Arbeitskräftebedarf kaum decken. Jetzt alle Eltern in Teilzeit zu stecken wäre in ihren Augen fatal und kontraproduktiv. Sollte man daher die Familienarbeitszeit gar nicht erst einsetzen, damit die Wirtschaft keinen Schaden nimmt? Oder ist die Autorin zu pessimistisch?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich kenne den Vorschlag im Detail nun nicht. Ich finde es aber durchaus gut, wenn man seinen Mitarbeitern beispielsweise anbietet in Teilzeit arbeiten gehen zu können und dann muss man meiner Meinung nach aber auch damit leben, was man bekommt. Aufstocken finde ich in dem Punkt nicht gut, höchstens bei einer Person. Das Kind ist ja auch durchaus versorgt, wenn es in Schule oder Kindergarten geht und wenn man sich dementsprechend organisiert ist das sicherlich auch ohne Teilzeitjob machbar.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ramones, du lebst in einer Traumwelt. Wie soll die typische Kinderbetreuung im Westen eine Vollzeitstelle ermöglichen? Nehmen wir einfach nur die Ganztagsgrundschule, die geht von acht bis sechzehn Uhr. Super, das sind acht Stunden. Die Eltern arbeiten aber täglich acht Stunden plus gesetzlich vorgeschriebene Pause und die Anfahrt.

Nur wenn ein Partner so früh anfangen kann, dass er um sechzehn Uhr zuverlässig zu Hause ist, und der andere erst los muss, wenn das Kind in der Schule ist, klappt das. Die Kombination hat aber kaum jemand. Und der Kindergarten? Ohne Kinderbetreuung durch den Arbeitgeber hätte ich nicht Vollzeit arbeiten können. Kindergarten von acht bis zwölf war alles, was es auf dem Land gab.

Die wenigen Plätze bis sechzehn Uhr waren logischerweise für Alleinerziehende reserviert. Und am Arbeitsplatz war man ortsfremd und bekam nur einen Platz, wenn den keine Eltern vor Ort benötigen. Die brauchten aber alle Plätze. Und spätestens in den Ferien wird es bitter. Hier in der Stadt bekommt man sein Kind mit Glück unter, aber das kostet 75 Euro pro Woche. Auf dem Land war ich auf nette Nachbarinnen ohne Job angewiesen.

Dazu kommt die im Westen immer noch erwartete Elternarbeit. Zur Betreuung bei den Hausaufgaben kommen hier regelmäßige Einsätze im Kindergarten und in der Nachmittagsbetreuung. Das System geht hier oft immer noch von der Hausfrau aus, die ja Zeit hat.

Weniger Arbeiten ist übrigens in anderen Ländern durchaus üblich. In den Niederlanden arbeiten Eltern typischerweise beide nur dreißig Stunden pro Woche. In Irland nimmt man für die Sommerferien zwölf Wochen unbezahlten Urlaub. In Italien nutzen Mütter Arbeitslosengeld, um über die Runden zu kommen.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Ich finde nicht, dass die "Wirtschaft" und ihr Florieren das höchste Gut sein kann, dem auch der Privatmensch alles andere, auch die Familie und die Chance, seine Kinder auch zumindest teilweise selber zu erziehen, unterzuordnen hat, und ich glaube auch nicht, dass die "Wirtschaft" in einem boomenden Land voller kreativer Köpfe wie Deutschland nur dann nicht auf das Niveau von Papua-Neuguinea absackt, wenn jeder arbeitsfähige Deutsche unabhängig vom Familienstand mindestens 40 Wochenstunden herunterreißt. Dann kriegt endgültig kein arbeitsfähiger und -williger Mensch mehr Kinder, weil er oder sie den Nachwuchs dann gleich komplett in die Hand des Staates geben und institutionell großziehen lassen kann.

Nur fürs Schlafen lohnt es sich dann nämlich auch kaum noch, die Kinder mit nach Hause zu nehmen. Hier ist meiner Meinung nach Kreativität und Aufgeschlossenheit gegenüber unkonventionellen Lösungen gefragt, damit das Leben auch für Familien in Deutschland lebenswert bleibt und man nicht vor der Wahl zwischen "Ich sehe meine Kinder nur Sonntag nachmittag" und einem Leben an der Armutsgrenze steht, wenn man sich zu Nachwuchs durchringt.

Wenn es also von Staats wegen gewünscht ist, dass die Bürger einerseits qualifizierte Arbeit leisten und so den allgemeinen gesellschaftlichen und kulturellen Wohlstand ermöglichen, und andererseits auch der Überalterung der Gesellschaft entgegen wirken sollen, muss man deutlich spürbare finanzielle Anreize schaffen, die auch den Leuten entgegenkommen, die ihre Kinder nicht 16 Stunden am Tag professionellen ErzieherInnen anvertrauen wollen oder können.

» Gerbera » Beiträge: 11332 » Talkpoints: 52,90 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



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