Fair, Medizinstudenten für Arbeit nicht zu bezahlen?

vom 27.01.2017, 08:45 Uhr

Meine Chefin hatte vor einiger Zeit angemerkt, dass sie auf der Suche nach Studentischen Hilfskräften für ein neues Projekt wäre. Es wurde dann auch gesagt, dass die Studenten im Rahmen des Projektes durchaus eine Abschlussarbeit verfassen dürften und es war dann auch bekannt, für welchen Stundenumfang die Studenten eingestellt werden sollten.

Im Endeffekt haben sich dann auch zwei Interessenten gefunden, die sich an dem Projekt beteiligen möchten. Genau genommen sind es zwei Medizinstudenten, die ihre Doktorarbeiten im Rahmen des Projektes schreiben wollen. Als ich mich erkundigt habe, wann die beiden denn eingestellt werden würden (weil unsere Personalverwaltung ziemlich langsam ist) meinte meine Chefin nur, dass Doktoranden aus der Medizin nie für ihre Arbeit bezahlt werden würden, was mich dann doch überrascht hat, weil ich das vorher eben anders verstanden hatte.

Um ehrlich zu sein finde ich das sogar ein bisschen unfair. Denn ein Kollege von mir hat vor kurzem den Master an der örtlichen Uni abgeschlossen und im Rahmen eines anderen Projektes auch seine Abschlussarbeit geschrieben und der wurde die ganze Zeit bezahlt dafür. Daher bin ich der Meinung, dass man bei Medizinstudenten keine Ausnahme machen sollte, zumal der Promotionsprozess bei Medizinern wohl mindestens ein Jahr dauern soll und ein Jahr ohne Bezahlung arbeiten finde ich schon krass. Wie seht ihr das? Ist es fair, Medizinstudenten für ihre Arbeit nicht zu bezahlen?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Arbeit ohne Bezahlung ist im Medizinstudium leider gang und gäbe. Das fängt schon in den ersten Semestern damit an, dass drei Monate Pflegepraktikum bis zur ersten Zwischenprüfung abgeleistet werden müssen - in der vorlesungsfreien Zeit und in der Regel ohne Entlohnung. Nach dem Physikum stehen dann in ähnlicher Form vier Monate Famulatur an. Auch das ist vergleichbar mit einem Fulltime-Job auf Zeit, und auch hierfür gibt es offiziell kein Geld. Manche Häuser handhaben es zumindest so, dass sie den Studenten ein kostenloses Mittagessen in der Kantine anbieten, aber Pflicht ist das keine und wird demnach auch nicht überall so gemacht. Bis zu seinem Examen arbeitet der klassische Medizinstudent also in jedem Fall schon mal 7 ganze Monate umsonst.

Das Praktische Jahr nach dem zweiten Staatsexamen wird zwar je nach Krankenhaus und Bundesland mit bis zu 400 € im Monat vergütet, aber der Stundenlohn, der sich dabei errechnet, ist eigentlich auch eher ein Witz; und meist reicht diese Summe nicht einmal aus, um die Miete der Studentenwohnung zu decken. Dabei ist man dafür täglich 7 bis 8 Stunden auf der Arbeit, also ist es auch gar nicht so leicht, sich nebenbei noch etwas dazuzuverdienen. Da bleiben nur Wochenenden und Nachtschichten, wenn jemand darauf angewiesen ist. Und ja, auch für die Tätigkeit im Rahmen der Doktorarbeit ist eigentlich kein Gehalt vorgesehen - und so eine Arbeit kann sich durchaus in einem Zeitrahmen von einem halben Jahr bis zu mehreren Jahren bewegen, je nach Aufwand und Typ der Dissertation.

Ist das fair? Meiner Meinung nach ein ganz klares nein. Aber leider wird sich daran wohl kaum etwas ändern, denn "es war ja schon immer so" und kommt allen anderen Beteiligten eigentlich nur zugute. Es ist wirklich erschreckend, dass der normale Stationsalltag teilweise nur noch durch Praktikanten und Famulanten aufrecht erhalten werden kann, weil es an qualifiziertem Personal an allen Ecken und Enden mangelt. Das darf eigentlich überhaupt nicht so ablaufen, zumal Medizinstudenten auch versicherungstechnisch nicht einfach jede Tätigkeit delegiert bekommen dürfen.

De facto ist es aber so, dass sie für Aufgaben herangezogen werden, die weder ihrem Tätigkeitsbereich noch ihrer Kompetenz entsprechen - schlicht und ergreifend deshalb, weil ansonsten die Versorgung der Patienten noch weiter gekürzt werden müsste als ohnehin schon. In meinen Augen ist dieser Zustand untragbar, und nicht wenige Studenten fühlen sich in den Praktika - nicht ganz zu Unrecht - auch extrem ausgenutzt. Aber da ist das System bisweilen leider noch unerschütterlich.

» MaximumEntropy » Beiträge: 8472 » Talkpoints: 838,29 » Auszeichnung für 8000 Beiträge


Ich finde es auch mehr als unfair, dass man obwohl man wirklich voll arbeitet keinen Lohn dafür bekommt. MaximumEntropy hat die Zustände wirklich sehr gut beschrieben. Es ist ja nicht mal nur, dass man umsonst arbeitet, man kann sich aufgrund der Stunden, die man ableistet und der Anstrengung, die mit den Stunden einher geht auch kaum etwas anderes suchen, muss es aber um sich finanziell nicht in den Ruin zu stürzen. Meiner Meinung nach muss jede Arbeit, die geleistet wird auch honoriert werden, aber wer will sich schon großartig darüber beschweren und bei wem?

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Das ist nicht fair, aber es ist normal. Das ist in der Tiermedizin übrigens nicht anders. In München gab es lange, auch schon mit Mindestlohn, einen Zehner pro Monat für eine Vollzeitstelle. Auch 400 Euro für eine Viertel Doktorandenstelle bei Vollzeit sind normal. Und wenn du einen Diplomate machen möchtest, dann plane besser fünf Jahre mit Taschengeld oder ohne Bezahlung ein.

Die Begründung ist ganz einfach. Du leistest gar keine echte Arbeit, du arbeitest nur Routinetätigkeiten ab, die deiner Ausbildung dienen. Dass ansonsten jemand für den Job bezahlt werden müsste, das ist egal. Die Uni verlassen und in einer Praxis arbeiten, ist auch nicht witzig. Jeder dritte angestellte Tierarzt verdient weniger als den Mindestlohn. Bei Humanmedizinern ist die Durststrecke kürzer.

» cooper75 » Beiträge: 13423 » Talkpoints: 517,99 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



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