Fahrrad fahren ein Zeichen von Integration?

vom 23.10.2016, 18:55 Uhr

Ich habe vor einiger Zeit einen sehr interessanten Vortrag gehört. Bei diesem Vortrag ging es unter anderem um die Häufigkeit der Fahrradnutzung bei Schülern in Abhängigkeit von Migrationshintergrund und Bildungsstatus. Der Redner hatte dieses Thema für seine Dissertation ausgesucht und war jetzt dabei, dieses anderen eben vorzustellen. Ich fand es auf jeden Fall sehr interessant und aufschlussreich.

Der Redner erwähnte dann auch, dass er bei seiner Untersuchung herausgefunden hätte, dass weibliche Migrantenkinder viel weniger Fahrrad fahren würden als die männlichen Migrantenkinder oder die einheimische Vergleichsgruppe. Er hat daraus geschlossen, dass das ein Zeichen von Integration wäre. Die Jungen wären wohl risikobewusster und würden sich mehr Sachen trauen, aber wenn die Eltern hier noch nicht so integriert wären, dann würden sie mehr auf ihre Töchter achten und das Fahrrad fahren als gefährlich ansehen. Daher würden die Migrantentöchter viel weniger gefördert werden, wenn es um das Fahrrad fahren geht und viele könnten das auch gar nicht. Die Migrantentöchter, die das könnten, würden auf integrierte und aufgeschlossene Eltern deuten, so der Redner.

Ich bin jetzt nicht mit seinen Methoden vertraut, finde das aber interessant. Ich finde aber, dass man hier nicht unbedingt eine Kausalität ableiten könnte. Es hängt doch auch sehr viel vom Wohnort ab. In der Stadt, wo alle zwei Minuten eine Bahn fährt, ist das Fahrrad fahren doch mehr oder weniger überflüssig oder jedenfalls nicht notwendig. Es können nicht mal alle Einheimischen Fahrrad fahren, auch weil sie es vielleicht nicht lernen wollten. Wie seht ihr das? Ist Fahrrad fahren für euch ein Zeichen von Integration von Migranten?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich denke mal, dass dabei viele andere Sachen außen vor gelassen wurden, wie du ja auch schon selbst überlegt hast.

Solange die "Testgruppe" aus demselben Gebiet kommt, mag so etwas ja eventuell zumindest irgendwas aussagen, würde man dagegen aber beispielsweise vergleichen, wie viele fünfjährige Mädchen in der Stadtmitte und wie viele zehnjährige Jungen auf dem Land radeln können, dann wäre von Anfang an klar, dass die Jungen da besser abschneiden. Ältere Kinder können eben generell eher Fahrradfahren als Jüngere, und in der Stadt ist es auch weniger wichtig als auf dem Land.

Auch würde ich mich fragen, wie es denn bei Geschwisterkindern aussieht. Gibt es viele Familien, wo der Sohn Fahrradfahren kann, die Tochter im selben Alter aber nicht? Dann könnte man vielleicht sagen, dass es darauf hindeutet, dass die Mädchen mehr "beschützt" werden sollen. Wenn dagegen nur Einzelkinder überprüft wurden, ist das ja eventuell wieder anders, da viele Eltern soweit ich weiß generell bei Mädchen vorsichtiger sind als bei Jungen, egal bei welcher Kultur. Gibt ja diverse Witze über Eltern, die dem Partner der Tochter drohen, dass er ja vorsichtig mit ihr sein solle, aber ich habe bisher nicht einen gesehen, wo der Sohn vor seiner Partnerin "geschützt" werden sollte.

Wurden die Kinder gefragt, ob sie Fahrradfahren lernen wollten? Es könnte ja sein, dass die Eltern es eben nur dann beigebracht haben, wenn das Kind auch gesagt hat, es wolle das lernen. Da müsste man dann auf den Freundeskreis schauen, immerhin will man gerne Sachen können, die Freunde auch können. Und dann müsste man noch überlegen, ob der Unterschied in dem Falle dann wäre, weil die Eltern ihre Töchter nicht genug ermutigen, wodurch sie und ihre Freundinnen es nicht können und deshalb kein Interesse haben, es zu lernen, oder ob es wegen dem alten Klischee ist, dass Jungen mehr an Sport interessiert sind und es deshalb lernen wollen, egal, ob und wie die Eltern ermutigen.

Man kann also denke ich nicht einfach irgendein Kriterium raussuchen und damit dann irgendwelche Behauptungen aufstellen, dafür müsste man erstmal alle möglichen anderen Gründe, woher so ein Unterschied kommen könnte, ebenfalls untersuchen. Wenn das Verhältnis bei allen Umständen außer einem, in diesem Fall Integrationsgrad, gleich ist, dann kann man so eine Behauptung vielleicht aufstellen, aber ansonsten zweifle ich da doch stark dran.

» Kalu-chan » Beiträge: 718 » Talkpoints: 11,85 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Warum hängt das nur von den öffentlichen Verkehrsmittel ab? Du vergisst, dass die Karten für die Fahrten immer etwas kosten und das Fahrrad einmalig angeschafft wird. Somit ist das ein billigste Fortbewegungsmittel welches rund um die Uhr dauerhaft zur Verfügung steht und man nicht auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen ist, die nachts vielleicht gar nicht fahren.

Die Kosten für ein gebrauchtes Rad liegen hier bei 20 Euro. Eine Monatskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel bei 55 Euro, somit ist das nach 14 Tagen wieder drinnen und ich kann mit dem Rad über mehrere Monate fahren und muss nicht jeden Monat ein neues Ticket kaufen. Daher ist es auch lukrativ, da auch nicht jeder Migrant der hier ankommt eine Jahreskarte für die Bahn gesponsort bekommt.

Zum anderen mach dir mal Gedanken warum der Unterschied zwischen Mädchen und Jungen besteht. Mädchen werden in einigen Ländern als Dienstmagd angesehen, haben außer Kinder bekommen, heiraten und Haushalt machen nichts zu tun und dürfen nicht einmal die Schule besuchen. Jungen dagegen haben alle Freiheiten und brauchen nur mit dem Finger zu schnippen um etwas zu bekommen, klar ist das Grundverständnis ein anderes wenn man beiden Geschlechtern ein Rad hinstellt und sagt "mach mal". Mädchen werden sich an ihre erzwungene Rolle erinnern und nicht machen, da ihnen nie vermittelt worden ist das jemals zu brauchen. Jungen dagegen sehen es als Selbstverständlich an so etwas in den Hintern gesteckt zu bekommen.

Ich sehe es nicht als ein Zeichen von Integration wenn jemand hier das Fahrradfahren erlernt. Viel mehr ist das eine Sinnvolle Sache, da sie dann zum einen Beschäftigung haben und auch ein Fortbewegungsmittel welches so gut wie keinen Unterhalt kostet. Damit sind sie flexibler und kommen auch mal selbstständig und ohne Fahrdienst von A nach B. Aber Integration ist das sicherlich nicht, dass wäre die Sprache erlernen, sich hier mit den Regeln und Gesetzen vertraut machen, Schule besuchen und in die Gesellschaft einbringen anstatt sich nur mit seinesgleichen zu verschanzen. Radfahren mag eine Brücke sein um Kontakte zu anderen knüpfen da sich der Radius erweitert und man auch ein gemeinsames Interesse mit anderen hat, aber definitiv nicht notwendig um sich zu Integrieren.

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» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge



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