Entsteht durch soziale Netzwerke eine falsche Nähe?
Ich habe kürzlich im Radio ein Interview mit einer bekannten Person gehört und es ging dabei auch um unfreundliche Kommentare in sozialen Netzwerken. Derjenige, der interviewt wurde, meinte in dem Zusammenhang, dass die Nutzer dadurch, dass man im sozialen Netzwerk „befreundet“ ist, auch mit den Leuten so redet, wie man es sonst nur mit Freunden machen würde, wenn überhaupt. Durch diese angeblichen Freundschaften würde eine falsche Nähe empfunden werden, die eigentlich aber gar nicht da wäre.
Ich muss sagen, dass ich selber nicht in so einem Netzwerk angemeldet bin, aber ich fand die Argumentation durchaus schlüssig. Sicher wird allgemein der Ton im Internet rauer, aber ich kann mir schon vorstellen, dass manche Menschen einfach das Gefühl haben, mit den Leuten wie mit Freunden reden zu können, mit denen sie im sozialen Netzwerk befreundet sind, auch wenn man sich vielleicht gar nicht kennt.
Habt ihr so etwas auch schon mal beobachtet und würdet ihr den Beobachtungen dieses Menschen zustimmen, der da interviewt wurde? Oder würdet ihr da gar keinen Zusammenhang sehen und denkt ihr, dass es einfach allgemein eine Entwicklung ist, dass im Internet die Leute an einigen Stellen unhöflicher werden?
Ich bin schon in solchen Netzwerken angemeldet und bin teilweise wirklich auch sehr erstaunt über die Ausdrucksweise und Wortwahl im Netz. Ich sehe das aber dennoch ein wenig anders. Klar redet man im Netz schneller mal Personen mit "Du" an welche man im realen Leben wohl nicht unbedingt "duzen" würde bzw. würde man erstmal auf das Angebot warten. Dies würde für eine falsche Nähe sprechen.
Aber das Hauptproblem in sozialen Netzwerken ist meiner Meinung nach nicht die falsche Nähe sondern - ganz im Gegenteil - die räumliche Distanz und teilweise auch Anonymität. Was da für beleidigende und unverschämte Äußerungen fallen - ich wünsche wirklich keinem Menschen, dass er solche Kommentare im realen Leben von Freunden oder Bekannten gesagt bekommt. Ich wette auch, dass viele Menschen überhaupt nicht den Mum hätten solche Worte Menschen in die Augen zu sagen. Sie machen sich somit die digitale Welt und somit die räumliche Distanz zu nutzen. Es gibt auch immer noch zahlreiche Profile die unter Alias-Namen laufen und da kommt dann zusätzlich noch der Aspekt der Anonymität ins Spiel.
Ich glaube es liegt einfach daran, dass die Hemmschwelle geringer ist. In einem sozialen Netzwerk muss man weder ein richtiges Bild, noch einen richtigen Namen verwenden und da fängt es doch schon an. Wenn ich nun jemanden gegenüberstehe und möchte dem meine Meinung sagen, dann werde ich es freundlicher machen als vielleicht im Internet. Das hat den einfachen Grund, dass man die direkte Reaktion zu spüren bekommt. Wenn ich mein Gegenüber also beleidige, kann es gut sein, dass dieser körperlich reagiert, im Netz passiert das nicht und selbst die wüstesten Beschimpfungen sind nur Worte.
Ich denke, dass die Anrede deutlich weniger förmlich ist in sozialen Netzwerken, man sich durchaus einer relativen fremden Person näher fühlt als man es eigentlich machen würde. Dennoch glaube ich nicht, dass diese falsche Nähe maßgeblich daran Schuld sein soll, dass Hass verbreitet wird und man eher mal seine Meinung äußert. Selbst seinen Freund würde ich nicht online beleidigen, da das jeder lesen kann und ich Freunde nicht beleidige.
Ich habe schon häufiger Aussagen nach dem Motto "ich wusste gar nicht, dass XY das wirklich ließt" gehört wenn Leute zu ihren unangemessenen Kommentaren an Prominente befragt wurden. Und mit der ganzen Situation konfrontiert war ihnen das dann auch meistens irgendwie peinlich.
Spricht für mich nicht gerade von gefühlter Nähe sondern eher von gefühlter Distanz. Denn wenn ich mit Freunden spreche erwarte ich ja, dass sie zuhören und auch antworten. Ich erwarte nicht, dass ich meine dämliche, irrelevante Meinung völlig ungefiltert von mir geben kann und keine Reaktion kommt.
Wie Cloudy hätte ich auch spontan behauptet, durch soziale Netzwerke entstünde keine Illusion der "Nähe", sondern der Distanz. Ich nutze selbige zwar nur äußerst sporadisch, bekomme aber den ein oder anderen Shitstorm auch mit. Und nach meiner Logik würde nur ein Bruchteil derer, die sich über Facebook und Co, sagen wir, daneben benehmen, vor die betreffende Person hintreten oder sie anrufen und ihr mitteilen, dass es ihr ganz recht geschähe, in eine dunkle Gasse gezerrt, vergewaltigt und mit einer Zaunlatte erschlagen zu werden. Gerade Frauen des öffentlichen Lebens bekommen solche Aussagen sicher öfter über soziale Netzwerke zu hören als von Angesicht zu Angesicht.
Von daher erscheint es mir als Trugschluss, dass die sozialen Netzwerke pauschal "Nähe" erzeugen. Alle Medien können zum Guten wie zum Schlechten eingesetzt werden, und wenn man es darauf anlegt, kann man durchaus das Gefühl bekommen, am Leben einer anderen Person unmittelbar teilnehmen zu können. Aber würde daraus ein Gefühl der Nähe entstehen, würde man doch nicht ohne jede Hemmschwelle über die Leute herfallen.
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