Einen Menschen nach Arbeit und Leistung beurteilen?
In der heutigen Gesellschaft fällt mir immer wieder auf, dass viele einen Menschen hauptsächlich nach seiner Arbeit und Leistung beurteilen. Ein Bekannter ist Frührentner und macht zu Hause den Haushalt, kümmert sich um die Haustiere und macht alles, was in Haus und Garten anfällt. Dazu macht er dann auch noch das Holz selbst, was im Winter für die Öfen gebraucht wird und hilft eben in der Familie, wenn irgendwo Hilfe gebraucht wird.
Dennoch kommt mir immer wieder zu Ohren, dass gesagt wird, dass er ja viel Zeit haben müsste und sich mehr oder wenig darüber lustig gemacht wird, wenn er eben sagt, dass er viel zu tun und keine Zeit für ein Schwätzchen hat. Es wird dann immer so abgewunken, als würde er sich nur wichtig machen wollen.
Oftmals wird auch eine Frau komisch angesehen, wenn sie eben sagt, dass sie Hausfrau ist und ansonsten nicht noch arbeiten geht. Man scheint einfach als Mensch nichts wert zu sein, wenn man nicht offiziell arbeitet. Das finde ich schon irgendwie traurig, da doch mehr einen Menschen ausmacht, als nur seine Arbeit oder die Leistungen die er erbringt.
Beurteilt ihr einen Menschen auch nur nach seiner Arbeit und Leistung? Wie reagiert ihr darauf, wenn euch jemand auf die Arbeit reduziert? Warum ist das heute anscheinend normal so? Wie erklärt ihr euch das?
Der Beruf ist eben ein großer Teil der Identität. Ich finde es ja auch eher langweilig über meinen Beruf definiert zu werden, weil ich andere Dinge, die ich in meinem Leben machen, deutlich interessanter finde als das, womit ich mein Geld verdiene. Außerdem unterhalte ich mich lieber über Hobbys und solche Sachen, weil viele mit meinem Job eh nicht viel anfangen können und schnell das Interesse verlieren.
Und da die meisten Menschen es ganz gut schaffen einer geregelten Arbeit nachzugehen und ihr Haus trotzdem nicht im Chaos versinkt und ihre Haustiere trotzdem nicht verhungern ist es wohl auch normal, dass man es dann nicht als vollwertige Arbeit ansieht, wenn jemand den ganzen Tag nur das macht, was die meisten anderen Menschen nach Feierabend und am Wochenende erledigen.
Ich finde das ehrlich gesagt immer Jammern auf sehr hohem Niveau wenn sich Hausfrauen beklagen wie traurig es doch sei, dass niemand ihre Leistungen anerkennt. Die meisten Menschen könnten sich diesen Luxus nämlich überhaupt nicht erlauben, die sind darauf angewiesen, dass das Kind so bald wie möglich einen Kita Platz bekommt damit sie zurück in den Beruf können weil sie in Städten mit ständig steigenden Lebenshaltungskosten leben, in denen ein Gehalt auf Dauer einfach nicht ausreicht.
Ich würde das Problem auch noch eine Stufe höher suchen. Wir leben in einer sehr konsumorientierten Gesellschaft. Viele Menschen definieren sich nicht unbedingt über die Arbeit, sondern oftmals über die Dinge, die sie konsumieren. Ganz oben steht oft das Auto, aber auch Reisen oder Gebrauchsgegenstände können dazu gehören. Selbst die Wohnung oder das Haus und die Einrichtung kann man teilweise als Konsumgut ansehen.
Der Beruf spiegelt für einen konsumorientierten Menschen wider, was sich ein Mensch leisten kann. Schließlich kann man den Verdienst zumindest grob einordnen oder bildet sich zumindest ein, dass man dies tun kann. Somit wird der Beruf zu einem wichtigen Statussymbol.
Das ist natürlich eine unzulängliche Vereinfachung, da vorhandenes Vermögen und das Sparverhalten völlig ignoriert wird. Aber man bedient sich eben gerne solchen Vereinfachungen.
Bei Hausfrauen gilt das im Prinzip genauso. Man möchte ja viel konsumieren, also redet man sich ein, man könne nur mit zwei berufstätigen Elternteilen überleben. Es kommt aber noch ein anderer Aspekt dazu. Heutzutage wird die "klassische" Familie fast schon geächtet, weil die nach einer weit verbreiteten Ansicht nur der Unterdrückung der Frauen dient. Dass es Frauen gibt, die sich die klassische Familie durchaus wünschen und man durch dieses Ächten genauso wieder Druck auf diejenigen ausübt, fällt gerne mal unter den Tisch.
Willkommen im Kapitalismus, wie ich immer zu sagen pflege. Schon im Kinderbuch vom "kleinen Prinzen" bemängelt der Erzähler, dass die "großen Leute" Kinder nie fragen, welche Spiele der neue Schulkamerad liebt, sondern nur, wie viel sein Vater verdient. Und seitdem hat sich das Prinzip der Leistungsgesellschaft noch viel stärker und umfassender festgesetzt.
Wenn jemand beispielsweise irgendein Hobby pflegt, gibt es auch immer wieder wohlmeinende Ratschläge, wie man Geld damit verdienen könnte. Und bei den ganz sinnfreien Sachen auch immer das staunende: Und dafür hast du Zeit/gibst du Geld aus? Ja, Annegret-Sabine, ich male gern, auch wenn niemand jemals eins meiner Bilder kaufen wird. Darauf kommt es nämlich nicht an.
Man merkt, ich finde es auch reichlich ermüdend, wenn nur darauf geschielt wird, welchen Urlaub sich jemand leisten kann oder der ganze Charakter einer Person daraus hervorzugehen scheint, ob jemand Wachmann, Banker oder Erzieher von Beruf ist. Aber ich kann nicht viel dagegen tun, außer auf derlei Gesprächsthemen nicht gesondert einzugehen und diesbezügliche Spitzen geflissentlich zu ignorieren.
Ich schaue auch keine "Hausfrauen" mehr komisch an, obwohl ich dem überkommenen Hauptverdiener-Altersarmut-Modell nicht viel abgewinnen kann. Es ist eben verdammt schwer, aus dem gängigen System, das jeden in eine bestimmte Rolle drängt, auszubrechen. Mitschwimmen ist meistens schon anstrengend genug.
Nun gut ich sage es mal so. Was genau erwartet ihr denn? Natürlich ist es nicht fair jemanden nur nach seiner Arbeit zu beurteilen. Aber sehen wir es doch mal ganz sachlich. Die Woche hat 168 Stunden. Wenn man jeden Tag 6 Stunden schläft bleiben noch 126 Stunden über. Davon geht noch ein bisschen was fürs Einkaufen drauf, für Wege die wir hin und her fahren und schon sind wir vielleicht noch bei 100 Stunden.
Und was machen wir eben den Großteil dieser 100 Stunden, die wir für etwas Produktives einsetzen können? Richtig die meisten von uns dürften davon sicherlich zwischen 35 und 50 Stunden arbeiten, also teilweise die Hälfte unserer halbwegs produktiven Zeit. Die Arbeit ist eben nun einmal für die meisten Menschen der zeitlich aufwendigste Teil ihres Lebens und damit eben auch ein großer Bestandteil des Lebens. Wer von uns verbringt schon in der Woche 30 Stunden mit seinem Hobby?
Für viele dürfte es doch schon ein Luxus sein, wenn sie am Tag überhaupt eine Stunde für ihr Hobby haben. Von daher kann ich eben schon sehr wohl nachvollziehen, dass die Arbeit in Gesprächen über Personen ein sehr wichtiger und interessanter Aspekt ist. Und es gibt ja eben auch durchaus noch Leute, die arbeiten gerne, haben sozusagen ihr Hobby zum Beruf gemacht oder haben eine Arbeit, die zumindest ihre Fähigkeiten und Interessen widerspiegelt. Das gibt es ja auch heute noch.
Und es ist ja eben auch durchaus so, dass wir über die Arbeit ja auch gewisse Eigenschaften einer Person ableiten können. Das klappt nicht immer, aber man kann dann schon manchmal einige Sachen einordnen.
Um bei deinem Beispiel mit dem Frührentner zu bleiben. Ich will das ja gar nicht in Abrede stellen, dass der sicherlich viel zu tun hat. Das was die Arbeitstätigen dann eben nach Feierabend machen und dabei manchmal nicht wirklich gründlich sind, macht er halt wahrscheinlich ordentlicher. Er geht dann vermutlich mit den Tieren auch mal eine größere Runde Gassi, statt bloß schnell fürs kleine und große Geschäft.
Aber auf der anderen Seiten würde ich dann schon denken, wenn mir so jemand sagt, er habe keine Zeit für ein kurzes Gespräch, dass er einfach keine Lust hat. Nicht weil er nicht genug Arbeit hätte, aber seine Arbeit kann er doch frei einteilen oder halt mal etwas weniger machen und sich die paar Minuten nehmen. Es ist ja schon etwas anderes, wenn da jemand von der Arbeit nach Hause kommt und 15 Minuten später das Kind zum Sportverein fahren muss. Da kannst du ja schlecht warten.
Also ich denke schon, dass es nicht richtig ist jemand allein an Hand seiner Arbeit zu beurteilen, aber sie ist eben ein wichtiger und einnehmender Faktor in den meisten unserer Leben. Das sollte man halt auch nicht vergessen.
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