Eine Krankheit gar nicht als Krankheit empfinden?
Ich habe die letzten Tage sehr aufmerksam in diesem Beitrag gelesen, wobei ich da den Eindruck habe, selbst falsch verkabelt zu sein. Denn dort ist häufiger von der "Krankheit" der Gesichtsblindheit die Rede. Auch bei Wikipedia ist in diesem Kontext die Rede von einer "Krankheit". Ich kann mich ehrlich gesagt nicht mit diesem Wort in diesem Kontext anfreunden, da eine Krankheit für mich etwas komplett anderes ist.
Ich selbst habe seit ich denken kann diese Gesichtsblindheit, wobei ich mich aber nie deswegen krank oder gehandicapt gefühlt habe. Ich bin einfach so. Für mich ist das einfach ein Merkmal der Persönlichkeit und des Charakters. Es ist ja auch jeder anders, was die bevorzugte Art von Humor angeht. Manche Menschen sind eher sprachlich begabt, andere eher technisch oder naturwissenschaftlich. Manche Menschen können eben schnell und gut auswendig lernen, andere müssen die Prozesse und Strukturen, also die Logik hinter etwas begreifen und tun sich schwer mit Auswendig lernen.
Ich finde es ehrlich gesagt falsch, wenn man jemanden direkt als "krank" bezeichnet, nur weil diese Person eben anders tickt, zumal ich mich wie gesagt nie "krank" oder eingeschränkt gefühlt habe. Durch meine Bewältigungsstrategien fällt meine Gesichtsblindheit im Alltag nie auf. Für mich ist eine Person auch gar nicht "krank", die Rot und Grün nicht unterscheiden kann. Das ist für mich einfach eine andere Wahrnehmung und fertig. Ist man in euren Augen automatisch auch krank, wenn man von der Norm abweicht? Oder ist man erst krank mit entsprechenden Symptomen?
Dass Gesichtsblindheit als Krankheit geführt wird, wusste ich gar nicht. Für mein Gefühl wäre es vielleicht auch keine, wobei ich mir das schon recht belastend vorstellen kann. Ich kenne es von Diabetikern, dass sie sich oft nicht als krank empfinden und selbst ein bekannter Wissenschaftler auf dem Gebiet prägte für Diabetes den Begriff "bedingt gesund". Das kann man sehen wie man will, aber eine Krankheit wie beim Typ 1, die unbehandelt schon nach kurzer Zeit zum Tod führen kann, bleibt für mich eine Krankheit.
Für manche ist das dann sicher ein Weg, um mit der Krankheit umzugehen. Solange man gut zurecht kommt, keine Schmerzen hat und sich ansonsten in keiner Weise gesundheitlich eingeschränkt fühlt, ist es vielleicht auch nachvollziehbar, sich nicht krank zu fühlen. Was man selbst als Krankheit für sich definiert und was von der Medizin als solche definiert ist, kann schon unterschiedlich sein. Ich könnte mir vorstellen, dass auch manche Patienten mit Bluthochdruck sich gar nicht als krank ansehen, weil man es oft eben nicht merkt.
Umgekehrt kann man sich auch krank fühlen bei Dingen, die medizinisch gesehen keinen Krankheitswert haben, wie bei Leuten mit zu niedrigem Blutdruck. Wer öfter mit dem Umfallen, Ohnmachten und vielen Körpersymptomen zu tun hat, wird sicher nur müde lächeln können, wenn ihm der Arzt versichert, dies hätte keinen Krankheitswert.
Warum die Gesichtsblindheit eine Krankheit, liegt in der Geschichte der Erkrankung. Entdeckt worden ist das Phänomen bei Patienten mit Hirnverletzungen. Die konnten vor dem Vorfall Menschen unterscheiden, danach erkannten sie weder Familienmitglieder, noch konnten sie das Pflegepersonal unterscheiden.
Das erfüllt nun alle Anforderungen an eine Krankheit. Die physischen oder psychischen Gegebenheiten weichen deutlich von der Norm ab und die Patienten fühlen sich damit unwohl. Wer früher Gesichter erkannt hat, fühlt sich ohne diese Fähigkeit eben nicht sonderlich selbstsicher und das Wohlbefinden ist beeinträchtigt.
Dazu kommt die Stärke der Ausprägung. Wer eine Gesichtsblindheit nach einer Kopfverletzung, wegen eines Tumors oder aufgrund eines Schlaganfalls als weitere Krankheitsfolge erleidet, kann viel weniger erkennen als jemand, der damit geboren worden ist.
Wenn du plötzlich Kinder für Parkuhren hältst und an allen Bekannten und Familienmitgliedern einfach vorbei läufst, weil du sie nicht erkennst und dort nicht erwartet hast, dann ist das übel. Wenn man die Mimik seines Gegenübers nicht mehr deuten kann und nicht weiß, ob man vor Mann oder Frau steht, dann hat man durchaus ein Problem, um angemessen zu reagieren. Dass man Filmen nicht richtig folgen kann, weil die Charaktere nicht unterscheidbar sind, ist dann ein reines Luxusproblem.
Betroffene mit angeborener Gesichtsblindheit haben in der Regel nicht solche ausgeprägten Probleme. Sie können meist das Geschlecht erkennen und auch durchaus die Mimik richtig deuten. Das ist die gleiche Krankheit, aber sie tritt in abgeschwächter Form auf. Mit weniger Einschränkungen und der Gewohnheit, weil es eben nie anders war, empfindet man das ganz anders als jemand, den es mitten im Leben plötzlich trifft.
Immer mehr Menschen gehen offener mit der Weißfleckenkrankheit, auch Vitiligo genannt, um. Viele Betroffene leiden durch die ständigen Blicke oder verstecken sich, aber mittlerweile trauen sich einige Erkrankte in die Öffentlichkeit. Es gibt auch einige Vitiligo-Models wie zum Beispiel Winnie Harlow. In zehn Jahren wird man die Weißfleckenkrankheit vielleicht als normal empfinden. Die Lebenserwartung wird durch diese Krankheit auch nicht eingeschränkt, aber die helle Haut ist sehr empfindlich.
cooper75 hat geschrieben:Betroffene mit angeborener Gesichtsblindheit haben in der Regel nicht solche ausgeprägten Probleme. Sie können meist das Geschlecht erkennen und auch durchaus die Mimik richtig deuten. Das ist die gleiche Krankheit, aber sie tritt in abgeschwächter Form auf. Mit weniger Einschränkungen und der Gewohnheit, weil es eben nie anders war, empfindet man das ganz anders als jemand, den es mitten im Leben plötzlich trifft.
Da wirst du wahrscheinlich Recht haben. Also dass ich Kinder mit Parkuhren verwechselt habe, ist bisher noch nie vorgekommen. Ich habe auch keine Probleme damit, Mimik zu lesen oder die Geschlechter voneinander zu unterscheiden. Ich nutze typische Mimik sogar eher zur Identifikation, da bestimmte Mimiken ja für bestimmte Personen typisch sind, weil das einfach Gewohnheit ist. Gut zu wissen, dass meine Gesichtsblindheit noch sehr schwach ausgeprägt ist und es deutlich schlimmer sein kann.
Bekannte und Familienmitglieder erkenne ich in der Regel auch im Alltag. Problematisch wird es nur, wenn die Personen mich nicht erkennen und mich nicht sehen (wenn man jemanden erkennt bekommt man ja so einen gewissen Ausdruck im Gesicht und in den Augen) und dann noch so ein Allerwelts-Gesicht haben. Soll heißen: keine Narben, keine Sommersprossen, keine Muttermale oder sonstige Merkmale. Meinen Partner erkenne ich nach all den Jahren Beziehung in allermeisten alltäglichen Situationen wieder. Nur einmal habe ich ihn nicht erkannt und dabei handelte es sich um ein biometrisches Passbild, wo er ausgeschaut hat wie ein emotionsloser Zombie.
Nur weil etwas Krankheit genannt wird muss man selber nicht das Gefühl krank zu sein. Gerade wenn man es nicht anders kennt, wird man es auch nicht als Krankheit verstehen. Von außen und neutral betrachtet ist es aber eine Krankheit. Sicherlich wird es auch von Nichtbetroffenen anders und auch schlimmer wahrgenommen als man selber das so wahrnimmt. Immerhin kennt man es nicht anders.
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