Ehrenämtler beschäftigen moralisch verwerflich?
Ich habe einen Onkel, der sehr gut beruflich qualifiziert ist, sich aber im frischen Ruhestand ziemlich langweilt. Er ist daher auf eine Organisation aufmerksam geworden, die Experten im Ruhestand so wie ihn, dringend sucht. Diese Experten werden dann dorthin vermittelt, wo sie benötigt werden. Sie sollen Hilfe zur Selbsthilfe leisten und je nach Qualifikation bei Projekten vor Ort im Inland oder Ausland helfen. Das kann zum Beispiel der Bau von Häusern in Afrika sein oder der Bau von einer funktionierenden Wasserversorgung und -entsorgung sein. Aber auch die Flüchtlingshilfe wäre so ein Thema, wo Fachkräfte dringend gesucht werden von dieser Organisation.
Auf jeden Fall interessiert sich mein Onkel sehr dafür und hat sich dort gemeldet. Als mein Freund und ich bei der letzten Familienfeier davon erfahren haben, waren wir natürlich überrascht, wobei wir seitdem zu Hause darüber diskutieren. Ich persönlich finde es gut, dass mein Onkel so eine neue Aufgabe hat. Ich meine, die Kinder sind aus dem Haus und brauchen ihn nicht mehr, er ist im Ruhestand und fühlt sich unterfordert. Da finde ich es gut, wenn er dann noch eine Lebensaufgabe bekommt, etwas nützliches tun kann und nicht durchdreht zu Hause vom Nichtstun.
Mein Freund sieht das aber eher kritisch, weil mein Onkel eben nichts dafür bekommt und das ehrenamtlich machen muss. Er findet, dass das kein gutes Licht auf die Organisation werfen würde und bezeichnet diese Organisation als "Ausbeuter" und dass diese eben die Ehrenämtler ausnutzen würde und findet das moralisch sehr verwerflich. Findet ihr es auch moralisch verwerflich, wenn man Ehrenämtler beschäftigt? Oder findet ihr das gar nicht so schlimm?
Was sollte daran moralisch verwerflicher sein, die Arbeitskraft eines Menschen als Form der Spende entgegen zu nehmen als zum Beispiel Sachspenden oder sein Geld? Wenn man das zugrunde legen würde, dann dürfte ja auch keiner mehr irgend etwas spenden, im Umkehrschluss würden aber viele wichtige Organisationen den Bach runtergehen.
Natürlich wäre es schön, wenn noch mehr bezahlte Arbeitsplätze dort geschaffen werden könnten, aber wenn das finanziell nicht möglich ist bzw. die Finanzen für andere Dinge aufgewendet werden, ist das doch eine gute Sache für beide Seiten. Problematisch wäre es natürlich, wenn dafür ansonsten bezahlte Stellen eingespart würden.
Ansonsten finde ich es gut, wenn Leute im Rentenalter noch irgendetwas wirklich Sinnvolles tun wollen abseits von Kreuzworträtseln und Spaziergängen. Ich hätte mir so ein Engagement in der eigenen Familie auch gewünscht, gerade der erzwungene Ruhestand ist wirklich nicht jedem zuträglich.
Ich finde es moralisch Verwerflich, wenn aus diesen Ehrenämtern Vollzeitjobs werden oder diese damit ersetzt werden um eben Kosten zu sparen. Dabei ist es egal, ob es sich um eine gemeinnützige Institution oder einen Verein handelt. Wenn man die meisten großen Organisationen einmal genau beobachtet, dann sparen sich diese viel Person auf kosten er ehrenamtlichen.
Rettungsdienst in Bayern ist ein ganz heißes Eisen dazu. Dort werden 50% der Dienste mit Ehrenamtlichen besetzt, jedenfalls ist das das Ziel. Diese kosten nichts und damit sie auch noch kommen, legt man eine Pizza und ein Getränk für eine 12 Stunden Schicht dazu. Darf aber nicht mehr als 10 Euro kosten und somit auch wieder lächerlich. Der Hauptamtliche Mitarbeiter würde für eine solche Schicht ca. 85 Euro Brutto erhalten und ist somit deutlich teurer. Quasi werden somit Stellen eingespart und das finde ich moralisch doch schon sehr verwerflich.
Ehrlich gesagt halte ich von ehrenamtlichen in Bestimmten Bereichen rein gar nichts. Darunter zähle ich auch den Rettungsdienst. Diese bekommen eine abgespeckte Ausbildung, damit sie auch arbeiten gehen dürfen. Die Verantwortung und Entscheidung alleine liegt beim höhergestellten, also meistens dem Hauptamtlichen.
Dafür darf der gegen die Ehrenamtlichen nichts sagen, sie machen lassen was sie wollen da sie sonst wegbleiben und auch noch arbeitsrechtliche Konsequenzen gezogen werden, wenn man diese einmal zurechtweist. Sozusagen zerstören die Ehrenamtlichen in diesem Bereich das Hauptamt und sorgen dafür, dass sich gar nicht erst eine Lobby bilden kann die ein höheres Gehalt fordert. Solang es Leute gibt die es billiger oder gar umsonst machen, hat man keinerlei Druckmittel und wird einfach ersetzt.
Zudem möchte ich auch nicht von einem "Hobbyretter" behandelt werden, also jemanden der das als Spaß in seiner Freizeit macht. Ich operiere doch auch nicht ehrenamtlich am offenen Herzen umher, einfach nur weil ich Freude daran habe. Auch der Patient hätte wohl etwas dagegen, wenn jemand ohne Fachkenntnisse meint an ihm schnippeln zu wollen. Genauso verhält es sich mit den ehrenamtlichen im Rettungsdienst. Haben zwar was gelernt aber nichts so richtig.
Da lasse ich mich doch lieber von jemanden behandeln der eine fundierte Ausbildung in dem Bereich hat, das täglich macht und entsprechend auch eine Routine darin hat. Jemand der aus Spaß nur einmal im Monat einen Dienst macht, kann dabei kaum auf Berufserfahrung und sonstiges zurückgreifen. In dem Bereich ist es aber unerlässlich, da vieles nicht nach Lehrbuch entschieden oder praktiziert werden kann.
Daher kann ich die Gedankengänge und Vorwürfe auch voll und ganz verstehen. Auch wenn immer mehr gefordert wird wie im Bereich der Flüchtlingshilfe. Dort werden Mitarbeiter 14 Stunden am Tag kostenlos eingesetzt, können ihre eigentliche Arbeitsstelle nicht mehr besuchen und bekommen den Verdienstausfall noch nicht einmal erstattet. Auch das finde ich moralisch verwerflich.
Leider ist das auch bei freiwilligen Feuerwehren der Fall, sie rücken aus zu einem Brand und verlassen dafür die Arbeitsstelle. Als Dank bekommen sie nicht einmal den ausgefallenen Verdienst erstattet und haben somit eigentlich nur Nachteile. Wieso es dann noch so viele machen frag ich mich immer wieder, für mich wäre es nichts immer nur zu geben und nie etwas dafür zu bekommen.
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