Durch Praktikum desillusioniert werden?
Eine Bekannte von mir hatte schon viele Jahre den Berufswunsch, Gutes zu tun und in entsprechenden Organisationen tätig zu sein, die sich für arme Menschen aus Entwicklungsländern einsetzt. Das war eben ihr großes Ziel und sie konnte sich nichts anderes als Berufs vorstellen. Also machte sie ein entsprechendes Praktikum dort und war hinterher total frustriert darüber.
Es ging sogar so weit, dass dieser Berufszweig so gar nicht mehr in Frage gekommen ist für sie. Sie sagte selbst, dass sie total desillusioniert worden sei. Sie hätte immer gedacht, dass die Menschen, die für solche Organisationen arbeiten würden, sehr auf das Wohl anderer bedacht seien und eben sehr hilfsbereit wären. Dem war aber nicht so und so war meine Bekannte ziemlich enttäuscht. Wurdet ihr auch schon durch ein Praktikum desillusioniert? Worum ging es da und was genau hat euch da so enttäuscht und desillusioniert?
Ich hatte ein ähnliches Erlebnis, wie deine Bekannte: ich wollte ein FSJ im Bereich der Pflege von Menschen machen. Zuvor hatte ich bereits durch ein Praktikum den Bereich der Altenpflege verworfen, weil die Kollegen dort zum großen Teil eben auch nicht so waren, wie man es von einem Pfleger erwarten würde und mir dann immer vorgeworfen wurde, dass ich "zu nett" zu den alten Menschen wäre.
Im FSJ bzw. in der Vorbereitung auf dieses habe ich schließlich ein paar Einrichtungen für geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen besucht und ich war regelrecht entsetzt, was dort für Menschen arbeiteten und wie diese mit den Bewohnern der Einrichtungen umgingen.
Einige beschwerten sich sogar über mich, weil die Bewohner mich lieber mochten, als die keifenden Giftspritzen, die dort sonst arbeiteten, diese wollten aber nicht, dass die Beeinträchtigen ihr Aufmerksamkeit jemand anderem schenkten.
Und auch mein FSJ (ist ja im Prinzip nichts anderes, als ein langes Praktikum) welches ich schließlich im Bereich Erziehung und Bildung an einigen Schulen für beeinträchtigte Kinder absolviert habe, hat mich vor diesem Berufszweig dermaßen abgeschreckt, dass ich mir eben nicht mehr vorstellen kann, dort tätig zu werden.
Ich würde eher sagen, dass man dann mit der Realität einmal Kontakt hatte. Meistens stellt man sich das alles so schön und toll vor bis man dann die Wahrheit auch sieht. Sicherlich ist nicht alles so wie vorgestellt, dass jeder Pfleger seiner Bewohner abgrundtief hasst und sie lästig findet, aber man muss auch mal so sehen es ist ein undankbarer Job, der bescheidene Rahmenbedingungen hat und noch eine miesere Bezahlung.
Das zieht mit der Zeit schon herunter, auch wenn kein Bitte und kein Danke kommt, die Standards immer weiter steigen, die Angehörigen immer mehr Fordern, das Personal gestrichen wird und durch billiges aus dem Ausland ersetzt wird, dann frustriert das und leider bekommen es dann auch mal die Patienten und Bewohner ab. Das ist nichts anderes als die Kette von oben nach unten und man sucht sich immer einen schwächeren aus um seinen Frust abzuladen.
Gleiches gilt für alles was Wohltätig ist. Viele meinen das 100% ihrer Spenden dann auch ankommen, dass dazwischen vieles an Geld verloren geht für Verwaltung, Transport und Co will man nicht sehen. Woher den auch, in der Werbung zeigen sie nur die Kinderaugen die erst traurig sind und dann kam jemand mit Geld und auf einmal ist alles wieder gut und jeder Missstand beseitigt? Das ist halt nicht die Realität und auch wenn man sich vor Ort einmal anschaut was die Organisationen dort arbeiten und machen ist das nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein und das notdürftigste, damit geht es den Menschen noch lange nicht so gut wie manche hier dann meinen weil sie 10 Euro spenden.
Gerade diese sozialen Bereiche haben meistens falsche Vorstellungen wenn sie aufschlagen. Ich kann mich da noch sehr gut an meine Praktikanten erinnern die allesamt ein anderes Bild hatten. Alle dachten im Rettungsdienst kann man Menschen helfen und sie heilen, aber im Endeffekt ist man nur der Taxifahrer, seelische Mülleimer und verlängert das Leben, auch wenn es teilweise nicht mehr Lebenswert ist für die Patienten. Das dort auch Menschen sterben und dabei mal entstellt sind und mal nicht, dass hat sich vorher niemand ausgedacht und im Traum daran gedacht bis sie das sehen mussten.
Klar habe ich die Schulpraktikanten nicht in die erste Reihe gestellt nachdem jemand vor den Zug gesprungen ist, aber auch nicht in Watte gepackt. Denn sie sollten wissen worauf sie sich einlassen und die Realität kennenlernen anstatt auf der bunten Wolke in der Ponywelt zu sitzen und nur an das schöne in dem Beruf denken.
Ich würde eher sagen, dass es auch der Zweck eines Praktikums ist, Illusionen zu zerstören und den Kontakt mit der Realität zu ermöglichen. Wenn man noch nie auch nur eine Stunden in einem Job gearbeitet und sich auch noch nie mit den Leuten befasst hat, die man in einem bestimmten Job findet, ist es einfach, sich eine wunder wie tolle Arbeit vorzustellen, die man praktisch auch gratis machen würde.
Aber die Realität sieht immer anders aus, und in jedem Job gibt es unter den Kollegen und Vorgesetzten ganz reizende, selbstlose Gestalten, aber auch absolute Idioten. Und nur weil es sich um einen Sozialberuf handelt, arbeiten dort bestimmt nicht nur die guten Menschen aus purem Idealismus für kleines Geld, genauso wenig, wie im harten, kalten Kapitalismus nur Ellbogenmentalität herrscht und jeder nur in die eigene Tasche wirtschaftet.
Gerade deswegen halte ich Praktika für sinnvoll, weil es nicht ihr Zweck ist, den potenziellen Mitarbeitern eine perfekte heile Arbeitswelt vorzugaukeln, sondern auch die Schattenseiten aufzuzeigen. Dass hier Enttäuschungen vorprogrammiert sind, ist natürlich für den Einzelnen schade, aber ich glaube auch nicht, dass es besser ist, wenn man die Scheuklappen auflässt und erst dann ruckartig auf dem Boden der Tatsachen landet, wenn es so schnell kein Zurück mehr gibt.
Ich würde auch sagen, dass ein Praktikum genau dafür da ist, dass man sich eben anschaut, wie ein Job wirklich ist und ob es tatsächlich das ist, was man sich vorgestellt hat. Ich habe mein Schülerpraktikum in einem Hotel gemacht, weil ich den Wunsch wirklich auch hatte, als Hotelfachfrau zu arbeiten. Zum Glück habe ich das Praktikum gemacht und dabei festgestellt, dass dieser Beruf doch nichts für mich ist.
Darum finde ich so ein Praktikum sehr gut, weil man so hinter die Kulissen des Berufswunsches schauen kann. Sicher kann es manchmal dazu führen, dass man feststellt, dass der Beruf toll ist, aber wenn man das Gegenteil feststellt und vielleicht desillusioniert ist, weil man sich wer weiß was erhofft hat, dann finde ich es auch gut, weil man nur ein Praktikum gemacht hat und keinen Ausbildungsvertrag unterschrieben oder so etwas.
Sicher ist es dann, wenn man sich sehr auf diesen Berufszweig versteift hat, erst einmal so, dass die Illusion zerstört wurde und man ohne einen Berufswunsch da steht. Das ist nicht so schön. Aber dann kann man sich neu orientieren und vielleicht einen Job finden, der viel besser zu einem passt.
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