Durch komplexe Serien die Welt besser verstehen können?
Ich habe kürzlich die These gelesen, dass das Schauen von komplexen Serien zum besseren Verständnis unserer immer komplexer werdenden Welt beitragen würde. Was haltet ihr von dieser Aussage? Ist das nicht ein wenig zu kurz gedacht?
Denn in Serien geht es ja oft eher um zwischenmenschliche Interaktionen, Konflikte und Probleme, was ja nicht unbedingt was mit Wirtschaftsthemen und Globalisierung zu tun hat. Ich denke da zum Beispiel an Daily Soaps mit ihren Intrigen, Liebe und Hass und dergleichen. Kann allein schon das Schauen komplexer Serien zum besseren Verständnis dieser Welt beitragen? Oder hängt das da eher vom Inhalt der Serie ab?
Es kommt hier wohl darauf an, was man unter "komplexen Serien" versteht. Für manche Leute mag eine Daily Soap schon der Gipfel an zumutbarer Komplexität sein. Ich finde es dagegen eher lachhaft, ein derartiges Machwerk als "komplex" zu bezeichnen, was ja auch nicht das Ziel einer derartigen Serie ist. Man möchte das Publikum schließlich weder erziehen noch zu besseren Menschen machen, sondern die Leute brav gefügig vor dem Fernseher halten, mit leichter Unterhaltung berieseln und dafür sorgen, dass die passive Konsumhaltung nach Kräften gefördert wird.
Aber auch bei Unterhaltungsserien, die nicht die allerunterste Schublade des "Daniela betrügt Kevin mit Andreas" bedienen, tue ich mir schwer, einen pädagogischen Sinn darin zu sehen, zumindest was Produktionen angeht, die für den breiten Massengeschmack zugeschnitten sind. Von der mittel seichten Version schaue ich nämlich auch ein paar, aber ich kann nicht behaupten, dass ich etwas daraus lerne, wenn Charakter X pubertäre Dummheiten macht oder Schauspieler Y dankenswerterweise mit nacktem Oberkörper durchs Bild stolziert.
Vielleicht soll auch nur der Eindruck erzeugt werden, dass die Zielgruppe die Welt besser versteht, wenn sie eine strukturierte und vereinfachte Version alltäglicher Probleme, Konflikte und Menschlichkeiten vorgesetzt bekommt. Und mit "Welt" ist wahrscheinlich auch nicht die Verletzung der Menschenrechte im Iran oder Aufforstungsprojekte auf Sumatra gemeint, sondern eher der ganz normale Alltag der Leute, der ja auch für viele schon komplex genug ist. Diese Interpretation erscheint mir noch am wahrscheinlichsten.
Ja, das ist ja eine sehr hübsche Theorie, mich hätte mal interessiert, wer die wann und mit welcher genauen Begründung in die Welt gesetzt hat. So ist das ein wenig dünn als Diskussionsgrundlage, wenn man gar nicht weiß, was genau eigentlich damit gemeint ist. Die Welt ist also komplexer als früher geworden. Mmh. Ich glaube nicht, dass sie das wirklich ist, vielmehr denke ich, und man kann es im Netz täglich sehen, wie sehr viele Menschen mit den Ambivalenzen und Grautönen der ständigen Nachrichtenflut hadern und straucheln.
Früher war die Welt gefühlt kleiner, weil der Bauer Hagemüller sich keine Gedanken darüber gemacht hat, nicht machen konnte mangels Wissen und Information, welche Querelen sich in einer weit entfernten übernächsten Kaiserfalz zugetragen haben. Heute wird man ständig mit allen möglichen Themen nur so bombardiert und viele meinen, zu allem eine Meinung haben zu müssen. Obwohl die Sachlage oft undurchdringlich unübersichtlich oder komplex ist. Und mit vielen sich widerstrebenden Gefühlen und Gedanken verhaftet ist.
Komplexität bemisst sich für mich dadurch, dass genau diese teils unangenehmen und herausfordernden Grauzonen darstellt werden und kognitive Dissonanzen für den Betrachter oder Leser zutage treten. Und genau das macht ja auch eine sehr gute Serie aus. Wenn man plötzlich mit Erschrecken feststellt, dass man eine eigentlich durch und durch moralisch verdorbene Person anfeuert. Oder geschockt ist, weil ein sehr liebenswerter Charakter plötzlich etwas extrem Böses macht. Und wir für beides wider besseren Wissens doch Sympathien haben. Aber dafür muss man zur Differenzierung fähig sein.
Und genau das können unfassbar viele Leute überhaupt nicht, sie denken nur in Schwarz-Weiß-Mustern und sind mit der Komplexität sowohl in der Serien- als auch in der echten (Nachrichten-)Welt völlig überfordert. So oft habe ich platte und plumpe Anfeuerungstiraden über Charakter xy gelesen, nur weil man den ja sowas von cool findet. Und wehe jemand kritisiert etwas oder sieht die Geschichte zwiespältig oder hat Sympathien oder Verständnis für den (vermeintlichen) Gegner. Da tun sich Abgründe auf.
Das kann man dann auch auf viele politische oder gesellschaftliche Probleme adaptieren, dort funktioniert das alles ja auch nicht. Und diese Menschen werden auch durch das Sehen "komplexer" Serien nicht geübter im Aushalten von Ambivalenzen und ergehen sich weiterhin in einer kindlichen Entweder-Oder-Mentalität. Von daher, nein, für mich nur eine Theorie, die nicht greift. Zumal in der Realität ja nun auch wirklich keiner eine Serie guckt, um sich menschlich irgendwie weiterzuentwickeln.
Vielmehr glaube ich, dass man die Welt besser verstehen kann, wenn man sich gezielt damit beschäftigt. Sprich, man muss sich mit den Problemen beschäftigen und auseinandersetzen. Ich halte es eher für eine Ausrede, dass man dann "komplexe Serien" schaut und schon hat man Ahnung von den Problematiken in der Welt.
Und ich schließe mich da an: die Frage ist ja, was meint man mit "komplexen Serien"? Die meisten Serien sind sehr weit weg von komplex und wenn man diese sieht, versteht man sicherlich nicht, was so in der Welt alles passiert. Es gibt nur wenige Serien, wo man sein Hirn wirklich anstrengend muss und bei denen man sich mit dem Inhalt wirklich nachhaltig beschäftigen muss.
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