Durch Altenheim Verletzung der Menschenrechte?
Der bekannte Hamburger Psychiater Klaus Dörner ist der Ansicht, dass die Altenheime abgeschafft werden sollten. Er kritisiert nicht nur, dass die Alten aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen und in ein Altenheim "abgeschoben" würden. Er kritisiert auch die Abschottung in den Heimen und die Segregation fernab der Familien. Er geht sogar so weit zu behaupten, dass jeder Mensch gegen die Menschenrechte verstößt und diese verletzt, der einen alten Menschen in so ein Altenheim "abschiebt".
Ich finde diese Formulierung schon ziemlich heftig. Ich hatte die Situation noch nicht, dass ich jemanden dazu "überreden" musste, ins Altenheim zu gehen. Meine Eltern und Schwiegereltern sind noch zu jung für so eine Situation. Kann man hierbei aber wirklich von einer Verletzung der Menschenrechte sprechen? Oder findet ihr das maßlos übertrieben?
Was ist an der Formulierung heftig? Lies dir die Menschenrecht einfach mal durch und schau, welche Artikel so in einem durchschnittlichen Altenheim verletzt werden. Das fängt schon mal bei der Würde an. Findet man es würdig, wenn hilflose Menschen in ihren Ausscheidungen liegen müssen, weil es an Personal mangelt?
Ist es akzeptabel, dass z.B. demente Ehepaare auseinander gerissen und in verschiedenen Heimen untergebracht werden, weil da gerade zufällig Platz ist? Ist es in Ordnung, Menschen wegen Personalmangel und unzureichender baulicher Voraussetzungen sediert werden?
Findet man es in Ordnung, dass alte Menschen kein recht mehr auf ihre Möbel und ihre Selbstbestimmung in Bezug auf Essens- und Schlafenszeiten, die Auswahl der Lebensmittel und den Zeitpunkt der Körperpflege und die verwendeten Produkte haben? Oder dass sie gezwungen sind, sich mit vollkommen Fremden ein Zimmer zu teilen?
Bitte nicht falsch verstehen: Das Pflegepersonal leistet normalerweise mehr, als es eigentlich kann. Wie Altenheime funktionieren und wie viel Eigenständigkeit man Senioren mit Hilfebedarf zugesteht, das ist ein gesellschaftlicher Konsens. Und der beschneidet die Rechte von Senioren, die nicht mehr alleine können, aktuell massiv.
Ich sehe das durchaus so. Man kann nichts mehr selber bestimmen, weil alles irgendwie fremdbestimmt wird. Was wann gegessen wird, wann man aufsteht, ins Bett geht, teilweise wie man sich beschäftigt, die Gestaltung des Zimmers, Ehepaare sind nicht zusammen in einem Zimmer und so weiter. Das ist alles nicht ohne und durchaus ein Eingriff in die Menschenrechte.
Wobei ich es nicht als Abschieben bezeichnen würde, wenn man einen Menschen ins Altenheim gibt. Immerhin kann man leider gar nicht die Pflege übernehmen, denn das kann man sich ja gar nicht leisten. Was bekommt man schon dafür? Mal eben den Job kann man deswegen nicht aufgeben. Oft sind Angehörige einfach verzweifelt, haben Angst und wissen nicht, wie sie handeln sollen. Es müsste möglich sein jemanden zu pflegen und trotzdem finanziell einigermaßen gut dastehen zu können.
Die Frage ist halt, wie die Pflege alter Menschen ansonsten vonstatten gehen könnte oder sollte, wenn es keine Pflegeeinrichtungen mehr geben würde. Was ist mit alleinstehenden Menschen, die gar keine Familie haben? Oder was ist mit jemandem, der gerade mal noch einen Angehörigen hat, der außerdem arbeiten muss, um überhaupt Geld zu verdienen? Dazu kommt, dass bei weitem nicht immer ein gutes Verhältnis zwischen Eltern und Kindern besteht, und wenn dann die Pflege für die Eltern trotzdem erfolgen soll, dürfte vermutlich keiner der Seiten davon profitieren.
Was ich änderungsbedürftig finde, sind die Zustände in den Heimen, die den Bewohnern mehr Selbstbestimmung ermöglichen sollten, z.B. was Uhrzeiten für Aufstehen und Schlafengehen betrifft. Auch Mehrbettzimmer finde ich nicht zeitgemäß. Auch alte Menschen sollten ein Recht auf einen privaten Wohnbereich haben.
Dann hast du aber ein noch größeres Problem mit der Finanzierung. In meinem Bundesland gilt eine gesetzlich verpflichtende Einzelzimmerquote von 80 Prozent. Das heißt aber eben nicht nur, dass jeder Bewohner insbesondere in alten Häusern sehr viel Fläche finanzieren musst. Du brauchst auch viel mehr Personal, wenn du diese Massen menschenwürdig kontrollieren möchtest, sobald die Bewohner nicht mehr klingeln können. Und diese Bewohner werden immer mehr.
Nimm als Beispiel ein Haus mit 61 Bewohnern in meiner Nähe. Letzten Montag waren da morgens eine Fachkraft und drei Helfer. Theoretisch sollten zwei Mitarbeiter aus dem Springerpool kommen und einer von der Leiharbeit. Die drei Ersatzspieler glänzten durch Abwesenheit. Wie möchtest du da das Aufstehen oder das Essen individuell gestalten? Die Pflegekräfte sind froh, wenn sie irgendwie durchkommen.
Zum Thema Pflegenotstand wurde schon genug gesagt. Aber stünde es um die "Menschenrechte" alter und pflegebedürftiger Menschen wirklich besser, wenn sie allesamt (und es werden ja proportional gesehen immer mehr) auf sich allein gestellt oder auf Angehörige angewiesen wären?
Selbst wenn man, wie in meinem Umfeld geschehen, ein Familienmitglied pauschal zur Pflege der hochbetagten Eltern abstellt, (origineller weise die jüngste Tochter, die dafür "das Haus bekommt"), welches dann jahrelang ohne Berufs- und Privatleben als 24/7 Pflegekraft dahinvegetiert, ist dadurch wirklich eine Verbesserung der Menschenrechte garantiert?
Kann Opa dann selbst bestimmen, wann er morgens aufsteht, auch gerne mal, wie mein Vater selig, um halb fünf? Oder im Rahmen der Selbstbestimmung des individuellen Tagesablaufs mal zwei Wochen keinen Bock auf Duschen haben, da ja auch das Recht auf Verwahrlosung dazugehört? Ich fürchte, ein gewisser Verlust an Selbstbestimmung gehört zum Alterungsprozess einfach dazu.
Und wer in der Abschaffung von Altenheimen mit all ihren Vor- und Nachteilen einen Nettogewinn für die Gesellschaft sieht, hat entweder vor, nicht besonders alt zu werden oder kann sich eine Schar osteuropäischer Pflegerinnen leisten, die ihm im Schichtdienst jeden Wunsch von den Augen ablesen.
Natürlich hat jeder das Recht auf Verwahrlosung. Was natürlich für professionelle Pflegekräfte, abgesehen von der olfaktorischen Belastung, viel einfacher zu realisieren ist als für Angehörige.
Das Problem ist doch, dass die Pflege von Kindern, Kranken, Behinderten und Senioren zumindest im Westen ewig unter Gedöns fiel und selbstverständlich kostenlos und unermüdlich von der Hausfrau gestemmt wurde. Dass das arschteuer ist, das auszulagern, das wird jetzt erst so langsam klar. Wobei Geld nicht alles ist. Die Arbeitsbedingungen sind halt auch ein Witz.12 Tage arbeiten und 2 Tage frei im Wechsel macht doch jeder gern.
Und mit dem neuen Bemessungsgrundsatz, der den Personalschlüssel ersetzt, wird es nicht besser. Bezugspflege ist dann nicht mehr. Ungelernte Helfer waschen und reichen an. Einjährige übernehmen die Behandlungspflegen, die sie dürfen. Und die Fachkräfte rauschen nur noch an, wenn Komplizierteres ansteht. Ansonsten überwachen und koordinieren die und stellen sich dem Papierkrieg. Das wird bestimmt super!
cooper75 hat geschrieben:Natürlich hat jeder das Recht auf Verwahrlosung. Was natürlich für professionelle Pflegekräfte, abgesehen von der olfaktorischen Belastung, viel einfacher zu realisieren ist als für Angehörige.
Das klingt jetzt so, als würde ich mich dafür aussprechen, hilflose Leute verkommen zu lassen. Seltsam. Und das mit dem Pflegenotstand habe ich auch zur Genüge kapiert, mein Vater war lang genug im Seniorenheim. Und nein, ich habe ihn weder verwahrlosen lassen noch "abgeschoben".
Im Eingangsbeitrag ging es aber doch, wenn ich alles richtig kapiert habe, darum, dass sich jemand für die Abschaffung von Altenheimen ausspricht, weil es gegen die Menschenrechte verstößt, pflegebedürftige Leute "abzuschieben. Und da habe ich durchaus berechtigte Fragen, wie sich der Typ das vorstellt, überarbeitete Pflegekräfte hin oder her.
Es geht nicht darum, sich für etwas auszusprechen. Wer nicht unter gesetzlicher Betreuung steht, darf sämtliche Pflegemaßnahmen ablehnen. Nur weil man im Altenheim lebt, muss man weder duschen, noch die Klamotten wechseln oder sein Zimmer aufräumen. So lange keine Gefahr für andere besteht (Brandgefahr, Ungeziefer) ist das das grundgesetzlich geschützte Recht, das auch Senioren und Seniorinnen zusteht.
Und natürlich wäre es sinnvoll und möglich, Altenheime in der klassischen Form abzuschaffen. Es gibt, insbesondere in anderen Ländern, viel bessere Ansätze, die Selbstbestimmung und Lebensqualität erheblich verbessern.
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