Deutschland in Sachen Barrierefreiheit ein Entwicklungsland?
Am heutigen 5. Mai ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung.
Laut Medienberichten soll es in Deutschland noch viel zu viele Alltagsbarrieren geben, die Menschen mit Handicap ein selbstständiges Leben, Fortbewegen und der Teilnahme an Gesellschaftsveranstaltungen ermöglichen. Dies betrifft sowohl barrierefreien Wohnraum, barrierefreie Restaurants, Theater & Co. wie auch Fortbewegungsmittel wie der Bahn, die man nur mit Anmeldung und Hilfe von Bahnmitarbeitern nutzen kann.
Eko Fresh hat anlässlich dieses Protesttages mit dem im Rollstuhl sitzenden Rapper Rolling G einen Track namens "Neue Wege" zum Thema Inklusion und Barrieren für "Aktion Mensch" aufgenommen. Laut ihm ist Deutschland in Hinsicht Barrierefreiheit ein Entwicklungsland.
Barrieren kann man jederzeit an Verkehrsbetriebe, Stadt- und Gemeindeverwaltungen bzw. auch Behindertenbeauftragte melden, auch wenn man selbst nicht direkt betroffen ist. Am Protesttag wird auch um mehr Unterstützung der gesamten Bevölkerung diesbezüglich gebeten.
Wie seht ihr das, könnt ihr ausreichend Veränderungen in Sachen Barrierefreiheit in eurem Wohnort feststellen? Gibt es tatsächlich noch viel zu wenig Barrierefreiheit? In welchen Bereichen gibt es eurer Meinung nach noch die meisten Barrieren, wo müsste definitiv noch mehr getan werden? Achtet ihr auf solche Barrieren oder fällt euch das im Alltag gar nicht auf? Würdet ihr Barrieren auch melden, wenn sie euch deutlich ins Auge fallen?
Barrieren fallen einem doch fast nur auf, wenn man selbst betroffen ist. Solange man normalen zwei oder drei Stufen in ein Geschäft erklimmen kann, macht man sich meist keine Gedanken um Menschen, die das nicht ohne fremde Hilfe schaffen. In Sachsen gibt es allerdings ein Förderprogramm wo man entsprechende Umbauten finanziert bekommt. Leider weiß man das als normaler Bürger auch nicht. Mich hatte damals ein Rollstuhlfahrer aus unserem Stadtteil darauf hingewiesen, als ich sagte, dass wir aus der Eingangstreppe mit unterschiedlich hohen Stufen eine Rampe bauen wollen.
Bei anderen Geschäften in der Stadt sind solche Umbauten gar nicht möglich. Da gab es vor zwei oder drei Jahren eine Aktion, wo man mobile Rampen aus Legosteinen bauen und an die Geschäfte verteilen wollte.
Allerdings würde ich nicht behaupten, dass Deutschland in Sachen Barrierefreiheit ein Entwicklungsland ist. In den letzten Jahren wurde da schon sehr viel berücksichtigt, wenn größere Bauvorhaben umgesetzt wurden. Aber wie schon erwähnt, kann man eben nicht unbedingt alles so umbauen, dass es barrierefrei wird.
Den Begriff Entwicklungsland finde ich generell herablassend. Gerade so, als würden sich gewisse Länder schon wunder was darauf einbilden, geteerte Straßen und halbwegs sauberes Trinkwasser für den Großteil der Bevölkerung hinzubekommen. Das heißt nicht, dass nicht trotzdem einiges im Argen sein kann, vom Gesundheitssystem bis eben auch zur Barrierefreiheit.
Ich selber kann mir kaum ein Urteil anmaßen, wie barrierefrei oder auch nicht Deutschland ist. Hin und wieder fällt mir schon auf, dass beispielsweise niemand im Rollstuhl in meine Wohnung oder zu meiner Hautärztin kommen könnte. Ohne fremde Hilfe - ausgeschlossen. Und die öffentlichen Verkehrsmittel sind auch ein Thema für sich. Aber wirklich beurteilen kann das Level an Barrierefreiheit wohl nur eine unmittelbar betroffene Person. Wobei es ja nicht nur um die Rollstuhlrampen geht. Als blinder Mensch kannst du einwandfrei Treppensteigen, nur nützt dir das herzlich wenig, wenn du keine Schilder lesen kannst.
Ich denke, dass es mit der Barrierefreiheit so ähnlich ist wie mit der Emanzipation. So lange immer noch von den Nicht-Betroffenen strahlend darauf hingewiesen wird, dass auch die Randgruppe ganz toll gesellschaftlich teilhaben kann, weil die Mehrheit gnadenhalber ein paar Nischen freigeräumt hat, ist noch einiges zu tun.
Ich würde Deutschland da eher als Schwellenland bezeichnen, denn davon haben wir mehr als genug. Wenn ich in meinem Stadtteil mit etwa 50.000 Einwohnern bleibe, dann sollte man besser fit und gesund sein. Sonst hat man verloren. Und das entspricht immerhin einer ganzen Kleinstadt und etwa 34 Quadratkilometer Fläche.
Wenn man von fehlenden abgesenkten Bordsteinen, Geschäften mit Treppen am Eingang, fehlenden akustischen Ampelsignalen und Kleinigkeiten wie nicht vorhandenen Markierungen für Blinde absieht: Im ganzen Stadtteil ist keine Hausarztpraxis ohne Treppe zu erreichen. Mal sind es sechs Stufen, mal muss man ohne Aufzug mindestens bis in die erste Etage. Das gilt auch für Zahnärzte. Anders ist es nur beim Hautarzt, einem Durchgangsarzt und dem Dialysezentrum.
Das Bürgerbüro ist dank des seit Jahren kaputten Aufzugs nicht zu erreichen, wenn man nicht in die dritte Etage klettern kann. Die Bushaltestellen lassen meist keine Anfahrt zu, die das Ausklappen der Rampe benötigt. Die Straßenbahn muss bis auf Hüfthöhe erklommen werden und so sie im Untergrund fährt, ist der Aufzug kaputt. Daran hat sich seit 2014 nichts geändert.
Inklusion entfällt weitgehend, denn mit einer körperlichen Behinderung kommt man in keine der Schulen im Stadtteil. Von geeigneten Wohnungen reden wir erst gar nicht. Und die paar Grünanlagen in den Siedlungen hier sind ebenfalls nur nutzbar, wenn Bordsteine überwunden und unbefestigte Wege bewältigt werden können.
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