Deutsche Schulbildung eher weltfremd?
Im Fernsehen hat gestern eine Abiturientin gesagt, dass die deutsche Schulbildung sehr weltfremd ist. Der Spruch "Man lernt nicht für die Schule sondern für das Leben" wäre totaler Quatsch. Sie meinte, dass sie in der Schule nicht gelernt hat, wie man seine Steuern macht. Auch nicht was es mit Miete und Nebenkosten auf sich hat oder was man beachten muss, wenn man ein Haus kauft. Aber sie kann ein Gedicht analysieren und interpretieren. Dass, was man im Leben nie wieder braucht.
Sollte die Schulbildung eher lebensnah sein und auch das den Schülern beibringen, was sie wissen müssen, wenn sie in ihre erste eigene Wohnung ziehen, was sie wissen müssen, wenn sie arbeiten gehen oder wenn sie Hilfe vom Staat brauchen? Sollten sie beigebracht bekommen, wie man im Leben zurecht kommt oder muss man da weiterhin aus Fehlern lernen? Was denkt ihr über die Schulbildung und über das Wissen vom Leben?
Als ich das gehört habe, musste ich erstmal den Kopf schütteln. Dass Unnützes abfragen von Gedichten auf dem Lehrplan stehen, habe ich schon von vielen Seiten gehört, allerdings niemals gedacht, dass es mittlerweile so schlimm um unser Bildungssystem steht.
Ein gutes Beispiel für fehlende Allgemeinbildung in der Schule habe ich auch parat: Ich arbeite im Personalamt einer bayerischen Gemeinde. Vor einiger Zeit suchten wir einen Auszubildenden. Wir luden einige Mädchen und Jungen ein (zwischen 15 und 17 Jahre). Nach dem Vorstellungsgespräch mussten sie noch einen kleinen Test ausfüllen. Gefragt wurden allgemeine Dinge (Wie heißt der bayerische Ministerpräsident?
Wie lauten die bayerischen Bezirke und deren Bezirkshauptstädte?, etc.) und logisches Denken. Von 9 waren 8 nicht in der Lage auch nur die Hälfte der gestellten Fragen zu richtig zu beantworten. Selbiges Problem hatten wir im Jahr zuvor auch schon, und solange sich an unserem System nichts ändert, wird das auch so bleiben.
Ich arbeite an einer Hauptschule und da wird lebensnaher unterrichtet. Bei uns lernen die Schüler, sich im Leben zurecht zu finden und eben keine Gedichtsanalyse in vier verschiedenen Sprachen.
Dazu muss man aber ganz klar sagen, dass man von Gymnasiasten durchaus erwartet kann, sich selber zu informieren und sich das fehlende Wissen anzueignen. Das Gymnasium bereitet einen auf ein Studium vor. Da werden dann teilweise eben Latein oder vorzügliche Englischkenntnisse als Standard angesehen. Diese Schüler gehen relativ lange zur Schule und sind auch im Studium noch auf die Eltern angewiesen und wohnen bei diesen.
Diese Schüler sind älter und reifer wenn sie Zuhause ausziehen und sollten da wirklich in der Lage sein, mal eben das Internet zu bemühen. Auch von ihrer Intelligenz her sollten sie in der Lage sein, diese Informationen zu verarbeiten und auf leicht veränderte Situationen zu übertragen. Ob man jetzt wirklich alles benötigt, was man so auf einem Gymnasium lernt, sei mal dahingestellt.
Bei meinen Schülern braucht sicher niemand Latein, aber die Schüler gehen mit teilweise erst 15 Jahren von der Schule in eine Ausbildung, sind mit 18 Jahren fertig und verdienen genug Geld um sich eine Wohnung zu leisten. Da ist ein praxisnaher Unterricht eher gefordert, da sie eben sehr jung und unreif mit diesen Situationen konfrontiert werden.
Aktuelle Themen aus Politik und Wirtschaft sollten zur Bildung eines halbwegs vernünftigen Allgemeinwissens aber an allen Schulen Standard sein. Bei uns ist es so, dass in den ersten 10 Minuten der Gesellschaftslehre Stunde über aktuelle Themen gesprochen wird. So sollen die Schüler zumindest das Wichtigste lernen und ein Interesse daran entwickeln, was in der Welt so geschieht.
Ich habe erst gestern einen Zettel zum Informationsabend für das nächste Schuljahr bekommen. Ab der Klasse 7 wird nämlich an den sächsischen Oberschulen das Fach Wirtschaft, Technik und Hauswirtschaft dazu kommen. Da lernen die Kinder solche Dinge. Wobei wir früher solche Dinge auch nicht in der Schule gelernt haben. Und das Thema Steuern war für uns Ostdeutsche, wie auch zum großen Teil die Miete und ihre Nebenkosten, der Sprung ins kalte Wasser. Das haben auch Menschen verstanden, die kein Abitur gemacht haben.
Gedichte interpretieren gab es schon zu meiner Schulzeit. Auf der Polytechnischen Oberschule, was ja heute der Realschule entspricht, wie auch später beim Abitur. Da habe ich auch in Mathematik die Vektorrechnung über mich ergehen lassen müssen, so wie vorher mal Sinuskurven. Diese Dinge braucht man im normalen Leben auch nicht wieder. Von daher gab es schon immer Themen in den Lehrplänen, die man nie wieder benötigt und somit aus heutiger Sicht auch als weltfremd bezeichnet werden können.
Ich finde, dass man Mathematik beispielsweise schon etwas näher am wirklichen Leben sein sollte, aber bei anderen Fächern sehe ich da keinen Handlungsbedarf. Immerhin müssen die Eltern ja auch irgendetwas im Leben selber machen und die Lehrer haben schon einen sehr stressigen Job. Man muss seinem Kind auch mal etwas selber beibringen finde ich. Wenn das bei der jungen Frau keiner gemacht hat, tut es mir leid, aber man muss doch genug Wissen in der Schule vermitteln und kann nicht noch die Aufgabe der Eltern übernehmen.
Ich sehe das Abitur als eine Vorbereitung auf das Studium und nicht auf typische Probleme des Alltags. Die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens und die Möglichkeiten, Informationen zu finden und zu filtern werden vermittelt. Außerdem bekommt man einen ersten Eindruck, um das passende Studienfach zu wählen.
Ich habe mein Abitur gemacht, als das Internet gerade in seinen Kinderschuhen steckte. Damals gab es Mailboxen, die halfen einem gar nicht. Unsere Lehrer haben uns sehr klar gesagt: "Ihr müsst nicht alles wissen. Ihr müsst wissen wie man etwas findet und wie man diese Quellen bewerten kann."
Mit dieser "Grundausstattung" sollte es jedem möglich sein, alltägliche Informationen zu Mietverträgen, Arbeitsverträgen oder Anträgen bei Ämtern zu finden und zu verstehen. Damit ist die "weltfremde" Ausbildung sinnvoller, weil sie sich nicht auf bestimmten Themen konzentriert. Man ist gerüstet, um sich mit allem möglichen auseinanderzusetzen.
Für alltägliche Fragen aus dem Bereich Politik gab es bei uns seit der Mittelstufe die Aufgabe, jeden Tag eine überregionale Zeitung wie die FAZ oder ähnliche zu lesen.
Ich habe ganz kurz nur diese Abiturientin gesehen, mehr nicht. Eine solche Aussage muss wirklich nicht das einzig Wahre sein. Denn wie hier schon geschrieben wurde, bereitet das Gymnasium die Schüler auf das Studium vor. Gedichte auswendig lernen usw. mussten wir früher auch, was ich nicht in großem Maße als sinnvoll ansehe. Ich kann sie heute noch.
So weit mir bekannt ist, wird in der Oberstufe Politik und Wirtschaft gelehrt. Wozu muss eine Abiturientin wissen, wie man seine Steuern macht? Dafür gibt es immer Kurse in der VHS, die sie besuchen kann. Das sind so spezielle Sachen, die wird sie sich aneignen können. Sollte ein Gymnasium wirklich dazu da sein, den Schüler zu erklären, welche Nebenkosten auf eine Miete kommen oder wie sie Harz 4 beantragen können? Ich denke, dass das eher Sache der Eltern ist, den Kindern/Schülern das zu erklären.
Ich muss auch sagen, dass JadeC und andere völlig recht haben, sich selber zu informieren. Denn sie sind alt genug und sollten auch so intelligent sein, dass sie das können. Ferner hilft das Internet weiter.
Nehmen wir das extreme Gegenbeispiel: In Bochum-Wattenscheid gibt es die Froebelschule. Diese Schule soll zwar wegen mangelnder Schülerzahlen durch die Inklusion geschlossen werden, noch aber existiert diese Förderschule.
Die Kinder dort haben verschiedene Lernbehinderungen oder sie benötigen wegen Ihrer Persönlichkeit oder ihrem Zuhause mehr Aufmerksamkeit von Lehrern als andere Kinder.
An dieser Schule lernen die Kinder tatsächlich "Hartz IV". Neben dem Wissen, wie man einen entsprechenden Antrag stellt, wird auch vermittelt, wie große eine Wohnung sein darf und bis zu welcher Höhe die Kommune Mieten trägt. Zusätzlich geht es um Hinzuverdienstmöglichkeiten und wie man mit dem knappen Budget auskommt.
Die Lehrer argumentieren, dass es in Wattenscheid keine Jobs für einfache Helfer mehr gibt. Die Kinder hätten keine Chance auf dem Arbeitsmarkt und fielen zwangsläufig und dauerhaft in das Arbeitslosengeld 2.
Wie schlimm muss das für Kinder sein? Sie bekommen schon in der Schule vermittelt, dass es egal ist, wie sehr sie sich anstrengen. Sie könnten auch daheim bleiben. Schließlich heißt ihre Zukunft angeblich Hartz IV.
Selbst wenn das für einen großen Teil der Schüler stimmen mag. Die anderen, die noch eine kleine Chance hätten, verlieren jede Hoffnung und das sowieso schon angeknackste Selbstbewusstsein leidet noch mehr.
Hier in der Region werden übrigens häufig Ausbildungsplätze wegen katastrophaler Kenntnisse in Mathematik, schlechter Umgangsformen und unentschuldigter Fehlstunden oft nicht vergeben.
Diese Froebelschule ist bestimmt kein Gymnasium, um das es hier geht. Trotzdem finde ich das ganz schlimm. Wenn den Kindern jeder Mut genommen wird, aus dem schrecklichen, häuslichen Bereich ohne Alternative, auszubrechen und für sich etwas anderes aufzubauen.
Wenn es bekannt ist, dass die Schüler so schlecht in Mathematik sind und deshalb keine Lehrstelle bekommen. Gibt es bestimmt die Möglichkeit, ehrenamtlich den Kindern Nachhilfe in diesem Fach zu geben. Allerdings glaube ich auch nicht, dass sie dann im Deutschen etwas besser sind.
Meines Wissens sind Förderschulen dazu da, den Kindern in kleinem Kreis etwas mehr Wissen und die Fähigkeit zu vermitteln, dieses Wissen auch aufzunehmen. Sonst würden sie keine Förderung brauchen. Wenn aber die Schule den Schülern Kenntnisse über Harz 4 vermittelt, ist das als Aufgeben seitens der Lehrer zu sehen, anstatt die Kinder für ein besseres Leben vorzubereiten.
Ich muss voraussetzen, dass ich BO-Wattenscheid nicht kenne und eben nicht weiß, welche Möglichkeiten es für lernschwache Kinder gibt. Nicht alle diese Kinder sollte man von vorneherein so entwürdigend betrachten. Es gibt nach der Schule sicherlich auch Möglichkeiten in einem anderen Ort, wo die Kinder in einer Wohngemeinschaft leben und tagsüber eine Ausbildung bekommen. Bestimmt sind einige von ihnen handwerklich sehr begabt oder auch anderweitig. Aber sie gleich auf Hartz 4 vorzubereiten, das finde ich extrem traurig
Ich verlinke hier mal etwas unter „Abschluss schaffen, Anschluss finden“, Worte des NRW-Ministers Guntram Schneiders. klick. Das sieht wenigstens so aus, als ob es der NRW-Regierung bekannt ist und sie sich bemühen, den Kindern zu helfen. Wäre eine schöne Sache für die Schüler, wenn sie dadurch Erfolg hätten.
Natürlich ist die Froebelschule kein Gymnasium. Aber ein Abiturient sollte sich das nötige Alltagswissen selbst aneignen können. Außerdem kommt er in der Mehrzahl der Fälle aus einem Elternhaus, wo er auch auf Hilfe und Informationen zählen kann.
Wenn man sich aber die Situation vieler Hauptschüler in NRW ansieht, dann sind andere Kenntnisse wichtiger, damit diese Schüler überhaupt einen Chance haben. Denn anders als in Bayern genießen Hauptschulen hier trotz aller Bemühungen und durchaus toller Schüler einen schlechten Ruf.
Das war bereits zu "meiner Zeit" abzulesen und hat sich mittlerweile verstärkt. Die Kinder von Freunden hatten einen sehr guten Realschulabschluss mit Qualifikation. Und? Was sind sie geworden? Elektriker und Arzthelferin. Das ist natürlich nichts schlechtes, das möchte ich damit auch gar nicht sagen.
Aber sie waren ebenso wie 90 % der Mitschüler in ihren Berufsschulklassen deutlich höher qualifiziert als nötig. Hauptschüler guckten und gucken in die Röhre, von Sonderschülern wollen wir gar nicht erst reden.
Eine Freundin von mir ist Tierarzthelferin geworden. Sie hatte Abitur, das traf auch auf 80 % ihrer Klassenkameraden zu. Ein Bekannter ist Augenarzt, er sucht für seine Praxis jedes Jahr eine Auszubildende. Dabei erwartet er Abitur, Deutsch und Biologie oder Chemie mindestens mit der Note 2, Maschine schreiben, Führerschein und ein eigenes Auto und ein Mindestalter von 18 Jahren. Wir reden hier immer noch von einer medizinischen Fachangestellten, also Arzthelferin. Aber er wird jedes Jahr fündig.
Und die Praxis liegt mitten im Ballungsraum in der Stadt. Da könnten zig Azubis zu Fuß den Arbeitsplatz und die Schule erreichen. Es geht auch nicht um eine abgehobene Privatpraxis, wo auf diesem Weg sozusagen sozial schwächere Elternhäuser aussortiert werden.
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