Den Vater trotz problematischer Beziehung nicht besuchen?

vom 06.12.2015, 20:58 Uhr

Ein Kumpel hat mir heute umfangreich über seine private Situation berichtet, was mich in Verlegenheit brachte, da ich bei seiner Schilderung nicht sofort eine passende Antwort fand. :? Ich möchte gerne von euch wissen, was ihr davon haltet. Es geht um Folgendes, verzeiht mir den langen Text:

Dieser Kumpel hat es mit seinem Vater überhaupt nicht leicht. Er lebt bei seiner Mutter; früher, als er noch mit beiden Eltern gelebt hat, erzählte er mir, wie schwierig es schon von da an mit dem Vater war, da dieser ihn auf übertriebene Art und Weise animierte, die Schule sei das Mass aller Dinge. Sein Vater stammt auch aus ärmeren Verhältnissen, und wollte für seinen Sohn auch eine gute Schulbildung garantieren, dass sieht mein Freund (und ich) ein.

Aber sein Vater war da gemäß seiner Aussage so übertrieben, dass er bis heute damit weiterfährt und ihn eigentlich nur Stress damit aufbereitet. Es gab selten Lobe, immer die Höchstleistung war gefragt und auch sonst waren die Gespräche nur schulischer Natur, sodass das Zusammensein mit dem Vater für mein Kumpel recht langweilig war. Wenn mein Kumpel ihn mal besuchte, so war es ein Riesenaufwand für ihn. Dies auch heute.

Er hat nie Lust, bei ihm zu sein und wieder über die Schule zu reden, sodass ihm sein Vater nur noch mehr mit dem Gerede stresst. Ein Besuch bringe ihm auch nichts, sagte er, denn sowohl er wird durch das Gespräch demotiviert, und auch wenn sein Vater ja über ein Besuch froh sein sollte, so regt dieser sich immer auf, weil er nie mit der Schule (Kumpel geht auf Uni!) und dem Leben des Kumpels zufrieden ist.

Soweit so gut, aber heute hat mir mein Freund noch erzählt, dass er seit ein paar Tagen fix nicht mehr zu Besuch zum Vater geht. Er hat es dem Vater sogar gesagt, er gehe nicht mehr zu ihm, weil er sich dort nicht mehr wohlfühlt. Er hört auf seine Gefühle und er kann nicht bei jemand sein, wo er sich nicht wohlfühlt, selbst wenn es sein Vater ist. Wie hart muss dann sein zu sagen... :( Sein Vater ruft selten an, aber ruft er an, weil er die Briefe auf Deutsch nicht versteht, lehnt er ab, ruft sein Vater an, weil er sich allein fühlt, lehnt er ab.

Die Zuneigung ist schon vorhanden, wie mein Freund erwähnte, denn er möge sein Vater sehr und auch sein Vater, der durch kleine Geschenke vielleicht so seine Zuneigung zum Ausdruck bringt. Aber mein Kumpel schafft es selbst nicht, die Zuneigung zum Ausdruck zu bringen. Es sei für ihn eine Blockade. Zeit mit ihm verbringen geht nicht. Kollegiale Gesellschaft täte ihm besser, verständlich auch irgendwo

Zum Schluss hat mir mein Kumpel offenbart, dass sein Vater demnächst eine Operation hat, was er aber nur durch die Mutter erfahren hatte. Er sagte mir, dass er seinen Vater nicht besuchen will, selbst wenn er im Krankenhaus ist. Er schämte sich zu Boden und er fing beinahe zu weinen an, wo ich eben zum Punkt kam "Was sage ich jetzt?"

Nach der langen Geschichte werfe ich euch den Ball zu. Was meint ihr, wie findet ihr das Verhalten meines Freundes? Findet ihr es okay, dass man wirklich jemand besuchen, mit dem man nicht sein möchte, bloss weil er zur Familie gehört? Oder gibt es hier kein richtig oder falsch? Ich kann nur sagen, dass ich diesen Kerl kenne, er ist so ein lieber Typ, er kommt mit seiner offenen Art in seinem Umfeld gut an, diese Beziehung zum Vater ist aber ein Dorn. Und er beharrt fix, dass er nicht mehr zu ihm geht, weil er es einfach gut haben will.

Ich bitte doch um Rückmeldungen seitens von euch. Ich denke, mein Kumpel macht nichts falsch, sein Glück zu suchen und hat es schon schwer genug, aber aus euren Rückmeldungen kann ich vielleicht noch eine bessere Antwort zum Weitergeben formen.

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» Aincrad » Beiträge: 27 » Talkpoints: 10,49 »



Tja, was soll man groß dazu sagen? Hört sich in erster Linie vielleicht problematischer an, als es ist. Und wenn ich es jetzt nicht überlesen oder du es ausgelassen hast, so gab es zwischen den beiden ja nie eine größere Aussprache. Diese sollte nachgeholt werden, denn dieses Verhalten ist dann - zumindest in meinen Augen - einfach nur feige. Dein Freund möchte einem unangenehmer Problem aus dem Weg gehen, fühlt sich damit schlecht und bringt trotzdem den Mut nicht auf, etwas zur Besserung der Situation beizubringen.

Das hört sich genau nach so einer Sache an, die einem in ein paar Jahren ziemlich leid tun würde - nur dass es dann manchmal schon zu spät ist. An deiner Stelle würde ich deinem Freund jedenfalls ins Gewissen reden und nahelegen, mal ein klärendes Gespräch mit dem Vater zu suchen. Dass man sich dabei nicht wohl fühlt muss auch nicht sein, immerhin besteht das Leben nicht nur aus Wohlfühlmomenten. Wenn es trotzdem zur Verbesserung des Verhältnisses zwischen den beiden beitragen kann, dann muss man es aber definitiv versuchen.

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» TamiBami » Beiträge: 2166 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Aus ganz anderen Gründen geht es mir mit meiner Mutter gerade ähnlich. Ich hab mir schon so viel von ihr anhören müssen. Ich habe auch oftmals Contra gegeben und wir haben dann gestritten, aber es ändert sich nichts. So bin ich jetzt gerade an einem Punkt, an dem ich kein Interesse mehr an Kontakt habe, weil es mir damit einfach nicht gut geht.

Das klingt hart. Wie mein Vorredner schon sagte, das Leben besteht nicht nur aus Wohlfühlmomenten. Aber wenn man sich nach jedem Kontakt total schlecht fühlt, geht das einfach nicht. Auch Eltern muss man nicht besuchen, wenn es die Psyche so belastet. Früher habe ich nach jedem Gespräch mit meiner Mutter den restlichen Tag geheult. Und sie wahrscheinlich auch. Das ging so weit, dass ich mich emotional so von ihr distanziert habe, dass es mir jetzt scheißegal ist, wie es ihr mit dem Kontaktabbruch geht.

Daher finde ich es gar nicht schlecht, dass sich dein Bekannter für eine Weile aus der Beziehung zurückzieht. Ein klärendes Gespräch vorher wäre natürlich schön, aber das ist oftmals nicht möglich. Eltern müssen lernen zuzuhören und so wie es klingt, kann das dieser Vater noch nicht. Vielleicht ist ein Brief die bessere Variante.

Aber wenn es für die emotionale Gesundheit wichtig ist, den Kontakt abzubrechen, sollte man das tun. Auch, wenn es um die Eltern geht. Oder vielleicht gerade wenn es um die Eltern geht, weil die das doch auch nicht wollen können. Würde der Vater verstehen, was er seinem Sohn damit antut und seine Schuld daran eingestehen können, würde er ihm auch raten, sich das nicht antun zu lassen.

Dein Bekannter muss den Kontakt ja nicht für immer abbrechen. Er soll Kraft sammeln, Selbstbewusstsein und Stolz entwickeln. Dann kann er seinem meckernden Vater auch ganz anders entgegentreten. Vielleicht geht das erst, wenn der Sohn seinen Abschluss und einen guten Job hat. Aber dann dauert es eben so lange. Danach haben sie eine umso größere Chance auf ein gutes Verhältnis, das beide glücklich macht.

Der Krankenhausaufenthalt und die Operation des Vaters stellen aber eine Ausnahmesituation dar. Da sollte er sich noch mal überlegen, ob er ihn vielleicht ganz kurz besucht. Oder wenigstens Blumen schickt oder ähnliches. Denn sollte dem Vater dann etwas zustoßen, hätte er sein Leben lang Schuldgefühle, dass er nicht noch mal da war. Das kann zwar immer passieren, auch ohne Operation, aber in dem Fall glaubt man dann, es vorher hätte wissen zu können.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Eigentlich hast du Recht, das dachte ich eben auch: Dass sein Verhalten feige wirken könnte. Er sagte auch, dass wenn sein Vater seine Wäsche waschen muss seine Mutter zu ihm gehe und die Wäsche abholen, da er das nicht möchte. Die Mutter kommt auch nicht klar mit ihm, aber ihr macht das jetzt weniger aus als ihn. Da denke ich auch: Alter...! Aber er erwiderte immer wieder: Es geht nicht.

Ich entsinne mich, wie er sagte, wie stur sein Vater ist. Er hat ihm gesagt, dass es ihm stört, wenn er durch seine ständigen Schuldanweisungen Kontrolle auf sein Leben ausführen will. Er möchte auch Unabhängigkeit in sein Leben. Und sagt er ihm dies auch klar, so bleibt sein Vater bei der gleichen Meinung bei der nächsten Kontaktaufnahme.

Eine Aussprache ginge somit gar nicht, obwohl er es scheinbar möchte. Mein Kumpel hasst auch Konflikte oder ähnliches, er ist ein sehr sensibler Kerl. Aber auf jeden Fall hat er ihm mitgeteilt, wie er sich fühlt - was man meiner Meinung nach immer tun sollte anstatt Anschuldigungen zu verbreiten. Und er fühlt halt, dass es ihm dort gar nicht wohl ist.

Scheinbar ist es komplizierter als es aussieht, da spielte eben Kindheit eine große Rolle und die Gefühle die man hat auch. Dann frage ich mich: Ist das wirklich Problemschieberei oder eben halt Problemlösung, weil durch das gegenseitige Ignorieren es ihm doch besser geht? Ich denke, es nagt auch nicht an ihm, er strahlt sonst immer. Nur, wenn sich der Vater meldet, kommt es eben. Wie so ein "nicht der schon wieder". Auf jeden Fall danke für die Antwort Tami. :)

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» Aincrad » Beiträge: 27 » Talkpoints: 10,49 »



Mein Vater ist ähnlich. Den hat es immer nur interessiert, was ich für Noten hatte und er hat mir als Kind stets signalisiert, dass man nur was wert ist, wenn man gute Noten hat und später einen guten Job und viel verdient. Wie es mir ging und ob ich zufrieden war, hat den gar nicht interessiert.

Und ich weiß auch, dass es gar nichts bringt, da ein "klärendes Gespräch" zu versuchen. Ich habe ihm schon zig Mal gesagt, dass ich sein Verhalten nicht ok finde und fand und dass ich da das Gefühl als Kind hatte, dass er mich nicht mag, aber kapiert hat er es nicht. Da kam dann nur als Antwort "Das redest du dir ein". Es hat absolut keinen Nutzen, darüber mit ihm zu reden, er versteht es nicht, er kommt aus seiner Denkweise gar nicht heraus.

Und nur weil ich leider mit dem verwandt bin, muss ich den aber nicht mögen oder mich mit dem verstehen. Ich mache immer einen Bogen um ihn. Ich fahre nach Hause, weil ich meine Mutter besuchen möchte, aber der interessiert mich nicht. Mein Vater hat mir mit seinem blöden Leistungsdruck meine Kindheit versaut und mir würde der garantiert nicht fehlen.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Vielleicht bringt der Versuch eines Gespräches etwas. Ansonsten würde ich mir an seiner Stelle überlegen, ob man nicht vielleicht doch noch mal vorher ein paar nette Worte finden kann oder zumindest mal einen Schritt auf ihn zugeht. Immerhin weiß man nie, was bei so einer Operation alles schiefgehen kann und am Ende macht man sich dann noch Vorwürfe.

Sollte er wirklich stur bei seiner Meinung bleiben, würde ich schon den Kontakt eine Weile sein lassen und schauen, wie sich das Ganze dann entwickelt. Vielleicht denkt er dann darüber nach. Damit man seine Argumente auch mal auf den Tisch gebracht hat, kann man ja auch einen Brief schreiben und erklären, warum man das alles so sieht. Selbst wenn er das dann nicht Ernst nimmt, hat man es sich eben mal von der Seele geschrieben.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


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