Das eigene Leben durch eine Krankheit komplett überdenken?
Man hört ja schon mal, dass ein Mensch nach einer schlimmer Krankheit oder auch währenddessen komplett überdenkt. So werden Prioritäten anders gesetzt und vielleicht rücken Dinge in den Vordergrund, die sonst eher nebensächlich erschienen und einem sind Dinge wichtiger, die sonst keinen hohen Stellenwert hatten.
Das erlebt man ja durchaus mal, wenn jemand eine schwere Krankheit erlitten hat oder durchleben musste. Ich finde das durchaus nachvollziehbar. Aber ich frage mich, wie lange das anhält und ob sich die Prioritäten mit der Zeit doch wieder verändern, wenn der Alltag wieder einkehrt und die Krankheit vielleicht in Vergessenheit gerät oder man eben kaum noch daran denkt.
Habt ihr euer Leben schon durch eine Krankheit neu überdacht? Haben sich eure Prioritäten und Wünsche dadurch verändert? Hat das durchaus angehalten oder sich doch irgendwann wieder verändert? Meint ihr, dass es automatisch dazu kommt, dass man dann sein Leben überdenkt und Veränderungen herbeiführt?
Ich halte das für ein ziemlich ausgelutschtes Klischee. Kommt aus der gleichen Kiste wie die Frau, die sich nach einer Trennung die Haare abschneidet. Sicher gibt es das, sicher fühlen sich einige Leute auch durch die Klischees dazu gedrängt irgendwas zu ändern, weil sie denken, dass sie das machen müssten weil es dazu gehört, aber automatisch passiert hier gar nichts.
Ich habe sogar schon von jemandem, der nach einem schweren Unfall sein Leben überdenken und ändern musste, weil der Job, die Hobbys und solche Sachen in der alten Form nicht mehr möglich waren, gehört, dass er sein altes Leben so gut wie möglich zurück haben möchte.
Da kann ich mich nur anschließen. Gerade im Bereich Krankheiten und Behinderungen ploppen immer wieder die gleichen sentimentalen Klischees auf, wie man sie auch aus billigen Betroffenheits-Reportagen und -Filmen kennt. Jeder Betroffene kämpft sich tapfer "zurück ins Leben", hat "das Lächeln trotzdem nicht verlernt", weiß das Leben jetzt ganz neu zu schätzen und hat selbstverständlich Familie und einen großen Freundeskreis, die voll und ganz hinter ihm/ihr stehen. Schön wär's.
Ich vermute, dass die Klischees darauf beruhen, dass sich niemand gerne eingestehen möchte, dass schwere Krankheiten und Unfälle jeden treffen können und erst mal nur schrecklich sind. Um sich sicherer zu fühlen, möchten viele Leute nur zu gerne glauben, dass es im Prinzip auch Vorteile hat, wenn man im Rollstuhl landet oder eine Lebenserwartung von zwei Jahren mit Chemo prognostiziert bekommt und klammern sich dann an Geschichten von Leuten fest, die ihr Leben neu überdacht und natürlich zum Positiven verändert haben.
Dass das oft reichlich viel verlangt ist, darüber denkt man nicht so gerne nach. Nicht jeder findet sich locker damit ab, dass als Sport beispielsweise gerade noch Schach in Frage kommt oder dass das Ersparte für Reha draufgegangen ist oder dass man nur noch stundenweise arbeiten kann. Natürlich arrangiert man notgedrungen sein Leben neu und denkt über seine Prioritäten nach, aber daran ist in meinen Augen nichts Heroisches oder Romantisches.
Ich denke, dass es normal ist, dass man durch bestimmte Krankheiten automatisch sein Leben überdenkt beziehungsweise das auch muss. Wenn man beispielsweise Lungenkrebs hat und starker Raucher ist, dann wird einem mit Sicherheit dazu geraten werden, das Rauchen zu lassen. Im Normalfall wird man sich dann mit dieser Option auseinandersetzen und sich möglicherweise auch dazu entscheiden, das Rauchen sein zu lassen und gesünder zu leben.
Viele Krankheiten führen ja auch dazu, dass man sein Leben eben nicht mehr so weiterführen kann, wie man es getan hat. Oft muss man sich dann beruflich etwas zurücknehmen, vielleicht geht man dann aber auch schon früher in Rente. Oft kann man sich dann nicht mehr so ernähren, wie man es zuvor getan hat oder man muss auf bestimmte Sportarten oder Hobbys verzichten, weil es dann nicht mehr geht.
Vieles führt also zwangsläufig dazu, dass man sich mit der Krankheit und ihren Folgen auseinandersetzen muss und automatisch einiges überdenkt. Oft hat man sicherlich aber dann auch aus anderen Gründen die Motivation oder die Lust, etwas zu ändern. Vielleicht weiß man dann ja auch, dass man nicht mehr lange zu leben hat und möchte das restliche Leben so gut wie möglich ausnutzen und etwas tun, was man noch nie getan hat.
Klar habe ich mein Leben neu überdacht, als ich mit unter 30 Jahren berufsunfähig geworden bin. Aber das hatte rein praktische Gründe, schließlich war bisher klar, dass ich mein Arbeitsleben mit Viehzeugs, Chemikalien und anderen für Allergiker brisanten Stoffen verbringe. Auch meine Freizeitgestaltung hatte viel mit dem Grundthema Tier zu tun.
Ich hatte doch keine Wahl, als mein gesamtes Leben neu auszurichten, weil das, was mich sehr glücklich gemacht hat, mich nun krank machte. Und das muss ich natürlich beibehalten, denn an der Reaktion auf die Allergene hat sich nicht geändert. Also mussten neue Ansätze und neue Arten, sein Leben zu gestalten her.
Es mag ein Klischee sein, aber man überdenkt bei einer schweren Krankheit sein Leben durchaus einmal komplett. Zuerst einmal muss man mit der Erkrankung an sich klarkommen. Dann kommen die Gedanken, wie man sein Leben zukünftig gestalten möchte, beziehungsweise muss. Danach muss man langsam aber sicher wieder ins Leben zurückfinden und die Initiative ergreifen, damit es einem wieder besser geht.
Ich bekam eine Diagnose, die nun mein komplettes Leben auf den Kopf stellen wird. Mit meinen anderen chronischen Wehwehchen komme ich klar, aber diese neue Sache wird mich auch dazu zwingen, alles komplett zu überdenken. Jedoch werden diese Gedanken oft zu romantisiert dargestellt. Ich kann es verstehen, wenn man sich an Geschichten anderer Menschen klammert, die ihr Leben auch mit Handicap bewältigen. Aber am Ende ist das eigene Leben wahrscheinlich doch recht unterschiedlich zu dem dieser Menschen und man muss eigene Wege für sich entdecken.
Die Krankheit wird da sein, sie wird teilweise den Alltag bestimmen. Man muss sich zurücknehmen oder seinen Alltag neu gestalten, aber letztendlich wird die Krankheit immer wieder auftauchen und einen daran erinnern, was man nicht mehr machen kann. Da gibt es nichts Heroisches oder Romantisches dran, also es ist in der Realität deutlich anders als in den Seifenopern dargestellt. Man darf natürlich träumen, aber der Weg aus der Krankheit in einen neuen Alltag ist schwieriger als es oft dargestellt wird. Man kann nicht einfach vom Krankenbett aus ein neues Leben beginnen, da gibt es viele Hürden zu bewältigen.
Es kommt doch dabei wohl auf die Krankheit an. Wer nach einem Arbeitsunfall mit mehreren Knochenbrüchen im Krankenhaus liegt, muss wohl kaum danach an seinem Leben etwas verändern, sofern man danach wieder völlig gesund ist. Anders sieht das schon bei Krankheiten aus, wo man sein Leben danach anpassen sollte. Das kann eine Krebserkrankung sein, aber auch eine Krankheit, die man sich durch seinen Lebenswandel bekommen hat.
Ist halt nicht immer alles Klischee, auch wenn es danach aussieht, sondern einfach Notwendigkeit, wenn man am Leben hängt. Und genauso gibt es dann eben auch Menschen, welche ihr Verhalten nicht ändern, obwohl es sinnvoller ist, wenn man eine Krankheit besiegen oder zumindest mildern will.
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