Brauchen wir ein Mindesthonorar?

vom 27.08.2015, 23:56 Uhr

Nachdem nun Mindestlöhne durchgesetzt sind, will die LINKE nun auch noch eine Art Mindesthonorar für alle Selbständigen. Hierbei sei daran erinnert, dass z. B. Steuerberater oder Rechtsanwälte eine Gebührenverordnung haben, die ihnen eine solches Mindesthonorar zusichert und beide Berufsgruppen haben auch das Monopol darauf, andere gegen Entgelt vor dem Finanzamt oder dem Gericht zu vertreten.

Daher halte ich die Forderung nach einem Mindesthonorar auch für andere Selbständige für vertretbar. Wie steht ihr einer solchen Forderung gegenüber?

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Ich glaube nicht, dass wir das brauchen. Betroffen wären allenfalls ein paar "Hobbyselbstständige", die nebenberuflich mit ihrem Hobby noch ein paar Euro dazu verdienen. Nicht selten sind das Schüler und Studenten. Gerade im Online-Bereich und zum Beispiel in der Veranstaltungsbranche findet man das sehr häufig. Ich kenne einige Hobby-DJ, die für 50 Euro am Abend auflegen.

Das Geld ist mehr oder weniger nur eine Aufwandsentschädigung, eigentlich machen sie es aus Spaß. Im Endeffekt ist das weit unter dem Mindestlohn, aber mit der Einführung eines "Mindest-Honorar" müsste er die Preise so erhöhen, dass es für viele Veranstaltungen unrentabel ist oder kein Geld mehr verlangen und es rein als Hobby führen. Aber wer hat dadurch etwas gewonnen?

Ein anderer Bereich, in dem es mit einem Mindesthonorar kritisch wird, ist das Ehrenamt. Ehrenamtliche wie beispielsweise Fußballtrainer bekommen teilweise nämlich auch eine Aufwandsentschädigung. Die liegt oftmals unter dem Mindestlohn. Aber die Einnahmen fallen unter Einnahmen aus selbstständigen Tätigkeiten.

Außerdem würde es zu noch mehr Bürokratie führen, die im Endeffekt nur vielen Leuten sehr weh tut und nur sehr wenigen Leuten etwas nutzt.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 28.08.2015, 07:18, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen

Ich denke hierbei eher an Selbständige zum Beispiel im Baubereich. Dort ist es inzwischen doch üblich, dass über Zwischenfirmen Selbständige aus Osteuropa zu absoluten Hungerlöhnen ausgebeutet werden und dem sollte man einen Riegel vorschieben. Hier geht es doch um eine faktische Umgehung des Mindestlohnes, die somit unterbunden werden soll.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



So übel ist die Idee gar nicht. Wenn ich an die Texter denke, dann geht es Kollegen, die durchaus gut sind, verdammt schlecht, weil sie sich zum Überleben unter Wert verkaufen müssen. Denn manch ein Konkurrent bietet absolute Kampfpreise an und bietet dafür durchaus viel. Aber es kann nicht sein, dass in diesen Fällen Aufstocken die Lösung sein soll.

Bei den Zeitungsverlagen sieht es auch nicht besser aus. Ok, die Branche steht unter Druck. Aber wenn ich sehe, dass 10 bis 20 Cent für eine Zeile in der Lokalredaktion für freiberufliche Journalisten durchaus normal sind, dann ist das gruselig. Und Festanstellungen gibt es kaum noch.

Ich habe ziemliches Glück, weil ich besondere Nischen bedienen kann. Das kann aber nicht jeder und das muss man auch nicht können. Aber man sollte so ordentlich bezahlt werden, dass man ein sicheres Auskommen hat, wenn man jeden Tag 8 oder 10 Stunden schuftet.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Ich denke hierbei eher an Selbständige zum Beispiel im Baubereich. Dort ist es inzwischen doch üblich, dass über Zwischenfirmen Selbständige aus Osteuropa zu absoluten Hungerlöhnen ausgebeutet werden und dem sollte man einen Riegel vorschieben. Hier geht es doch um eine faktische Umgehung des Mindestlohnes, die somit unterbunden werden soll.

Entweder fallen diese Leute unter den Mindestlohn oder es handelt sich um Scheinselbstständigkeit. Das heißt der Schutz, den du dir wünschst, ist schon vorhanden. Dass der nicht überall greift, besonders weil die Arbeitskräfte aus Osteuropa teilweise sehr gerne unter diesen Bedingungen arbeiten, weil sie eben immer noch viel besser sind als in der Heimat, kann man mit noch mehr gesetzlichen Regelungen auch nicht vermeiden.

Man würde nur noch mehr Bürokratie schaffen, die uns jetzt schon in manchen Bereichen empfindlich lähmt und dabei noch richtig viel Geld kostet.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Genau, diese Menschen bekommen entweder den Mindestlohn, weil sie angestellt sind oder sie sind scheinselbstständig. Wie wäre, wenn man den Stammtisch einmal verlässt. Bleiben wir beim Bau: Der Staat muss die Bauvorhaben ausschreiben und den günstigsten Anbieter nehmen. Dabei ist schon beim Lesen des Angebots klar, dass weder der Mindestlohn noch eine faire Vergütung für Selbstständige möglich ist.

Nun erhält zum Beispiel der günstigste Elektriker den Zuschlag. Damit hält er seinen Betrieb irgendwie über Wasser und seine Angestellten in Brot und Lohn. Damit er nicht Pleite geht, sucht er andere Aufträge im privaten Bereich, die besser bezahlt werden. Findet er solche Aufträge, zieht er sofort seine Leute ab und lässt einen Subunternehmer, der Einzelkämpfer ist, diesen Job zu einem Hungerlohn übernehmen. Das Verhalten des Unternehmers ist absolut nachvollziehbar, er hat keine andere Möglichkeit. Aber unser selbstständiger Elektriker der hat das Nachsehen. Und der ist ganz bestimmt nicht scheinselbstständig.

Gehen wir in meine Branche. Mich und meine Kollegen stellt man nicht fest an. Denn wir brauchen viele Pausen und haben immer mal wieder kreative Hänger. Fürs Kaffee trinken und im Park spazieren möchte uns aber niemand bezahlen. So weit ist das noch verständlich. Jetzt braucht man aber bei guter Auftragslage einen Stundensatz von etwa 60 Euro plus Steuer um tragfähig zu sein. Nur finden sich massig Menschen, die einen Partner haben und deshalb weniger benötigen, weil sie gar nicht dauerhaft tragfähig sein möchten, oder die mit Alg 2 aufstocken, die für 10 Euro inklusive Steuer arbeiten. Das ist eine ziemliche Wettbewerbsverzerrung, oder?

Und zur Bürokratie: Warum müssen denn bitte Schulbücher ausgeschrieben werden? Die darf man als Schule schließlich nicht einfach bestellen, es droht Ungleichbehandlung und Filz. Also macht jede Schule brav ihre Ausschreibungen, zig Buchhandlungen entwerfen ein, da Buchpreisbindung, gleichlautendes Angebot und am Ende wird dann gelost. :wall:

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Aber unser selbstständiger Elektriker der hat das Nachsehen. Und der ist ganz bestimmt nicht scheinselbstständig.

Nein, aber in deinem Szenario wäre der Subunternehmer scheinselbstständig.

Nur finden sich massig Menschen, die einen Partner haben und deshalb weniger benötigen, weil sie gar nicht dauerhaft tragfähig sein möchten, oder die mit Alg 2 aufstocken, die für 10 Euro inklusive Steuer arbeiten. Das ist eine ziemliche Wettbewerbsverzerrung, oder?

Viele andere Branchen stehen durch den Wettbewerb mit Niedriglohnländern vor ähnlichen Herausforderungen. Jedes Industrieunternehmen in Deutschland kann ein Lied davon singen. Viele Internetjobs sind noch viel stärker betroffen. Eine gesetzliche Lösung kann es an der Stelle auch nicht geben.

Und zur Bürokratie: Warum müssen denn bitte Schulbücher ausgeschrieben werden? Die darf man als Schule schließlich nicht einfach bestellen, es droht Ungleichbehandlung und Filz. Also macht jede Schule brav ihre Ausschreibungen, zig Buchhandlungen entwerfen ein, da Buchpreisbindung, gleichlautendes Angebot und am Ende wird dann gelost

Wenn das wirklich so ist, wäre das ein gutes Beispiel für unnötige Bürokratie. Aber inwiefern wird das durch ein Mindesthonorar für Selbstständige gelöst?

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



Weasel_ hat geschrieben:
Aber unser selbstständiger Elektriker der hat das Nachsehen. Und der ist ganz bestimmt nicht scheinselbstständig.

Nein, aber in deinem Szenario wäre der Subunternehmer scheinselbstständig.

Wieso sollte der Subunternehmer scheinselbständig sein? Wie kommst du darauf? Er wäre scheinselbstständig, wenn er dauerhaft und weisungsgebunden nur für diesen einen Elektrikerbetrieb arbeiten würde. Aber das ist in vielen Fällen eben nicht der Fall. Woran machst du fest, dass er abhängig beschäftigt ist?

Ich habe jetzt auch wieder 4 Monate ausschließlich für einen Auftraggeber gearbeitet. Bin ich jetzt nach deiner Auffassung auch scheinselbstständig gewesen? Nach deiner Logik müsste es so sein, nach den Gesetzen ist es allerdings nicht so. Ich wäre auch ziemlich sauer, wenn das Gesetz es anders sehen würde.

Weil man sich also mit der Wirtschaft in anderen Ländern messen muss, ist die Lösung so niedrige Löhne zu zahlen, dass die Arbeitnehmer und Selbstständigen aufstocken müssen, für dich ok? Dass mittlerweile ganze Branchen nach diesem System funktionieren und die staatliche Hilfe einkalkulieren, das ist langfristig sinnvoll?

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Wieso sollte der Subunternehmer scheinselbständig sein? Wie kommst du darauf? Er wäre scheinselbstständig, wenn er dauerhaft und weisungsgebunden nur für diesen einen Elektrikerbetrieb arbeiten würde. Aber das ist in vielen Fällen eben nicht der Fall. Woran machst du fest, dass er abhängig beschäftigt ist?

Es wäre gut möglich, dass das zutrifft. Solche Einzelkämpfer-Subunternehmen arbeiten nämlich eben sehr häufig nur für einen Auftraggeber, weil sie keine Zeit für Akquise haben. Bei öffentlichen Bauvorhaben arbeiten aber eher größere Firmen, die dann die Arbeiter aus Osteuropa beschäftigen. Und da ist dann wieder der Mindestlohn entscheidend.

Wenn du den Verdacht hast, dass in einem konkreten Fall ein Einzelunternehmer unter Mindestlohn arbeitet, dann kannst du das sicherlich dem Zoll melden, die werden sich dafür dann schon interessieren.

Weil man sich also mit der Wirtschaft in anderen Ländern messen muss, ist die Lösung so niedrige Löhne zu zahlen, dass die Arbeitnehmer und Selbstständigen aufstocken müssen, für dich ok?

Nein, man sollte sein Geschäftsmodell so anpassen, dass es profitabel ist und nicht profitable Tätigkeiten aufgeben. So hat es die Industrie gemacht und sie ist damit sehr erfolgreich. Und wenn man als Selbstständiger nicht mit Hausfrauen, die 10 Euro die Stunde verlangen, mithalten kann, dann muss man sich eben irgendwann eingestehen, dass man damit kein Geld verdienen kann. Wenn man dagegen einen Mehrwert liefert, der den vielfachen Preis rechtfertigt, dann hat man ja kein Problem.

» Weasel_ » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Willkommen in der Realität, wie weltfremd kann man eigentlich sein. Es könnte sein, dann dieser Elektriker scheinselbstständig ist. Es kann aber ebenso gut sein, dass er es nicht ist, auch wenn er nur 2,50 pro Stunde verdient. Das interessiert dann auch den Zoll nicht. Aber für dich gibt es offensichtlich nur schwarz und weiß und alles ist ganz einfach und klar.

Genauso lustig ist das mit der von dir geforderten Selbstregulierung des Marktes. Da kann man doch nur müde drüber lachen. Wenn die Alternative darin besteht, Alg 2 zu beziehen und mehr zu verdienen oder nur Alg 2 zu erhalten, dann gibt wohl kaum jemand die Möglichkeit zum Mehrverdienst auf.

Als Journalist für den Lokalbereich ist es beispielsweise noch ziemlich gut möglich, etwa 1.000 Euro pro Monat auf freiberuflicher Basis zu verdienen. Als Alleinstehender sollte man allerdings damit besser aufstocken, denn schlechte Monate gibt es immer. Gibt es ein Kind, bleibt nur das Aufstocken. Und jetzt ist die Rechnung einfach: Alleinstehend mit Kind (10 Jahre) nur ALG 2 heißt 714 Euro plus Wohnkosten. Mit 1.000 Euro Verdienst (egal ob angestellt oder selbstständig) bedeutet 714 Euro plus 280 Euro plus Wohnkosten.

Das gibt niemand auf, weil es sich nicht lohnt, wenn es keine Alternative gibt. Bei uns in der Stadt kommt das etwas so aus: Nur Alg 2 als Alleinerziehende bringen etwa 1000 Euro, mit dem Job werden es 1.280 Euro, das ist ein spürbarer Unterschied. Übrigens gilt für unser Jobcenter ein 450-Euro-Job als erster Arbeitsmarkt. Bei einer Arbeitslosenquote von 13 %, in der die ganzen Aufstocker, Ein-Euro-Jobber, etc. alle fehlen ist das auch kein Wunder.

Folglich kann ich Menschen, die ihre Arbeitskraft so weit unter Wert anbieten, nicht böse sein. Schließlich verbessert sich ihre eigene Situation damit enorm. In meinem Stadtteil sieht es beispielsweise so aus: Arbeitslosenquote 15,7% plus 5,5% Sozialhilfeempfänger (nicht Alg 2!). Das heißt, dass 21,2% aller Bewohner hier schlichtweg abgehängt sind und von verdammt wenig leben.

Frage doch mal, für wie wenig Geld die gearbeitet haben, bevor es den Mindestlohn gab. Als Verkäuferin bei großen Modeketten für 4,31 Euro oder bei Mitarbeiter bei bekannten Sicherheitsunternehmen für 3,70 Euro pro Stunde waren absolut keine Seltenheit. In solchen Verhältnissen regelt sich nichts mal eben so über den Markt, weil die Menschen für einen Hungerlohn alles geben und immer hoffen, dass es besser wird.

» cooper75 » Beiträge: 13411 » Talkpoints: 515,76 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


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