Bei Wohnungssuche mehrgleisig fahren?
Mein Bruder möchte sein Master-Studium in einer anderen Stadt machen, wobei er wie verrückt nach einer neuen Wohnung sucht. Es wäre zu weit, dorthin zu pendeln, was ich auch verstehen kann.
Da die Stadt aber hart umkämpft ist, was den Wohnungsmarkt angeht, fährt er mehrgleisig. Soll heißen, er hat mehrere Makler kontaktiert, dass die für ihn eine passende Bleibe suchen, aber auch die Wohnungsgenossenschaften vor Ort und gleichzeitig sucht er selbst im Internet, kontaktiert private Anbieter, fragt Kontakte vor Ort, schaut am schwarzen Brett seiner neuen Uni nach und kauft sogar Zeitungen und stöbert da die Wohnungsanzeigen durch.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich nicht so weit gegangen bin, als ich vor einem Semester umgezogen bin. Ich habe da einfach eine Bewerbung ans Studentenwerk geschrieben, habe nach nicht mal einer Woche eine Vorschlagsliste bekommen, sodass ich mir aussuchen konnte, wo ich einziehen möchte. Dann musste ich nur noch dahin, den Mietvertrag unterschreiben und gut ist. Ich denke, dass ich da ziemlich Glück gehabt habe, aber vielleicht meint Gott es auch nur besonders gut mit den Naivchen.
Fahrt ihr bei Wohnungssuchen mehrgleisig? Wie geht ihr vor, wenn ihr eine neue Wohnung sucht? Würdet ihr das von der Größe der Wohngegend abhängig machen oder habt ihr eine grundsätzliche Strategie, die ihr immer und überall anwendet?
Wenn man nicht gerade in einer Gegend mit einem Überangebot an günstigem Wohnraum lebt, dann muss man mehrgleisig fahren. An meiner alten Universität kommen auf etwa 45.000 Studierende 4.000 Wohnheimzimmer.
Die Hochschule verweist direkt auf die anderen Möglichkeiten und die Nachbarstädte. Wobei die im Norden und im Süden gehen, im Osten und Westen sind andere Universitäten, da wird der Wohnungsmarkt nicht besser.
Später wird es auch nicht einfacher bei uns, wenn es eine nette Wohnung sein soll. Bei unserer beliebtesten Wohnungsgenossenschaft beträgt die Wartezeit aktuell bei 6 Jahren. Wer nicht spätestens die dritte angebotene Wohnung nimmt, rutscht wieder an das Ende der Liste und wartet wieder 6 Jahre oder länger.
Hier braucht man Internet, Zeitung, Wohnungsunternehmen, Genossenschaften und Makler, damit es etwas wird. Bruchbuden zu überzogenen Preisen und Wohnungen in problematischen Stadtteilen gibt es dagegen sofort.
Hier braucht man auch mehrere Varianten, mit Zeitung und Internet alleine kommt man nicht mehr weit. Es geht so weit, dass man hier sogar schon Anzeigen im Supermarkt an die Pinnwand und an Straßenlaternen hängen muss. Zusätzlich gibt es auch Gruppen in sozialen Netzwerken die über freie Wohnungen informieren, ist man jedoch nicht nach 5 Minuten nach dem erstellen bereits am Telefon, dann ist diese Wohnung bereits vergeben.
Es wurde hier einfach verpasst bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Zeitgleich habt die Universität ausgebaut und es sind weitere Fachschulen und Fachhochschulen gegründet worden. Jedes Jahr kommen hier etwa 25.000 Studenten pro Semester an. Die Wohnheime sind lächerlich, es gibt gerade einmal 1000 Wohnungen für Studenten. Somit sind diese ebenfalls auf den öffentlichen Wohnungsmarkt angewiesen und werden bei größeren Wohnungen sogar bevorzugt, anstatt eine Familie die Kinder hat.
Bei Wohnungsgenossenschaften wartet man hier mit Anteilen, die man bereits seit 10 Jahren besitzt trotzdem weitere 5 Jahre. Auf eine Sozialwohnung oder wenn man durch Eigenbedarf gekündigt worden ist und von Obdachlosigkeit bedroht, dann immerhin noch 8 Jahre. Es gibt zwar Notfalllisten, aber auch diese sind restlos überlaufen, besonders seit zusätzlich noch mehr Flüchtlinge mit untergebracht werden müssen. Schlägt man die vorgeschlagene Wohnung dann aus, dann fliegt man von der Notfallliste und steht wieder ganz hinten an.
Wohnungsbesichtigungen hier sind fürchterlich. Vor 3 Jahren noch gab es nur offene Besichtigungen. Da stand dann eine Adresse mit mageren Angaben in der Zeitung, keine Anmeldung kein gar nichts. Ist man bereits eine Stunde vor der Zeit dagewesen, dann warteten bereits 50-100 Leute die sich die Wohnung anschauen wollen. Auf eine Wohnung kommen hier ungefähr 250 Bewerber. Deswegen kann man sich schon sehr glücklich schätzen, wenn man überhaupt noch zu einer Besichtigung eingeladen wird.
Je individueller man sich selbst vorstellt, desto präsenter bleibt man in der Erinnerung. Deswegen habe ich auch kein stures Standardschreiben an die Vermieter wenn ich mich auf die Anzeigen melde, sondern formuliere das eher frei und ein wenig lustig. Bei Besichtigungen stelle ich sehr detaillierte Fragen und nicht nur "wie groß ist der Raum". Somit erhöht man hier seine Chancen.
Was auch die Chancen erhöht, es werden hier inzwischen private Vermittlungsgelder bezahlt wenn man Wohnungen vermitteln kann. Wenn man also etwas weiß das frei wird und man hat mit dem Vermieter guten Kontakt, dann kann man ihm auch Wohnungssuchende vermitteln und zusätzlich die Prämien von den Suchenden abgreifen. Diese "Belohnungen" reichen bis zu 5000 Euro Bargeld, für eine einfache 3 Zimmer Wohnung wenn diese hinterher an die Person vermietet wird. So verrückt ist es hier inzwischen geworden mit dem Wohnungsmarkt, und dabei ist es vollkommen egal ob es sich um ein "gutes" viertel handelt, oder das letzte Loch.
Selbst für ein einfaches Kellerzimmer mit 10m², ohne Küche ohne eigenes Bad bezahlt man hier mindestens 350 Euro. Und wenn so etwas inseriert ist, dann ist dieses Zimmer auch bereits nach einem Tag vergeben. So verzweifelt sind hier die Leute. Es gibt Studenten die zelten seit mehreren Semestern am Güterbahnhof auf der Fläche, da sie keinen Platz im Wohnheim oder in WGs finden können. Da darf man dann einfach nicht mehr wählerisch sein und muss zwangsläufig mehr gleisig fahren, wenn man hinterher nicht auch zu den zeltenden gehören möchte.
Je nachdem wie hart umkämpft der Wohnungsmarkt ist, ist es schon sinnvoll, dass man mehrgleisig fährt. Wenn wir bei uns in der Stadt damals nicht mehrgleisig gefahren wären, hätten wir definitiv keine bezahlbare Wohnung bekommen. Dementsprechend würde ich immer wieder diese Taktik fahren und nichts anders machen wollen. Wenn der Wohnungsmarkt aber nicht so umkämpft ist, kann man ja darauf verzichten.
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