Bei welchem Gemütszustand sein wahres Gesicht zeigen?

vom 09.08.2017, 05:19 Uhr

Es gab neulich bei uns eine sehr interessante Diskussion im Freundeskreis. So ist eine Freundin der Ansicht, dass man in einem Vorstellungsgespräch nur dann sein wahres Gesicht zeigen würde, wenn man total nervös wäre. Daher würden Personaler es darauf anlegen, dass ein Kandidat sich nicht entspannt, weil man erst in solchen Stresssituationen sehen könnte, wie ein Mensch wirklich tickt und ob er zur Firma oder ins Team passt.

Eine andere Freundin ist jedoch der Meinung, dass man das wahre Gesicht eines Menschen erst dann erkennen kann (weil er es dann erst zeigt), wenn er entspannt ist. Daher sollten Personaler ihrer Meinung nach dafür Sorge tragen, dass der Kandidat sich im Vorstellungsgespräch entspannt und zur Ruhe kommt.

Interessanter Diskussionsansatz finde ich. Wann zeigt ein Mensch in einem Vorstellungsgespräch oder im Alltag sein wahres Gesicht? Wenn er nervös ist oder wenn er entspannt ist? Oder hängt das eher vom Charakter ab und lässt sich nicht pauschalisierend beantworten?

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich würde eher sagen, dass ein Mensch nicht nur ein "wahres Gesicht" hat. Schließlich verhält man sich in verschiedenen Situationen komplett anders, und jemand, der entspannt total offen ist und gerne mit neuen Leuten redet, könnte, wenn er nervös und angespannt ist, lieber für sich sein und keine Gespräche beginnen. Die Frage ist also eher, was die Personaler herauszufinden versuchen.

Im entspannten Zustand kann man, so man das denn will, wahrscheinlich besser Sachen vorspielen. Immerhin hat man genug Ruhe, sich nebenher schnell die passenden Verhaltensweisen und Antworten auszudenken und so weiter. Andererseits wird ein Mensch, wenn er entspannt ist, eher mal seine Deckung runterlassen und etwas offener über sich selbst sprechen, da er dann ja wohl eher das Gefühl hat, dass es keine schlechten Konsequenzen für ihn haben wird. Damit besteht also für Personaler die Gefahr, leichter angelogen zu werden, aber wenn die Person nicht vorhat, zu lügen, dann merkt man bei einer entspannten Person ja eher, wie der so drauf ist.

Im Stress dagegen muss die Person schnell denken können, um irgendwelche Lügen aufrecht zu erhalten, weil es gefühlt weniger Zeit gibt, bis eine Antwort fällig ist. Dafür aber sind wohl viele Personen in so einer Situation zurückhaltender, denn wer will schon mehr von sich preisgeben, als nötig ist, wenn man eher angespannt und nervös ist? Dafür können die Personaler in so einer Situation aber auch gleich sehen, wie die Person sich denn in einer Stresssituation verhält: Lässt sie sich kaum beeindrucken, wird sie schnell extrem nervös, usw.

» Kalu-chan » Beiträge: 718 » Talkpoints: 11,85 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Ich denke auch, dass ein Mensch eben viele Gesichter hat und diese alle zu ein und der selben Person gehören. Vielleicht sieht man in manchen Situationen eher die positiven Eigenschaften und in anderen eben die negativen. Ich denke, dass ich nicht wirklich mein wahres Gesicht zeige, wenn ich sehr aufgeregt und nervös bin. Da bin ich dann auch schon mal neben der Spur und reagiere eben anders, als wenn ich entspannt bin. Aber ich würde nicht sagen, dass man da das wahre Gesicht sehen kann. So etwas sind für mich Ausnahmesituationen.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Mir ist in einem Vorstellungsgespräch auch schon passiert, dass man mich (rückblickend betrachtet) offensichtlich aus der Ruhe bringen wollte, indem man mich zuvor zuerst von einem Vorzimmer voller arroganter Verwaltungs-Schlampen ins andere geschubst hat und mich dann noch Zusatzaufgaben erfüllen ließ, ohne mir auch nur fünf Minuten zu geben, um mir wenigstens ein paar Notizen zu machen. Zu dem Zeitpunkt habe ich mir jedoch nur gedacht: Was für ein unkoordinierter Haufen! Für die würde ich nicht für Geld arbeiten wollen! :stop:

Dass dahinter Absicht gesteckt hat, ist mir erst viel später gedämmert, und ich finde es bis heute lächerlich, da ich mich für einen Verwaltungsposten ganz unten auf der Hühnerleiter beworben hatte, bei dem es objektiv gesehen völlig irrelevant war, wie gut ich unter Stress agieren kann, weil es sowieso keine Sau interessiert, was man auf dem Level an Arbeit macht.

Von daher kann ich die Strategie, Leute bei Bewerbungsgesprächen absichtlich aus der Ruhe zu bringen, durchaus verstehen, wenn es um Jobs geht, bei denen es elementar wichtig ist, auch dann einen klaren Kopf zu bewahren, wenn einem Blut ins Gesicht spritzt. Gerade für Führungskräfte ist es in meinen Augen unabdingbar, auch unter extremem Stress nicht durchzudrehen, und wenn ein Bewerber schon ins Schwimmen kommt, weil man ihn 10 Minuten mit der nägelfeilenden Sekretärin alleine gelassen hat, ist er vielleicht doch nicht für die Leitung der Notaufnahme einer Großstadt oder was auch immer geeignet.

Aber in meinen Augen trifft dies nur für eine Minderheit an Jobs zu, und auch erst ab einem bestimmten Level an Verantwortung für Leben und Gesundheit anderer Menschen. Andererseits bin ich jedoch auch nicht der Meinung, dass man als Vertreter eines Unternehmens in der Pflicht ist, Bewerber aktiv zur Ruhe kommen zu lassen und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Jeder ist selber für seine Außenwirkung verantwortlich, und ich würde auch sehen wollen, wie die Person mit Nervosität umgeht und wie ihr Auftreten unter relativem Stress wirkt.

Dafür muss man die Leute zwar nicht aktiv provozieren und verwirren, aber ihnen das Händchen zu halten erscheint mir auch übertrieben. Schließlich verlangt man ja sogar schon von Teenagern, die sich für eine Lehre oder ein Praktikum bewerben, dass sie angemessen agieren und Contenance wahren.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



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