Bei Essstörungen nur an die klassischen Formen denken?

vom 30.06.2018, 07:38 Uhr

Wenn man Essstörungen hört, dann denkt man sicherlich als Erstes an Magersucht, Bulimie und Esssucht bei dem die Betroffenen sehr stark übergewichtig sind. Es gibt aber sicherlich noch einige andere Formen von Esssucht.

Zum Beispiel täglich Kalorien zu zählen, immer eine Diät anfangen zu wollen und dann Heißhungerattacken zu bekommen und in Essanfälle zu verfallen. Wenn sich tägliches alles ums Essen dreht und man vielleicht sogar meint, dass andere Menschen einem ansehen, was man schon alles gegessen hat, kann man sicherlich auch von einer Essstörung sprechen. Ebenso, wenn Betroffene an manchen Tagen so gut wie nichts zu sich nehmen und dann wieder richtige Essanfälle haben.

Denkt ihr bei Essstörungen immer an die eher bekannten und klassischen Formen? Kennt ihr durchaus andere Fälle, bei denen man von einer Essstörung sprechen kann? Habt ihr das selbst schon erlebt oder vielleicht in der Familie oder im Freundeskreis?

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Da hast du meiner Meinung nach so recht! Die meisten Menschen denken bei Essstörungen nur an die Formen, die auch von außen sichtbar sind, durch Übergewicht oder Untergewicht. Aber das Gewicht ist nur ein Aspekt von Essstörungen, einer von vielen. Eine Essstörung betrifft nahezu alle Lebensbereiche. Durch die krankhafte Fokussierung auf Essen, Gewicht, Kalorien, verdrängt die Kapazität, die man für andere Lebensbereiche braucht, wie Familie, Freunde, Beruf, Freizeit usw.

Man isoliert sich immer weiter, und hält somit auch die "essstörungsbegünstigenden" Faktoren aufrecht. Es ist ein Teufelskreis. Eine Essstörung nur am augenscheinlichen Gewicht abhängig zu machen, kann sogar sehr gefährlich sein, denn es sorgt dafür, dass Betroffene Angst haben, nicht ernst genommen zu werden und sich deshalb keine Hilfe suchen, womöglich sogar das Gefühl haben, "nicht dünn genug" oder "nicht krank genug" zu sein, um Hilfe bekommen zu dürfen und sich deshalb selbst immer weiter kaputt machen.

Ich denke eine Essstörung beginnt dann, wenn einem die Gedanken um das Essen, den Körper, das Zu- und/oder Abnehmen so sehr beeinflusst, dass wir im Alltag eingeschränkt sind. Die Essstörung, die du in deinem Beitrag beschreibst, nennt sich Binge Eating Disorder, und ist sehr weit verbreitet. Leider lassen sich auch hier nur die wenigsten durch eine Therapie helfen, da die Betroffenen von Außen häufig das Gefühl bekommen, dass sie einfach "undiszipliniert" sind, sich einfach etwas mehr am Riemen reißen müssen, aber dahinter steckt in vielen Fällen eine handfeste Sucht.

So wie man von Alkohol und Drogen abhängig sein kann, so kann man es auch vom Essen sein. Das Fatale dabei ist auch - ein Alkoholiker kann im Supermarkt am Getränkeregal vorbei gehen, dafür sorgen, dass er gar nicht erst Alkoholisches in greifbarer Nähe hat. Aber eine essgestörte Person MUSS mit dem Suchtmittel umgehen. Wir können nicht nicht essen. Man ist quasi ständig von dem Suchtmittel umgeben, man braucht es sogar. Das macht eine Genesung noch schwieriger...


In meiner Familie gibt es leider sehr viele Fälle von Essstörungen. Meine Mutter hatte, als sie jung war, Magersucht, und hat bis heute ein unnormales Verhältnis zum essen. Sie reduziert die Nahrungsaufnahme den ganzen Tag über bis auf das Minimum, und isst dann Abends umso mehr, sodass sie sich danach unglaublich unwohl fühlt, ein schlechtes Gewissen hat. Auch mein Vater hat eine Essstörung. Er isst zwar tagsüber normal, hat aber nachts Essanfälle, in denen er schlaftrunken den Kühlschrank leert, was bei ihm zu gefährlichem Übergewicht geführt hat.

Auch ich persönlich habe mit der Essstörungsthematik seit vielen Jahren zu kämpfen. Als Teenager hatte ich Magersucht, in der Zeit des Abiturs hat sich diese dann in eine Bulimie entwickelt, und jetzt habe ich eine Mischform von beidem. Ich ärgere mich sehr darüber, dass ich mir nicht früher Hilfe gesucht habe, denn inzwischen hat sich das ganze chronifiziert... Leider nimmt auch die Zahl von Erkrankten immer weiter zu, und das schlimme ist, die Betroffenen werden immer Jünger. Ich kenne Mädchen, die gerade mal 12 Jahre alt sind, und schon an einer Essstörung erkrankt sind, was unglaublich gefährlich ist, denn das Kind befindet sich ja noch in der Entwicklung. Es ist in der Tat ein schwieriges Thema, welches definitiv relevanter ist, als viele vermuten.

» Viktoria_ » Beiträge: 398 » Talkpoints: 32,44 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Dann hast du ja selbst eine heftige Geschichte erlebt und es quasi durch die Eltern auch vorgelebt bekommen. Ich kenne nur Mädchen, die entweder Magersucht haben oder Bulimie. Das fand ich immer schlimm mit anzusehen und mitzubekommen, wie sie darum kämpfen etwas zu essen. Von dieser Essstörung Binge Eating Disorder hatte ich jetzt zum ersten Mal gelesen und wusste auch nicht, dass es eine Bezeichnung dafür gibt. Man hört ja oft, dass ein Betroffener nur entweder oder betroffen ist. Also entweder Magersucht hat oder Bulimie und keine Mischform. Aber das wissen sicherlich eben nicht so viele. Ich denke, dass sich auch Essstörungen bei jedem Betroffenen anders äußern und darstellen können.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Es stimmt, dass es abseits der klassischen Anorexie oder Bulimie noch zahlreiche andere Subtypen von Essstörungen gibt, die zum Großteil undiagnostiziert bleiben und nicht ernst genommen werden, nicht zuletzt auch deswegen weil sie häufig mit Normalgewicht einhergehen. Leider ist das in der Medizin eher die Regel als die Ausnahme, sobald etwas aus dem klassischen Raster fällt und sich eben nicht mehr in feste Kriterien quetschen lässt. Die Betroffenen leiden dadurch aber nicht weniger und können ebenso gravierende Folgeschäden entwickeln.

Mittlerweile steht ja die sogenannte "Orthorexia nervosa" auch schon in der Diskussion als eigenständige Krankheitsentität. Man spricht von diesem Bild, wenn sich jemand krampfhaft um eine übermäßig gesunde Ernährung und einen überdurchschnittlich aktiven Lebensstil bemüht. Die Medien flößen einem ein Leben nach diesem Vorbild ja bei jeder Gelegenheit ein. Sie dämonisieren Fast Food und Süßigkeiten, verehren Clean Eating und Raw Food, verlangen von uns ein tägliches Workout und am besten auch noch den Verzicht auf jegliche unnötige Schadstoffemissionen. Grundsätzlich ist daran ja auch nichts falsches, aber wer sich zu stringent daran orientiert und alles glaubt, was man ihm vorbetet, der kann dadurch auch schon mal pathologische Verhaltensweisen entwickeln.

» MaximumEntropy » Beiträge: 8472 » Talkpoints: 838,29 » Auszeichnung für 8000 Beiträge



Mir ist schon lange klar, dass es bei Essstörungen nicht nur Bulimie oder Magersucht gibt, sondern auch zig Subtypen dazwischen. Für mich ist es auch schon nicht mehr normal, wenn man ein "schlechtes Gewissen" von einem Stück Kuchen bekommt oder bei jedem Kekskrümel direkt Panik schiebt, dass man jetzt "fett" werden könnte. Ich habe in meinem Leben schon einige essgestörte Menschen (interessanterweise überwiegend Frauen) getroffen, die nach meiner Auffassung definitiv essgestört waren und eine verzerrte Selbstwahrnehmung hatten auch wenn diese offenbar ein normales Gewicht hatten.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


Stimmt, bei Essstörungen denke ich tatsächlich nur an die Klassiker wie Bulimie, Anorexie oder Fresssucht. Sowas wie Kalorien zählen oder ähnliches hätte ich gar nicht als eigenständige Kategorie gewertet, rein vom Bauchgefühl. Das zählt für mich eher als ein erster Schritt Richtung Anorexie und nicht als selbstständige Sucht.

» Cappuccino » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


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