Bei Depressionen Menschenmassen meiden?

vom 30.03.2015, 20:08 Uhr

In einer Dokumentation habe ich vor kurzem gehört, dass die Depressionsfälle in Deutschland ansteigen und sich immer mehr Menschen therapieren lassen oder diese Diagnose bekommen. Viele glauben das der Anstieg nur dadurch zu begründen ist, dass die Diagnosen besser sind und das Depressionen inzwischen auch kein Tabu Thema mehr sind, sondern normal darüber gesprochen werden kann. Man braucht sich dafür nicht zu schämen, was früher sicherlich etwas anders war.

In dem Beitrag wurde auch erwähnt, dass die Selbstmord- und Depressionsraten in Japan besorgniserregend hoch sind und man hat dann auch einen Psychologen mit seinem Patienten gezeigt. Der Psychologe meinte zu dem Patienten, dass dieser versuchen sollte die Rush Hour zu meiden, wenn er zur Arbeit fährt. Er sollte lieber etwas früher oder später fahren, um nicht in die Menschenmassen zu gelangen und auch sonst sollte er größere Menschenansammlungen eher meiden.

Die Tante meines Freundes hatte ebenfalls eine Zeit lang Depressionen und mein Freund war damals immer der Ansicht, dass man sie zwingen sollte an gesellschaftlichen Anlässen teilzunehmen. Er glaubte, dass sie das aufmuntern würde. Ich selbst hatte nie den Eindruck, dass das so ist und wenn ich selbst mal etwas verstimmt bin, dann habe ich auch keine Lust auf Menschenansammlungen. Natürlich ist das weit von einer Depression entfernt, aber ich kann mir vorstellen, dass es ähnlich ist und das depressive Menschen dadurch auch wenig Spaß daran finden, unter vielen Menschen zu sein.

Denkt ihr, dass es depressiven Menschen hilft, wenn sie sich unter vielen Menschen befinden und an Feiern und dergleichen teilnehmen? Oder glaubt ihr auch, dass man ihnen etwas mehr Ruhe lassen sollte, natürlich ohne das diese direkt vereinsamen? Glaubt ihr auch, dass Fahrten mit Zug, Bus und Bahn Depressionen fördern können und man sie daher in solchen Situationen eher meiden sollte?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Ich finde, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Oft wollen ja depressive Menschen gar nicht unter die Leute gehen. Allerdings ist es so, wenn sie dann unter Menschen sind, die sie so annehmen, wie sie sind- das ist ja bei fremden Menschen oft der Fall, weil sie keine Vorurteile haben, dass es ihnen sehr gut tut.

Ich habe ebenfalls eine Bekannte, die an einer altersbedingten Depression leidet. Es tut ihr immer gut, wenn sie mit mir ein wenig unter die Leute kommt. Und wenn es nur ein gemeinsames Essen, ein Einkauf oder ein Spaziergang ist. Sie blüht nachher wieder voll auf und schwärmt wieder vom Leben und lacht dann auch.

Also ich finde, dass es genau falsch ist, die Menschenmassen zu meiden. Worauf man achten sollte ist, dass der Depressive sich die Mühe macht, sich selber herzurichten. Also zu duschen, die Zähne zu putzen, oft hilft auch schon ein Friseurbesuch, dass sich die Person wieder kurzzeitig wie ein Mensch fühlt. Dann kann einer großen Menschenmenge nichts mehr im Wege stehen und es wird sicher einige nette Begegnungen geben, die den Depressiven wieder aufmuntern können.

» nordseekrabbe » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Es mag sein, dass es manchem Depressiven hilft, unter den richtigen Menschen ein wenig abgelenkt zu werden und sich jedenfalls kurzzeitig einigermaßen wohl zu fühlen. Das kommt vermutlich auch suf die Form der Depression an - ein ehemaliger Bekannter von mir kam unter Leuten immer gut klar und sobald er alleine war und zum grübeln kam, ging es bergab. In seinem Fall ging die Depression von Erlebnissen aus der Vergangenheit aus.

In meinem Fall sieht das ganz anders aus. Bei uns waren zum Teil sehr schwere Depressionen leider schon immer in der Familie vertreten. Ich habe rein psychisch, aus Erlebnissen oder so, keine Probleme. Und das war auch mein Problem. Ich war nicht depressiv, weil ich gegrübelt habe, sondern die Krankheit hat mich so kaputt gemacht, dass ich oft nicht einmal mehr grübeln konnte.

In meinem geschilderten Fall waren Menschenmengen absolut kontraproduktiv. Ich wusste, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich wusste, dass ich nicht "normal" bin und -ich hatte damals keine medikamentöse Behandlung- alles Bemühen, "normal" zu sein, nicht von Erfolg gekrönt war. Wenn ich dann das fröhliche Treiben anderer Menschen beobachtete -beispielsweise sich unterhaltende, lachende Menschen im Bus, einfach "normale" Leute- fühlte ich mich nur noch kaputter, unnormaler, fehl am Platz. Das hat mich dann noch weiter runter gezogen.

Am schlimmsten waren dann so Kommentare von Mitmenschen wie "Lach doch mal" oder "Was du brauchst, ist Ablenkung!". Die Leute meinten es nur gut, hatten aber überhaupt keine Ahnung, wovon sie eigentlich reden und konnten auch einfach nicht verstehen, dass ihre Aufmunterungsversuche alles nur noch schlimmer machten und mir damit dann erst recht das Gefühl gaben, eine Aussätzige zu sein.

Ich erinnere mich gut an einen Geburtstag. Ich hab Geburtstage nie groß gefeiert, aber an diesem Geburtstag kamen drei Freundinnen auf die glorreiche Idee, mich aus meinem Tief rausholen zu wollen und mich mit einem freudigen Überraschungbesuch zu behelligen. Klar habe ich mich irgendwo in mir drin gefreut, dass sie an mich gedacht haben.

Aber deren Fröhlichkeit, die ich nicht teilen konnte, die mir entgegen gebrachte Herzlichkeit, die ich nicht erwidern konnte und die immer wieder vergeblich gestarteten Versuche, mich zum fröhlich sein zu bewegen, haben letztlich nur erreicht, dass ich mich verdammt schlecht fühlte, ein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber hatte und das erste Mal seit Jahren wieder über Suizid nachgedachte.

Also, kommt bitte um Gottes Willen nicht bei jedem Depressiven auf die Idee, ihn unter Menschen bringen zu wollen - das kann, so gut es auch gemein ist, völlig nach hinten losgehen... je nach Art und Schwere der Depression.

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» CCB86 » Beiträge: 2025 » Talkpoints: 2,88 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Ich bin da eher zwiegespalten, wenn ich ehrlich bin. Ich war selbst depressiv und ich hatte da immer so Phasen. Es gab Phasen, da hatte ich panische Angst vor Menschenmassen und sehr starke Isolierungstendenzen. Wenn man mich da gezwungen hätte, unter Menschen zu gehen frei unter dem Stichwort "Konfrontationstherapie", dann hätte das definitiv alles nur noch schlimmer gemacht. Das kommt aber immer darauf an, wie stark diese Tendenzen waren, denn die Intensität der Depression war nicht immer gleich.

Wenn diese Isolationstendenzen stark genug waren, hatte ich sogar ein Problem damit, an einem simplen Mädelstreffen mit meinen Freundinnen teilzunehmen. Sogar ihre Anwesenheit hat mir dann irgendwie Angst gemacht und mich in Panik versetzt, dabei konnte ich nicht mal rational erklären warum. Denn wir kannten uns zu dem Zeitpunkt sehr sehr lange, ich vertraue ihnen damals wie heute und sie haben mir nie etwas getan.

Mein Freundeskreis umfasst nur etwa 7 Mädels, mich eingeschlossen, teilweise sind die auch schon verheiratet und haben Nachwuchs, wobei es trotzdem Abende gibt, wo die Mädels sich alleine treffen wollen. Also kann man da nicht unbedingt von "Menschenmassen" sprechen und ich hatte trotzdem ein Problem damit. Aber diese Zeiten sind Gott sei Dank vorbei.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Vielleicht sollte man als depressiver Mensch nicht wirklich sich in Menschenmassen durchschlängeln, aber man sollte definitiv sich mehr mit anderen Menschen treffen. Depressive Menschen isolieren sich selbst, und dadurch wird die Depression nur noch schlimmer. Aber so von jetzt auf gleich sollte man sich natürlich nicht in eine Masse begeben, die mehrere hundert Menschen fasst. Man sollte da eher klein anfangen mit vertrauten Menschen, die einen auch verstehen und unterstützen.

Natürlich kommt das aber auch auf die Phase des depressiven Zustandes an. Ich leide zurzeit auch an Depressionen, habe sie aber durch Anti-Depressiva besser im Griff als noch vor zwei Jahren. Damals war es so, dass alles was mit anderen Menschen zu tun hatte, meinen Zustand erheblich verschlechtert hat. Ich habe selten mein Zimmer verlassen, meistens nur wenn ich auf Toilette gegangen bin oder Hunger hatte. Ansonsten lag ich den ganzen Tag im Bett.

Heute kann ich mich schon zu meiner Familie gesellen oder auch zu fremden Personen und mich mit ihnen unterhalten. Aber das auch nur für eine begrenzte Zeit. Es kommt wirklich darauf an, in welcher Phase man ist und wie man damit umgehen kann. Nur die depressive Person selbst kann sagen, was sie verträgt und was nicht.

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» Divia » Beiträge: 745 » Talkpoints: 55,66 » Auszeichnung für 500 Beiträge


Grundsätzlich gehört Menschen mit Depressionen natürlich geholfen und man sollte sie nicht allein lassen. Irgendwo sollte man allerdings auch an sich selber denken und nicht jede Depression lässt sich so einfach heilen. Man sollte sich nicht ganz abkapseln, weil man ansonsten auch die Gewohnheit verliert und gerade bei Depressionen sind Gewohnheiten und feste Rituale sehr wichtig.

» Juri1877 » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »

Zuletzt geändert von Mod am 31.03.2015, 17:04, insgesamt 1-mal geändert. Zeige Beitragsversionen

Ich denke, dass man auch depressive Menschen nicht alle über einen Kamm scheren kann. Den einen mag es helfen, wenn sie dann trotzdem oder gerade deswegen unter Menschen gehen. Für andere ist das vielleicht eher eine Qual und nur anstrengend.

Ich habe eine Freundin, die unter Depressionen leidet und das schon wohl mehrere Jahre. Bei ihr äußert sich das wohl immer wieder in Schüben, die sie erleidet. Sie nimmt trotzdem an gesellschaftlichen Veranstaltungen teil. Oftmals ist sie da sehr aufgedreht und fast schon aufgekratzt. Ich denke, dass es zum Teil auch an ihren Medikamenten liegt. Sie sagt dann auch immer, dass es ihr irgendwann dann zu viel wird und sie dann lieber nach Hause geht. Da ich auch meist nicht bis spät in die Nacht auf einer Feier aushalte, schließe ich mich dann oftmals an. Wenn sie aber einen Schub hat, dann geht sie auch eher nicht so unter Leute.

Man kann Personen sicherlich einigermaßen einschätzen, die im eigenen Umfeld leben und demnach weiß man ja vielleicht, ob man einen depressiven Menschen überreden sollte mit zukommen oder besser nicht. Ich würde das immer vom jeweiligen Fall abhängig machen.

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» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



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