Authentisches Verhalten beruflich und privat

Ich habe neulich mal überlegt, ob ich immer authentisch bin, sein kann und es auch will. Ebenso habe ich nachgedacht, ob die Menschen mit denen ich beruflich und privat zu tun habe, weitestgehend authentisch wirken bzw. es auch sind.

Was meine ich mit authentisch? Dass sie wahrheitsgemäß antworten, sich nicht besonders verstellen und nicht andauernd eine Rolle spielen, bzw. Unsicherheiten durch bestimmte Verhaltensweise kompensieren. Natürlich ist klar, dass ein Unternehmensführer vermutlich beruflich mehr Entschiedenheit und Dominanz an den Tag legen muss als es privat nötig ist.

Wie seht ihr das Ganze? Sind eure Mitmenschen beruflich und privat authentisch? Gelingt euch dies selber auch gut?

Ich habe nur eine Kollegin, die sich in dem Sinne unauthentisch verhält und die eine Rolle spielt und nicht sie selbst ist. So verhält sie sich zum Beispiel ganz anders, wenn sie sich unbeobachtet fühlt. Dann arbeitet sie ganz normal und gar nicht hektisch oder so. Aber sobald "Publikum" sichtbar ist, tut sie total hektisch und gestresst und als hätte sie wahnsinnig viel zu tun. Das ist schon auffällig über all die Monate, wie wir uns schon über den Weg laufen.

Hinzu kommt, dass sie sich dann gerne als Chefin aufspielt (obwohl sie keine führende Position bei uns hat) und dann versucht, ihre Aufgaben alle outzusourcen und die anderen Kollegen alle herumzukommandieren. Das ist mittlerweile sogar der neuen Chefin negativ aufgefallen, sodass besagte Kollegin mehrfach zurechtgewiesen worden ist.

Es ist keine sehr verbreitete Ansicht, aber ich bin der Meinung, dass "authentisches Verhalten" nicht unbedingt immer so positiv und erstrebenswert ist, wie es auf den ersten Blick wirkt. Meiner Meinung nach spielen die allermeisten Menschen zumindest in der Öffentlichkeit, und in geringerem Maße bestimmt auch privat eine Rolle, die sie der jeweiligen Situation anpassen und verhalten sich daher nur selten komplett authentisch.

Nur sind manche Leute eben geschickter darin, sich zu verstellen als andere und spielen ihre Rolle als stets beflissene, motivierte Mitarbeiterin, engagiertes Vereinsmitglied, freundliche und sympathische Kundin oder aufopferungsvolle Mutter überzeugend, auch wenn es in ihnen drin gerade ganz anders aussieht, während man bei anderen überdeutlich merkt, dass sie nur so tun, als wären sie motiviert und ausgelastet im Job oder hätten auf der Hochzeitsfeier den Spaß ihres Lebens.

Wirklich "authentisch" hieße für mich, dass auch die weniger präsentablen und angenehmen Eigenheiten, Launen und Probleme im Verhalten und Umgang eines Menschen öfter durchscheinen würden, und das erscheint mir gerade im sozialen Umgang eher unangenehm als erstrebenswert. Ich würde es ja beispielsweise auch nicht als "authentisch" ansehen, wenn mich der Straßenbahnschaffner anblafft, weil er gerade übel Kopfweh hat, oder die Kollegin mich ignoriert, weil sie meine Art nicht leiden kann oder ich selber unausgeschlafen und mufflig in der Ecke sitze, weil ich zu spät ins Bett gegangen bin. Da ist es mir eigentlich lieber, wenn sich die Authentizität in Grenzen hält und sich die Leute ein bisschen netter geben, als sie sich innerlich vielleicht gerade fühlen mögen.

Ich muss sagen, dass ich schon sagen würde, dass ich beruflich und auch privat authentisch bin. Sicher kann man nun das Wort für sich unterschiedlich definieren, aber ich würde es einfach so sehen, dass man sich so gibt, wie man ist und eben keine Rolle spielt. Bei einer Kollegin bin ich mir nicht sicher, aber bei meinen anderen Kollegen bin ich mir schon recht sicher, dass sie sich authentisch benehmen.

Ich könnte mich nicht für den Beruf verstellen und würde mich dabei auch vor allem gar nicht wohlfühlen können. Das würde mich gerade auf die Dauer krank machen, wenn ich im Beruf nicht so sein dürfte, wie ich eigentlich bin.

Ich denke, dass es auf die Erziehung und das Erlebte der Personen selber ankommt, aber durchaus auch etwas mit einer Berufssparte selber zu tun hat. Ein Rechtsanwalt oder Versicherungsvertreter muss sich vielleicht schon sehr oft verstellen. Der erste, weil er auch ab und an Mandanten vertreten muss, mit denen er nicht konform ist. Beispielsweise, wenn er jemanden vertreten muss, der eine andere Person getötet hat.

Oder der zweite, weil er sich ziemlich sicher verstellt und den Personen, die er an sich binden möchte, das Goldene vom Himmel herunter lügt, um ihnen eine Versicherung anzudrehen, die er nicht braucht. Allerdings kann es auch sein, dass es authentische Versicherungsvertreter und Rechtsanwälte gibt. Nur werden sie dann wahrscheinlich in ihrem Beruf nicht so erfolgreich sein wie ihre unehrlichen Zeitgenossen.

Ich selber bin sowohl privat als auch beruflich authentisch. Das fällt mir nicht schwer und ich darf zum Glück auch authentisch sein. Ich denke immer wieder darüber nach, in wie vielen Berufen man sich verstellen muss. Beispielsweise sollte man als Polizist immer ernst bleiben, weil man ja auch eine Respektsperson darstellt. Ich könnte mich nicht verstellen. Sehr humorvoll und liebevoll kann ich mich sowohl zu Hause als auch im Beruf um Kinder und Eltern kümmern.

Authentisches Verhalten im Beruf ist oft überbewertet, meinen einige Leute. Um die Karriereleiter schnell hoch zu kommen, muss man manchmal alternative Wege gehen, sich verstelle, Dinge tun, die nicht zu einem passen, sich vielleicht auch mal unterordnen obwohl das nicht die eigene Art ist. Wer ist schon zu 100% im Leben authentisch? In jedem steckt doch ein kleiner Simulant oder Schauspieler, nur die wenigsten geben das auch zu. In dem Moment wo man nicht zu Dingen steht, ist man schon nicht mehr authentisch.