Arbeit schönreden, um sie zu ertragen?
Ich habe kürzlich die Aussage gelesen, dass 90 Prozent der Menschen sich einreden würden, dass ihnen ihre Arbeit Spaß macht, weil sie ansonsten das Bedürfnis hätten, von der Brücke zu springen, wenn ihnen das Gehirn die Arbeit nicht schön reden würde. Ich finde die These sehr interessant.
Mir macht meine Arbeit schon Spaß und ich empfinde sie als abwechslungsreich, aber laut dem Autoren würde ich ja zu den Menschen gehören, die sich das überwiegend einreden. Woran erkennt man, ob man sich einredet, dass die Arbeit Spaß macht? Welche Indikatoren und Kennzeichen weisen darauf hin? Stimmt ihr dem Autoren in seiner Ansicht zu oder seid ihr komplett anderer Meinung? Macht euch die Arbeit Spaß? Inwiefern redet ihr euch das ein?
Ich glaube schon, dass viele Menschen keine Lust auf ihre Arbeit haben und lieber etwas anderes machen würden, aber die Voraussetzungen dafür einfach nicht gegeben sind. So kann ich mir nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, die sich an einem Schichtsystem wirklich erfreuen können, was aus 3 Schichten besteht. So habe ich da oft meckern gehört, aber eben auch Leute, die das beste daraus machen und sich das Ganze schönreden. Wie letztendlich aber die Zahlen sind, weiß ich auch nicht. Thesen kann man ja doch einige aufstellen.
Wenn ich darüber nachdenke, frage ich mich, was immer so schlimm daran sein soll, wenn man sich bestimmte Aspekte des Lebens "schön redet", anstelle immer nur das Negative zu sehen oder sich zu sagen, dass die Arbeit, oder auch der Partner oder die Wohnung oder die Figur weder besser noch schlechter ist als die aller anderen und sich mit Gewalt darauf konzentriert, die Dinge so rational und objektiv wie nur möglich zu sehen. Das gelingt uns sowieso nicht, da jeder die Wirklichkeit nur gefiltert wahrnimmt und je nach Tagesform, Lebenseinstellung und -erfahrung sie in einem völlig anderen Licht sieht.
Ich selber könnte auch tagtäglich eine Fresse ziehen, weil meine Arbeit mäßig bezahlt wird, nicht unbedingt immer die große intellektuelle Herausforderung darstellt, generell in einer nicht besonders anerkannten Branche stattfindet, wenig Aufstiegschancen bietet und ich nur deswegen überhaupt eine Vollzeitstelle an Land gezogen habe, weil ich praktisch schmerzfrei bin, was Langstreckenpendeln angeht.
Oder ich könnte mich darauf konzentrieren, dass ich einen bombensicheren Job habe, was meinem Charakter durchaus entspricht, dass ich innerhalb gewisser Grenzen durchaus Entscheidungskompetenzen habe, mit meinen Kolleginnen glänzend auskomme, selber daran glaube, etwas Sinnvolles zu tun und im Prinzip dafür bezahlt werde, in Schlappen durch die Gegend zu schlurfen und und Leuten ihr Zeug nachzutragen.
Wenn irgendein Klugschwätzer der Meinung ist, dass ich mir dadurch meinen Job schönrede, um nicht von der Brücke zu springen vor lauter Langeweile und Ausbeutung, dann kann derjenige meinethalben gerne der Meinung sein. Für meine Lebensqualität ist es jedenfalls besser, wenn ich mich damit abfinde, dass Broterwerb zumindest auf absehbare Zeit noch dazugehören wird, wenn man als Teil der Gesellschaft leben möchte, und das möchte ich eigentlich schon.
Ich kenne niemanden, der wirklich den perfekten Job hat, und ich habe auch nicht den Eindruck, dass die Leute, die aus unterschiedlichen Gründen daheim sitzen und Blumenvasen aus Beton gießen, so viel glücklicher sind als das Heer der klassisch Erwerbstätigen. Nach dieser Logik müssten die Arbeitslosen, Hausmänner/Hausfrauen und die berufsunfähigen Mitbürger ja die am wenigsten Selbstmordgefährdeten unter uns sein, und das kann mir keiner ernsthaft einreden.
Ich denke, dass den wenigsten Menschen die Arbeit wirklich immer Spaß macht, aber dass man es sich wirklich in so vielen Fällen einredet, dass die Arbeit allgemein Spaß macht, obwohl das nicht so ist, das kann ich mir eigentlich kaum vorstellen. Sicher werden das manche Menschen machen, aber dass die Zahl tatsächlich bei 90 Prozent liegen soll, das finde ich schon ziemlich heftig.
Ich finde es auch manchmal nicht ganz schön bei der Arbeit, aber wenn es diese Situation gibt, dann rede ich es mir auch nicht schön, um es zu ertragen. Ich denke dann nur daran, dass es an einem nächsten Tag vielleicht schon wieder besser ist. Ich denke auch, dass es nicht wirklich sinnvoll ist, sich etwas schön zureden, wenn man es selber nicht wirklich schön findet.
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