Als Familienmitglied nicht in Suchtkrankheit einmischen?

vom 12.12.2016, 22:29 Uhr

Ich weiß, dass der Vater einer Bekannten ein Alkoholproblem hat und dies wohl auch schon viele Jahre. Meine Bekannte hat dies erst spät mitbekommen, als sie noch bei ihren Eltern gewohnt hat. Sie meint selbst, dass sie da zu Anfang wohl einfach zu naiv war und eigentlich nie Erfahrungen mit einem Suchtkranken gemacht hatte.

Jedenfalls belastet sie dies wohl teilweise und sie hat schon eine Szene mitbekommen, die sich zwischen ihren Eltern abgespielt hat, die eben alles andere als schön war. Meine Bekannte hat wohl auch mit einem Arzt darüber gesprochen, weil sie einfach nicht wusste, wem sie sich anvertrauen konnte. Dieser hat ihr dazu geraten sie nicht einzumischen.

Er meinte wohl, dass dies alles nur noch schlimmer machen könnte und sie sozusagen eine Mauer um sich aufbauen sollte. Es wäre eben Sache ihrer Eltern, dass ihre Mutter selbst ihre Schlüsse ziehen und ihre Entscheidungen treffen müsste. Der Arzt hat wohl keinen Fall erlebt, bei dem es positiv war, wenn sich jemand aus der Familie dann eingemischt hat.

Sollte man sich als Familienmitglied wirklich nicht in eine Sucht einmischen? Kommt es da nicht auf die Suchtkrankheit an? Bei Magersucht oder Essbrechsucht, ist es vielleicht anders als bei einer Alkoholsucht. Welche Erfahrungen habt ihr da gemacht?

Benutzeravatar

» Nelchen » Beiträge: 32238 » Talkpoints: -0,25 » Auszeichnung für 32000 Beiträge



Das ist wirklich unsinnig, was ich da lese. Man zählt es zu der Co-Abhängigkeit, wenn man durch Unterlassen diese Abhängigkeit fördert und wenn man sich da nicht einmischt und auch mal dem Suchtkranken die Meinung sagt und ihm versucht klar zu machen, was er mit seiner Sucht alles anstellt, dann ist man ein Co-Abhängiger Mensch.

Deine Bekannte sollte sich vielleicht mal nicht bei einem Arzt erkundigen, sondern zu den anonymen Alkoholikern gehen und da man genau nachfragen, wie man sich als Angehöriger verhalten soll. Außerdem gibt es Selbsthilfegruppen für Angehörige, zu der die Ehefrau und alle Angehörigen, die mit dem Menschen zu tun haben hingehen sollten.

Benutzeravatar

» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge


Woher will der Arzt das pauschal wissen? Es gibt einfach Menschen die brauchen einen Tritt aus dem Umfeld oder von draußen damit sie selbst darauf kommen. Das habe ich in meiner eigenen Familie erlebt, denn dort habe ich mich aktiv in das Alkoholproblem meiner Mutter eingemischt und sie zur Therapie gezogen, dauerhaft begleitet und auch dafür gesorgt, dass einfach weniger Alkohol im Haus ist. Das hat sie gebraucht, jemand der mit anpackt da sie dazu nicht mehr alleine in der Lage war und ihr das alles "zu viel" wurde.

Auch Patienten waren Dankbar, wenn sie mal einen Arschtritt bekommen haben von jemand komplett Fremden. Ich muss dazu nichts beschönigen und ich habe mich schon vor Herren und Damen gestellt, ihnen gesagt was ich davon halte und wie ihr Umfeld auf mich wirkt. Einer ist davon direkt trocken gewesen, hat nie mehr etwas angefasst und seinen kalten Entzug alleine in der Wohnung durchgemacht. Ein anderer hatte dann den Mut endlich selbst Hand anzulegen und das Problem anzugehen und hat es auch nach der zweiten Therapie geschafft trocken zu sein.

Wozu ist die Familie da, wenn sie sich Verhalten wie jeder andere auch und sie die Augen zumachen und den Mund halten? Wegschauen ist immer einfacher, man selbst leidet darunter und ändern wird sich an einer solchen Situation auch nichts. Aber mit einmal ansprechen und dann wieder rar machen ist es halt auch nicht getan, deiner Bekannten sollte das klar sein, wenn sie dazu den Mund aufmacht und das ganze in die Hand nehmen will, dann ist auch ihre Anwesenheit und aktive Mithilfe gefordert. Das ist manchmal etwas unschön, aber da muss man durch und braucht ein dickes Fell.

Benutzeravatar

» Sorae » Beiträge: 19435 » Talkpoints: 1,29 » Auszeichnung für 19000 Beiträge



Ich habe glücklicherweise keine direkte Erfahrung mit Suchtkranken. Aber ich denke, dass es hier wie so oft auf den Einzelfall ankommt. Wenn deine 12jährige Tochter Magersuchts-Anzeichen zeigt, reagierst du normalerweise anders als bei deiner Schwiegermutter, die seit 50 Jahren säuft, deren Leber sowieso schon kaputt ist und und bei der noch keine "Einmischung" Wirkung gezeigt hat.

Ganz davon abgesehen kommt es darauf an, was man unter Einmischen versteht. Gut zureden ist schön und gut, aber ich denke mir dann immer, dass es sich erstens um eine Krankheit handelt (Lungenentzündung geht ja auch nicht davon weg, dass ich sie streng ermahne) und zweitens gehe ich gerade bei entfernteren oder angeheirateten Verwandten davon aus, dass sich ihre Kinder oder Ehefrauen/männer schon den Mund fusselig geredet haben und maße mir nicht an, dass mein Wort als Großnichte oder Schwiegertochter hier mehr Einfluss hat als das einer Person, die den oder die Betroffene tatsächlich liebt.

Dazu kommt noch, dass Reden und Drohen gut und schön sind, aber dass sich nicht jeder wie Sorae die Arbeit machen will oder kann, den suchtkranken Menschen über Monate und (vermutlich) Rückfälle hinweg zur Therapie zu schleifen und unendlich viel Zeit, Energie, Emotionen und wahrscheinlich auch eigenes Geld in eine höchst undankbare und lästige Situation zu pumpen, gerade weil keine Erfolgsgarantie gegeben ist. Ich glaube, alleine die Vorstellung würde mich abschrecken, dass ich mich hier abquälen müsste, meine Bedürfnisse komplett hintanstellen und dann im Endeffekt noch erleben, dass die Person wieder rückfällig wird und der ganze Terror umsonst war.

Deswegen kann ich mir durchaus vorstellen und habe auch Verständnis dafür, dass viele Leute sich von Suchtkranken distanzieren oder es bei halbherzigen Ermahnungen belassen, damit sie vor sich selber rechtfertigen können, man habe doch alles Menschenmögliche getan. Nicht jeder ist bereit, wirklich alles Menschenmögliche für einen anderen zu tun, ohne Dank zu erwarten und ohne Garantie auf Erfolg, und ich finde auch nicht, dass man moralisch dazu verpflichtet ist.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Ich finde die Antworten auf dieses Thema einfach nur daneben. Schon davon gehört, dass Suchtkranke ständig betonen, dass sie kein Problem hätten und jeder Zeit aufhören könnten? Es gibt Leute, die kennen die Mengen nicht, die Alkoholkranke in sich hineinpumpen, da öffnet man plötzlich die Schranktür und dann purzeln einem zwanzig leere Flaschen entgegen. Man kann auch die Alkoholflasche nehmen und vor den Augen des Alkoholiker ins Waschbecken schütten, aber was passiert dann?

Es ist nicht einfach mit suchtkranken Menschen zusammen zu leben, da gehören viele verschiedene Lügen zum Alltag dazu. Oftmals kommen dann noch andere Gefühle dazu, nicht nur Wut oder Unverständnis, sondern auch Mitleid. Außerdem möchte man doch auch, dass der Suchtkranke sich anvertraut und sich nicht weiter verschließt und heimlich weiter macht. Ein Ultimatum stellen oder mal "auf den Tisch hauen", das funktioniert auch nicht immer. Leider kann man nicht jedem Mensch helfen, man kann eine Tür öffnen, aber der Betroffene muss selbst durch gehen.

Benutzeravatar

» soulofsorrow » Beiträge: 9232 » Talkpoints: 24,53 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


In meiner Familie kam Alkoholsucht mütterlicherseits leider verstärkt vor. Wir hatten also nicht nur einen Fall, wobei mittlerweile alle trocken sind. Sie haben es von den eigenen Eltern nicht anders gesehen. Leider bringt reden nicht immer etwas. Man kann mit dieser Person reden, auch wenn man meint, dass sie nicht tiefer sinken kann, aber letztendlich wird sie nur beteuern, dass sie es sein lassen wird und jederzeit aufhören kann.

Vielleicht gibt man dann auch noch zu eine Therapie zu brauchen, aber wirklich nutzen wird man sie dennoch nicht, denn dieses Verständnis dauert eine ganze Weile. Meine Mutter hat ihren Geschwistern immer Hilfe angeboten, diese haben auch nicht wenige Male total betrunken bei uns angerufen und dennoch hat all das gute Zureden und für sie da sein nichts gebracht, sie mussten alle unten ankommen und selber erkennen, dass sie ein Problem haben.

Bei einen meiner Onkel war es so weit, dass er seinen Job verloren hatte, seine Frau sich getrennt hatte und er eigentlich schon total am Ende war. Er landete dann im Krankenhaus und in der Zeit hat er es eingesehen. Meine Mutter hat dann seine Wohnung komplett neu gemacht, so dass er neu starten kann und er hat bis heute keinen Alkohol mehr getrunken. Man muss für die Leute da sein, aber letztendlich muss der Schritt von ihnen kommen.

Benutzeravatar

» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich hoffe, dass ich das richtig verstanden habe. Mama und Papa, wo Papa der Alkoholabhängige ist und die Tochter hat es wohl nicht mitbekommen. Jetzt, wo sie davon weiß, macht sie sich sorgen und ein Arzt meinte angeblich, dass Mama oder Tochter sich nicht einmischen sollen, weil dies die Sucht unter Umständen verschlechtern kann oder eben gewisse Situationen?

Das ist vollkommener Quatsch. Wie lange besteht die Alkoholkrankheit? Wobei das für die Mama keine Rolle spielt, weil sie als stiller Beobachter kleinbei gegeben hat und automatisch zur Co-Abhängigkeit rübergeschwappt ist. Das bedeutet, sie guckt nur noch zu, wie sich der Mann kaputt säuft. Immer mit den Gründen, ich kann daran nichts ändern, das muss von ihm aus kommen und ich stecke ja nicht drin.

Co-Abhängigkeit ist allgegenwärtig und es trifft viele, auch bei Drogenmissbrauch. Das kann jeden treffen, wenn man blindlings einfach wegschaut und die Abhängigkeit dadurch fördert. Dadurch befindet man sich als Co-Abhängige mitten drin und daraus auszubrechen, ist gar nicht so einfach, wie viele womöglich denken würden. Viele haben auch Angst, den Partner zu verlieren und mehr.

Ich würde dringend anraten, einen Therapieplatz zu organisieren. Wie wäre es mit Kliniken? Klinikums bieten für Suchtkranke durchaus schnelle Plätze an. LVR als Beispiel gibt es in vielen Städten, und wäre eine hilfreiche Lösung, um zu schauen, ob ambulant sowie stationär. Einfach zusehen und nichts tun, das ist blanker Unsinn.

Benutzeravatar

» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge



Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^