Als Eltern kein Recht auf Selbstverwirklichung haben?

vom 23.05.2019, 05:31 Uhr

Nicht alle Eltern können Beruf und Familie gut miteinander vereinbaren, sodass die Infrastruktur oft kritisiert wird. Es gibt aber auch Menschen, die der Ansicht sind, dass Eltern so gar kein Recht auf Selbstverwirklichung hätten und daher zu viel verlangen würden, wenn sie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf fordern. Wie seht ihr das? Findet ihr, dass Eltern kein Recht mehr auf Selbstverwirklichung haben durch den Nachwuchs? Oder seid ihr anderer Ansicht?

Benutzeravatar

» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Jeder sollte sich selber verwirklichen können, allerdings ist dies mit Familie nicht immer so in dem Maß möglich, wie man es sich vielleicht mal vorgestellt hätte. Das heißt aber auch nicht, dass man deswegen automatisch unglücklich ist. Wer bekommt schon alles im Leben, was er möchte? Manchmal muss man Umwege gehen und ist mit dem zweiten oder dritten Weg vielleicht auch viel glücklicher. Selbstverwirklichung ist auch etwas für Eltern, weil es etwas für jeden ist.

Benutzeravatar

» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Ich finde wiederum, dass niemand ein "Recht auf Selbstverwirklichung" hat und dass die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben nichts mit Selbstverwirklichung zu tun hat, sondern schlicht und ergreifend damit, dass die Leute, Eltern oder nicht, arbeiten und Geld verdienen müssen, weil nicht jeder reiche Eltern hat. Und dass dies nicht mit einem Maximum an Stress und Sorgen verbunden sein muss, nur weil man Kinder hat, empfinde ich gerade in einem reichen, funktionierenden Staat wie dem unseren durchaus als legitime Forderung.

Für mich bedeutet "Selbstverwirklichung" reinen Luxus, über den man sich Gedanken machen kann, wenn wirklich alle anderen Bedürfnisse erfüllt sind. Wenn jemand sich allmorgendlich ins Büro, auf Streife, ins Labor, auf den Sportplatz oder an den heimatlichen Schreibtisch begibt, ist das für mich Alltag und noch lang keine Selbstverwirklichung.

Außerdem wird hier vorausgesetzt, dass Familie und Elternschaft anders als Berufsleben mit Selbstverwirklichung gar nichts zu tun haben, und das finde ich selbst als kinderloser Mensch schon ziemlich vermessen. Sicher gibt es viele Leute, die die Erziehung und Förderung ihrer Kinder eher als Selbstverwirklichung ansehen als irgendeinen drögen Job oder irgendein dekadentes Abenteuer.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Irgendwie finde ich den Ausgangsbeitrag schon in der Grundannahme falsch. Wenn Eltern kein Recht auf Selbstverwirklichung mehr haben sollten, impliziert das doch, dass Kinderlose sich ungehemmt selbstverwirklichen können, ja sogar ein Recht darauf haben. Aber wo haben Menschen denn dieses Recht oder auch nur die Möglichkeit? Im Paradies?

Wenn man nun noch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ins Spiel bringt, wird es ganz abstrus. Selbstverwirklichung im psychologischen Sinne meint, dass der Mensch seine Persönlichkeit entwickelt, indem er seine von Natur aus vorhandenen Fähigkeiten entwickelt. Sorry, aber den Luxus können sich die wenigsten Arbeitnehmer oder Beamten leisten. Die meisten Menschen machen schlichtweg ihren Job, weil sie das Einkommen brauchen. Die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung sind in der Zulassungsstelle der Gemeinde, an der Kasse, im Callcenter oder beim Paketdienst doch eher gering. Nachwuchs ändert daran nun auch nichts, er ist vielleicht sogar die Chance, die vielleicht vorhandene soziale Ader auszuleben und sich zu verwirklichen.

Und Selbstverwirklichung im umgangssprachlichen Sinn? Da sieht es doch für die Mehrheit genauso trübe aus. Die weitgehende Realisierung der eigenen Ziele und Wünsche ist ebenso stark limitiert. Da fehlen auch wieder Zeit, Geld, Möglichkeiten - ganz ohne Kinder.

» cooper75 » Beiträge: 13426 » Talkpoints: 518,78 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



@Gerbera: Kann es sein, dass du Selbstverwirklichung grundsätzlich an die Pawlowsche Bedürfnispyramide koppelst? Das wird zwar gern so gelehrt, aber ich war vor über 20 Jahren mal in einer Weiterbildung, wo wir dem Dozenten genau das widerlegt haben. Denn jeder Mensch stellt sich unter der Selbstverwirklichung etwas anders vor. Für mich ist das nämlich auch nicht die Spitze der Pyramide, wo man vorher alles erreicht hat, nötig ist, um allein auf der Insel zu sitzen und die Freizeit zu genießen.

Und ja, auch Eltern haben ein Recht dazu. Denn ein Kind zu bekommen heißt nicht, dass man sein eigenes Leben damit aufgibt. Sicherlich stellt man gewisse Bedürfnisse für einen Zeitraum hinten an. Aber man hat auch als Eltern eigenes Leben. Ob dann die Selbstverwirklichung der Job bedeutet oder ein Hobby, wo man sich eine Auszeit aus dem Alltag gönnt, ist dann bei jedem Menschen anders.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Besagte Bedürfnispyramide ist mir nur sehr vage vertraut, und ich vertrete hier wie wir alle meine persönliche Meinung und Vorstellung von sehr vagen Begriffen, über die sich offensichtlich nicht mal die Forschung einig ist. Unabhängig von deiner Weiterbildung von vor ein paar Jahren bleibe ich bei meiner Ansicht, dass "Selbstverwirklichung", mal unverblümt formuliert, ein Luxusproblem darstellt, welches nur ein paar Prozent der Menschheit überhaupt betrifft.

Den Menschen möchte ich sehen, der sich um die individuelle Entwicklung seiner Persönlichkeit Gedanken macht, während die Ernte vertrocknet, das Schulgeld bezahlt werden muss, die Kinder allesamt Durchfall und Husten haben und marodierende Soldaten gesichtet wurden. Aber die Probleme gibt es hierzulande glücklicherweise nur in stark abgeschwächter Form.

Mein Problem besteht auch eher in der Vorstellung, man habe ein Recht auf Selbstverwirklichung bzw. nur kinderlose Menschen hätten dieses ominöse Recht, welches erlischt, wenn man sich fortpflanzt. Das wäre mir nämlich neu. In letzter Konsequenz bedeutet es für mich, dass - überspitzt formuliert - jemand vor Gericht gehen könnte, weil er sich in seinem Job als Regale-Einräumer nicht frei entfalten kann oder um Geld einzuklagen, um seine Selbstverwirklichung als Tagträumer und Lebenskünstler ausleben zu können.

» Gerbera » Beiträge: 11335 » Talkpoints: 53,75 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Das Recht auf Selbstverwirklichung hat jeder Mensch. Zumindest aus meiner Sicht. Und es für jeden Menschen etwas anderes bedeutet, kann ich von mir behaupten, dass ich da fast angekommen bin. Mein Ziel war immer, dass ich mein eigener Chef bin. Das habe ich erreicht. Dazu der Wunsch nach einem eigenen Laden, was ich auch habe. Der Traum, der es perfekt gemacht hätte, ist nicht ganz aufgegangen, aber ich liebe es so, wie es jetzt ist.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Das Recht auf Selbstverwirklichung hat niemand. Dieser Punkt ist in unserer Gesellschaft nun wirklich nicht gesellschaftlich vereinbart. Sonst könnte jeder jedes Studium aufnehmen oder sich der Zucht von Rosen oder dem Lesen widmen. Aber da stehen Zulassungsvorschriften und unsere Sozialgesetze im Weg.

» cooper75 » Beiträge: 13426 » Talkpoints: 518,78 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


cooper75 hat geschrieben:Das Recht auf Selbstverwirklichung hat niemand. Dieser Punkt ist in unserer Gesellschaft nun wirklich nicht gesellschaftlich vereinbart. Sonst könnte jeder jedes Studium aufnehmen oder sich der Zucht von Rosen oder dem Lesen widmen. Aber da stehen Zulassungsvorschriften und unsere Sozialgesetze im Weg.

Wenn ich für das, was ich als Selbstverwirklichung für mich sehe, gewisse Nachweise erbringen oder Vorschriften einhalten muss, dann spricht es mir doch nicht das Recht als solches ab.

Wenn man, nach der Pawlowschen Bedürfnispyramide die einsame Insel als Selbstverwirklichung annimmt, dann muss ich dafür doch auch die Grundlagen geschaffen haben. Aber das Recht kann mir erst mal niemand einfach absprechen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Vergiss die theoretische Pyramide und nimm die Realität. :wink: Wenn du keinen entsprechenden Abschluss nachweisen kannst, ist dein Recht auf Selbstverwirklichung deutlich beschnitten. Wie schätzt du denn das Recht auf Selbstverwirklichung von beispielsweise Behinderten in einer Einrichtung ein?

Eine eigene Wohnung, bestimmen, wann man aufsteht, isst und sich wäscht, gehören ganz sicher zur Selbstverwirklichung. Nur verhindert das in dem Fall Paragraph 13 im zwölften Sozialgesetzbuch. Wenn ich lieber ehrenamtlich im Krankenhaus arbeiten will, als Geld zu verdienen, ist es mit Unterstützung Essig. Ein Recht auf Selbstverwirklichung ist nirgendwo verankert.

» cooper75 » Beiträge: 13426 » Talkpoints: 518,78 » Auszeichnung für 13000 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^