Wie unterscheidet man zwischen 'Normal' und 'Verrückt'?

vom 04.11.2013, 22:11 Uhr

In einer Zeitschrift habe ich gelesen, dass jährlich 100 000 Menschen in Deutschland gegen ihren Willen in die Psychiatrie eingewiesen werden. Ich frage mich, wenn ich so etwas lese, wer eigentlich bestimmt, dass jemand nicht mehr "normal" ist und in eine Psychiatrie gehört? Die Grenze zwischen der Normalität des Menschen und eines Menschen, der "verrückt" erscheint, scheint sehr dünn zu sein und viele dieser Menschen sind wohl, laut dieses Artikels zu Unrecht in der Psychiatrie.

Welcher Grundlage bedarf es einen Menschen in eine Psychiatrie einweisen zu lassen? Wer bestimmt die Grenze zwischen "Fantasievoll" und "Schizophren"? Kennt ihr Fälle, wo jemand in eine Psychiatrie eingewiesen wurde? Ist es wirklich so leicht jemanden einweisen zu lassen, dass so viele gegen den Willen eingewiesen werden können?

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» Sherlock-Holmes » Beiträge: 2025 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



In einer Zeitschrift habe ich gelesen,

Quellenangabe wäre schön... Wenn ich in das richtige Klatschblatt schaue, steht da alles drin was ich nur lesen will.

Mir liegt das Thema am Herzen, darum trotzdem eine ernsthafte Antwort:
Ich lasse die Zahl von 100.000 einmal außen vor, da ich mir nicht die Mühe gemacht habe eine verlässliche Quelle zu suchen.

Zunächst: Was heißt "gegen ihren Willen"?
Es gibt (nach unserem Gesetz) verschiedene Möglichkeiten Menschen gegen ihren Willen an einen Ort zu bringen, wo Sie nicht sein wollen.

1. Bekanntestes Beispiel: Straftäter kommen ins Gefängnis.
2. Straftäter, die psychisch Krank sind, kommen in den Maßregelvollzug. In 2011 waren das in Deutschland etwa 20.000 (nicht Neuaufnahmen, sondern "Gesamtbestand". Quelle: Statistisches Bundesamt, "Strafvollzugsstatistik 2011/12".
3. Psychisch kranke Menschen, die eine Gefahr für sich oder andere darstellen (aber nicht von einem Gericht verurteilt wurden). Diese werden, zum Teil auch gegen ihren Willen, in der Psychiatrie behandelt.

Kategorie 3 ist die, über die die Klatschblätter gerne schreiben, darum gehe ich hier ins Detail, und beantworte hier deine Fragen:

Welcher Grundlage bedarf es einen Menschen in eine Psychiatrie einweisen zu lassen?

Das ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt. In Berlin zum Beispiel heißt das Gesetz "PsychKG". Alle diese Landesgesetze haben etwa die gleiche Grundlage:
- Ein Patient muss aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung eine Gefährdung für sich selbst oder andere Personen darstellen. Sich selbst kann man durch Androhung von Selbstmord gefährden, andere Personen z.B. durch körperliche Gewalt.
- Die Ärzte müssen zuerst versuchen den Patienten zu einer freiwilligen Behandlung der Krankheit zu überreden. Jedoch erkennt nicht jeder psychisch Kranke, dass er krank ist (Stichwort: Krankheitseinsicht).
- Ein Arzt (je nach Gesetz, jedoch meist ein Facharzt für Psychiatrie) darf - nach ausführlicher Befunderhebung - einen Patienten für eine kurze Zeit gegen seinen Willen auf eine psychiatrische Station aufnehmen. Meist gilt das für 24 Stunden. Er muss dann umgehend den zuständigen Richter (da gibt es einen Rufdienst) informieren.
- Ein Richter muss erneut den Patienten ansehen und "mit gesundem Menschenverstand" erneut ein Urteil fällen: Eigen- oder Fremdgefährdung? Davon hängt dann ab, ob der Patient in der Psychiatrie bleibt (bzw. bleiben muss). Auch hier gibt es eine Frist nach der der Richter wiederkommen muss.

Wer bestimmt die Grenze zwischen "Fantasievoll" und "Schizophren"?

Es gibt - wie für jede Krankheit - eine Definition. Link zu einem Beispiel für eine Definition: (Ich darf keinen Link posten, eine Websuche nach "F20.1 dimdi" führt zu der Webseite des "Deutschen Instituts für
Medizinische Dokumentation und Information", wo die Krankheitsdefinitionen als Referenz hinterlegt sind)
.
Einfach gesagt: Fantasievolle Menschen können bewusst Fantasie von Wirklichkeit trennen, schizophrenen Menschen gelingt das nicht immer.

Kennt ihr Fälle, wo jemand in eine Psychiatrie eingewiesen wurde?

Ja. Aber das ist bei der Qualität der Antwort wohl nicht überraschend?

Ist es wirklich so leicht jemanden einweisen zu lassen, dass so viele gegen den Willen eingewiesen werden können?

Dass das nicht leicht ist -> siehe oben.
Soo viele sind das gar nicht. bei grob 80 Millionen Menschen in Deutschland ergibt das etwa 0,1% der Bevölkerung, die im Laufe eines Jahres eingewiesen werden. Beispiel: Alleine wegen Herzinfarkten werden 0,3% der Bevölkerung im Jahr behandelt.

Abschließend sei bemerkt, das viele Patienten die anfänglich gegen ihren Willen eine Behandlung beginnen mussten, diese später freiwillig und zuverlässig fortsetzen, weil sie im Laufe ihrer Behandlung eine Krankheitseinsicht erlangt haben.

» samu.el » Beiträge: 16 » Talkpoints: 12,54 »


Ich möchte noch einen anderen Aspekt nennen: Nicht jeder der "verrückt" ist, hat auch unbedingt eine psychische Erkrankung und nicht jeder psychisch Kranke ist "verrückt". Genauso wie ich den Begriff Fantasievoll in dem Zusammenhang unpassend empfinde.

Zu dem Beitrag von samu.el möchte ich noch mal auf das PsychKG eingehen. In Hessen ist es erlaubt, dass die Polizei eine Zwangseinweisung in die Wege leitet. Das ist aber so weit ich weiß das einzige Bundesland, in dem das so funktioniert. "Festgehalten" werden darf bis zum Ende des folgendes Tages. Wird man also sagen wir um 15 Uhr am 1.1. in die Psychiatrie gebracht, muss bis 23.59 Uhr am 2.1. ein Richter dagewesen sein. Ansonsten steht es einem frei freiwillig zu bleiben oder eben zu gehen. in der Regel scheint das aber schneller zu gehen.

Ich möchte in dem Zusammenhang auch auf den Fall Gustl Mollath hinweisen. Und so Geschichten sind leider in der Psychiatrie möglich. Ich halte Psychiatrie nicht für generell schlecht. Ich für mich habe aber die Erfahrung gemacht, so bald man den Stempel einer psychischen Erkrankung hat, nehmen einen die wenigsten Psychiater und Pfleger ernst.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Es gibt so viele psychische Erkrankungen und genau diese Erkrankungen sind einfach noch ungenügend erforscht und man bekommt auch nicht immer eine handfeste Diagnose. Die menschliche Psyche ist eben doch ein heikles Thema. Man kann auch nicht so einfach sagen, wer oder was normal ist und wer sich außerhalb der Norm bewegt - eben weil es so vielfältige Erkrankungen in diesem Bereich gibt.

Wir haben ja in der Psychiatrie auch genug Suchterkrankungen und viele Süchtige sehen am Anfang eben auch einfach nicht ein, dass eine Erkrankung vorliegt. Insofern kann man auch nicht davon ausgehen, dass diese sich freiwillig helfen lassen würden. Und generell fehlt bei vielen psychischen Erkrankungen die Einsicht, dass man krank ist. Entweder weil man es nicht wahr haben will oder weil man es auch einfach nicht kann.

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» winny2311 » Beiträge: 15159 » Talkpoints: 4,91 » Auszeichnung für 15000 Beiträge



Verrückt ist soweit ich weiß kein Begriff den man in der Psychiatrie verwendet, Einfach so wird keiner in die Psychiatrie eingewiesen, vorher erfordert es einer richterlichen Genehmigung, dem PsychKG. Ich glaube für außenstehende, die durch einen reißerischen Artikel dazu noch gedrängt werden, wirkt das ganze sehr brutal. Anders ist es, wenn du schon selbst so deine Erfahrungen mit Menschen sammeln musstest, die gegen ihren Willen eingewiesen werden mussten, weil sie nicht nur ihr Leben, sondern auch das deine bedroht haben.

Stell dir vor du hast einen Schizophrenen vor der, der es übrigens aufgrund von Drogenmissbrauch geworden ist, in deinem Alter ist und zu dem noch ein Kind hat. Er hört Stimmen und glaubt die Aliens wollen ihn entführen. Eigentlich ist er auf eurer Intensivstation, aber er schafft es aus dem Krankenhaus zu fliehen. Die Polizei findet ihn später von Schlamm besudelt in eine fremden Auto sitzend und bringt ihn wegen des Band mit Namen zurück zum Krankenhaus, wo er wieder den Weg durch die Notaufnahmen gehen muss. Der Patient gehört in die geschlossene Psychiatrie, wird beschlossen und ein PsychKG eingeleitet.

Während du seine Blessuren versorgst, siehst du schon den Wahnsinn in seinen Augen, wie er versucht dich zu überzeugen, dass er verfolgt wird. Die Polizei ist vorsorglich dageblieben um ihn mitzunehmen. Seine Handschellen wurden nur leicht gelöst und dann passiert es, er versucht wieder davon zu rennen, greift zur Waffe des Polizisten und... mehr als sechs Mann stürzen sich auf ihn, um ihn zu Boden zu bringen. Obwohl es ein wirklich dünner Mann ist, hat er unfassbare Kräfte. Später sollen sich sowohl Polizist, als auch Pfleger über Schmerzen beschweren. Es hätte schlimmer kommen können, denn der Schizophrene hätte jemanden mit der Waffe auch töten können. Wenn man sowas erlebt, denkt man nicht mehr, wie furchtbar es doch ist, dass der arme Mann auf die Geschützte kommt. Wie würdest du so ein Verhalten einordnen?

» JeanSmith » Beiträge: 422 » Talkpoints: 4,88 » Auszeichnung für 100 Beiträge


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