Wo hört Traurigkeit auf und fängt Depressivität an?
Viele Prominente leiden an Depressivität und genau das war der Auslöser einer Diskussion in unserem Bekanntenkreis. Denn es passiert ja immer mal wieder, dass man sehr traurig ist. Besonders, wenn man einen geliebten Menschen verloren hat. Sei es durch eine Trennung oder eben sogar durch den Tod.
Aber wo hört dann die Traurigkeit auf und fängt die Depressivität an? Kann so was ein Laie erkennen? Habt ihr schon mal an der Grenze zur Depressivität gestanden? Oder habt ihr gar nicht erkannt, dass die Traurigkeit einer Depressivität weicht? Kennt ihr Leute, wo man es als Außenstehender merken konnte?
Mmmh, das ist ein ganz schmaler Grad. Ich denke als Laie muss man schon ganz genau hinsehen um so etwas zu erkennen. Ich kann mir auch vorstellen, das ich tiefe Traurigkeit von einer Depression nicht erkennen kann. Bei meiner Mutter habe ich die Depression nach dem Tod meines Vater über Jahre nicht erkannt. Vielleicht lag es aber auch daran, das wir uns in der Zeit nicht sehr oft gesehen haben, wir wohnten zwar nur 30 Km auseinander, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich noch kein eigenes Auto und habe meine Mutter nur selten besucht.
Mit meinem eigenen Haushalt war ich genug eingespannt und so dachte ich, das tägliche Telefonat würde ausreichen. Meine Mutter hat sich nach dem Tod meines Vaters in Arbeit gestürzt und hatte auch selten Zeit mal zu uns zu kommen. Wenn sie dann am Wochenende mal bei uns war, gar sie sich manchmal traurig an anderen Tage aber fröhlich. So kam mir nie der Gedanke, das meine Mutter depressiv wäre. Erst als sie krank wurde, erst ein Schlaganfall, dann Diabetes, da wurde ich hellhörig. Sie war plötzlich von einem auf den anderen Tag nicht mehr in der Lage sich selbst zu versorgen. Das lag allerdings nicht allein am Schlaganfall sondern an ihren Stimmungsschwankungen.
Anfangs dachte ich, sie kommt mit dem Diabetes nicht klar, schließlich musste sie von heute auf morgen Insulin spritzen und dann regelmäßig zum Arzt. Für eine Frau, die immer gesund war, war das nicht leicht zu verkraften. Wo ich konnte, habe ich ihr geholfen. Mittlerweile hatte ich auch ein Auto und konnte sie nun zwei- bis dreimal in der Woche besuchen. Den Haushalt hat sie noch so einigermaßen allein hinbekommen, aber das Arbeiten ging nun nicht mehr. Dann sind wir in den Urlaub gefahren, mein Bruder sollte sich um sie kümmern, aber irgendwie hat er es nicht hinbekommen.
Jedenfalls kamen wir aus dem Urlaub zurück und sie lag teilnahmslos im Bett und wollte nur noch sterben. Ich habe sie dann ins Krankenhaus einweisen lassen, da sie tagelang nichts mehr gegessen hatte und nicht wusste was ich machen sollte. Im Krankenhaus haben sie dann festgestellt, das meine Mutter eine schwere Depression hat, sie lag fast drei Monate auf der Geriatrie und wurde mit Medikamenten eingestellt. Danach ging es ihr wieder etwas besser, aber sie war körperlich am Ende. Ich habe sie dann zu mir geholt, sie bekam eine kleine Wohnung und wurde dann von mir versorgt. Ihre schweren Depressionen hat sie mit Medikamenten in den Griff bekommen, allerdings mussten wir genau auf die Einnahme der Medikamente achten.
Noch nach dem Tod meiner Mutter habe ich mir lange Vorwürfe gemacht, das ich die Depressionen nicht erkannt habe. Aber irgendwie wurde das Thema bei uns immer verdrängt. Nach den Erlebnissen bin ich heute für bestimmte Krankheiten empfänglicher geworden und achte auch bestimmte Merkmale. Ich würde eine Person, die lange Zeit tief traurig ist, auf jedem Fall zu einem gang zum Facharzt überreden.
Ich würde mal behaupten, unter bestimmten Umständen kann die Grenze zwischen üblicher Traurigkeit und depressiver Verstimmung oder Depression fließend sein. Um bei deinem Beispiel zu bleiben, würde ich sagen, Trauer nach dem Tod eines geliebten Menschen ist normal. Vielleicht ist es auch normal, nach jenem schlimmen Verlust in eine depressive Verstimmung zu rutschen, die jedoch irgendwann vergeht oder aus der man sich -vielleicht auch mit Hilfe von Freunden- befreien kann. Eine richtige Depression hingegen benötigt in der Regel Behandlung von außen. Da es nun aber passieren kann, dass man mit dem Tod eines Menschen einfach nicht zurecht kommt, kann es durchaus passieren, dass sich aus der Trauer heraus eine exogene Depression entwickelt, aus der man dann ohne medizinische Hilfe nicht mehr heraus kommt.
Ich glaube auch, dass man als Laie oft nicht wirklich unterscheiden kann. Möglicherweise merkt man, dass irgendetwas mit einer Person nicht stimmt, weil sie unglücklich wirkt oder sich zurück zieht. Aber auch das kann ja die unterschiedlichsten Gründe haben. Auffällig wird es für den Laien oft erst, wenn es schon fortgeschritten ist. Heißt, die Person kommt nach anfänglicher Trauer einfach nicht mehr auf die Füße, auch nicht nach längerer Zeit (im Bezug auf dein Beispiel des Todesfalls). Dann kann man schon sicher sein, dass es nicht mehr eine ganz normale Trauer ist.
Naja und dann gibt es noch die Fälle, wo es keinen externen Auslöser gibt. Wenn man eine Person gut kennt und ihr einigermaßen nahesteht und diese such dann auffällig verhält und vielleicht auch äußert, dass sie nicht weiß was mit ihr los ist, dann sollte man schon hellhörig werden.
Aber in vielen Fällen ist es auch einfach nicht sofort sichtbar, dass eine Person depressiv (verstimmt) ist. Bei mir war es so, dass ich jahrelang funktioniert hab. Na klar war ich dabei nicht glücklich und es wurde auch oft gemerkt, dass ich "schlechte Laune" hatte und recht zurück gezogen war. Dass ich jedoch neben der Arbeit gar nichts auf die Reihe bekam und Zuhause im Müll versank, merkte keiner. Das fiel erst auf, als es so schlimm wurde, dass ich gute drei Monate nur noch im Bett lag, auf Anrufe nicht mehr reagierte und man mich nur noch total verlottert antraf.
Letzten Endes sind solche Dinge in meinen Augen so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Die einen merken schnell, wenn mit jemand anderem etwas nicht stimmt, andere haben da nicht die nötige Intuition. Einige sind gute Schauspieler, andere tragen ihre Probleme nach außen. Und die Übergänge zwischen Traurigkeit und krankhafter Depressivität können nicht immer klar abgegrenzt werden, da es manchmal eben aufeinander aufbaut.
Bei mir war es eher anders herum. Ich habe meine Traurigkeit, meine Todessehnsucht, Antriebslosigkeit nie wirklich ernst genommen. Der Großteil meines Umfeldes leider auch nicht. Die Sätze: Jeder ist mal ein bisschen depressiv und stell dich nicht so an, haben mein Leben recht lang begleitet. Ich hatte teilweise auch Scham deshalb einen Arzt zu belästigen.
Ich habe dann angefangen meinen Schmerz mit Selbstverletzung zu betäuben. Die einzige Möglichkeit, um überhaupt arbeiten gehen zu können. An meinem vorletzten Arbeitstag saß ich auf dem Heimweg weinend im Auto. Wäre es mir nicht zu schade um mein heiliges Auto gewesen, hätte ich nicht den Gedanken im Kopf gehabt, dass meine totkranke Mutter mich erwartet, ich wäre nie daheim angekommen. Montags stand ich heulend beim Arzt, weil ich nicht auf die Arbeit konnte. Nicht meine seelische Verfassung war mein Argument. Ich habe zum ersten Mal zur Selbstverletzung gestanden. Sehr zum Schock des Arztes, der bisher nichts ahnte.
Heute frage ich mich, warum ich erst die sichtbaren Wunden als Anlass nahm Hilfe zu suchen? Das was zum damaligen Zeitraum in meinem Leben alles gleichzeitig ab lief wäre ausreichend gewesen. Immerhin hatte der selbe Arzt schon wenige Wochen vorher dazu geraten, dass ich in eine Klinik gehe. Wobei mich besagter Arzt wohl auch auf Depressionen behandelt hat. Ich das aber nie wirklich wahr genommen hatte.
Ich würde sogar soweit gehen und sagen, dass man als Laie eine Depression erst erkennt, wenn es schon ausgeprägter ist. So eine Diagnose sollte man auch einem Arzt überlassen. Psychische Erkrankungen sind eben nicht so einfach zu durchschauen und auch Depressionen verlaufen nicht stur nach Schema. Mal gibt es einen Auslöser, mal auch einfach nicht. Es gibt genug Menschen, die einfach auch einen Hang dazu haben.
Man sieht es auch desöfteren an den Prominenten. Da sagen sich Außenstehende oft, dass die doch eigentlich alles haben, was sie sich wünschen und trotzdem haben sie diese Erkrankungen. Man kann auch einfach so unzufrieden mit sich oder seinem Leben sein und wenn man sehr hohe Ansprüche an sich hat und diese vielleicht gar nicht erreichen kann, dann kann man auch depressiv werden, obwohl man eigentlich keinen Grund dazu hätte.
Und traurig ist jeder mal. Manchmal einfach, weil es tagelang regnet oder weil man enttäuscht von irgendwas oder irgendwem ist oder eben aus gravierenderen Gründen wie ein Todesfall. Ein Todesfall kann aber natürlich ein Auslöser für eine Depression sein. Für den Trauerprozess an sich gibt es Phasen, die jeder durchläuft. Nur nicht jeder bleibt gleich lang in den jeweiligen Stufen und nicht jeder verlässt die letzte Stufe. Das kann dann so leicht zur Depression werden.
Als Angehöriger sollte man da schon aufmerksam sein, aber man kann eben kaum jemandem einen Vorwurf machen, wenn der nicht vom Fach ist. Wenn sich allerdings jemand selbst verletzt, sich tagelang auch bei schönem Wetter nicht sehen lässt, antriebslos ist, ganz viel weint, dann sollte man schon aufhorchen.
Ich war jahrelang depressiv und war eine derartig gute Schauspielerin, dass es niemand gemerkt hat. Nicht mal meine Eltern oder meine Schwester haben es damals gemerkt und dabei war ich damals Teenager und habe noch zu Hause gewohnt. Mit 13 oder 14 war es besonders schlimm und ich bekam eine suizidale Phase. Ich wollte gezielt eine Überdosis Schlaftabletten nehmen, aber (leider) hatten wir keine im Haus. Gott sei Dank wusste ich damals nicht, dass man Schlafmittel auch rezeptfrei in jeder Apotheke bekommen kann. Ich hatte meine Maske dahingehend perfektioniert, dass ich scheinbar immer gute Laune hatte. Ich habe auch sehr viel gelacht und gestrahlt und habe alles getan, damit meine Tarnung nicht auffliegt.
Natürlich hatte ich manchmal besonders schlimme Phasen, in denen ich etwas launisch war. Aber da ich Teenager war, dachten alle das wäre normal und ich hätte eben "Pubertät". Meine Isolationsphasen hat auch kaum jemand mitbekommen, da ich mit den wenigsten derart regelmäßigen Kontakt hatte, dass es ihnen hätte auffallen können. Ich habe dann immer so komische Ausreden benutzt wie "Mein Akku ist abgekratzt, deswegen konnte ich auf deine SMS nicht antworten". Komischerweise haben die meisten mir das auch abgenommen.
Wenn man selbst mal betroffen war, erkennt man die Zeichen meiner Meinung nach viel schneller als "normale" Laien. Meine jüngere Cousine beispielsweise hatte immer einen Hang zu irgendwelchen Sendungen, Filmen oder Büchern. Sie war geradezu besessen davon, sich in eine irgendeine neue Geschichte zu stürzen. Sogar, wenn wir uns zu Geburtstagen oder anderen Familienfeiern getroffen haben, wollte sie immer direkt einen Film sehen, sogar dann, wenn sie eigentlich Gastgeberin war.
Bei ihr hatte ich nach einiger Zeit das Gefühl, dass sie nicht über ihre eigenen Probleme nachdenken will und deswegen ihr Gehirn permanent mit irgendwelchen Happy-End-Stories vollpumpt, damit es immer beschäftigt ist. Es hat lange Zeit gedauert, diese "Sucht" zumindest etwas zu reduzieren (in meiner Gegenwart zumindest). Irgendwann war sie soweit, dass sie sogar über ihre Gefühle gesprochen hat. Einmal hat sie sogar von sich aus einige Gedichte vorgelesen oder Tagebucheinträge, die eindeutig belegen, dass sie depressiv ist. Mein Riecher war also richtig, was sie betraf. Das wäre aber bestimmt nicht der Fall gewesen, wenn ich nicht ähnliche Erfahrungen gehabt hätte.
Depressionen kann man im Prinzip schon ganz gut von normaler Traurigkeit unterscheiden. Traurig ist man, wenn es einen konkreten Anlass gibt, zum Beispiel eine Trennung oder den Verlust einer geliebten Person. Die Traurigkeit ist dann genau auf dieses Ereignis zurückzuführen. Man kann sich natürlich auch traurig fühlen, wenn man gerade einsam ist, also ohne jetzt ein einschneidendes Ereignis. Traurigkeit vergeht üblicherweise von selbst.
Eine Depression sitzt dagegen viel tiefer. Sie kann zwar vielleicht auch von einem traurigen Ereignis ausgelöst sein, sie setzt sich dann aber über das übliche Maß hinaus fort. Wenn jemand selbst ein Jahr nach dem Ereignis immer noch stark unter "Traurigkeit" leidet, kann man von einer Depression ausgehen. Zu einer Depression kommen dann noch ganz bestimmte destruktive Gedanken (zum Beispiel: "Ich halte den Verlust der geliebten Person nicht aus" oder "Ich bin einsam, weil ich ein Versager und nichts wert bin"). Ein typisches Symptom ist auch ein ständiges Grübeln über Situationen, die man nicht ändern kann (zum Beispiel ob man womöglich eine Trennung hätte vermeiden können).
Nur ist es so, dass man diese Symptome von außen nicht immer erkennen kann. Das hängt sehr stark vom Charakter des Betroffenen ab. Manche Leute reden offen darüber, dann kann man es doch sehr gut erkennen. Andere fressen es in sich hinein oder isolieren sich von ihrem sozialen Umfeld. Dann kann man das als Außenstehender (egal ob Laie oder Profi) nicht erkennen.
Trauer ist in Phasen eingeteilt und wenn eine dieser Phasen nicht überwunden wird, dann hast du ein Problem.
Ich selbst hab es miterleben müssen bei der Mutter meines damaligen Freundes. Nach dem Tod des Vaters konnte die Frau nur noch mit Faustan schlafen und "funktionieren". Sie hatte den Verlust nicht überwinden können. Bei Tieren, gerade Vögeln, hört man das ja oft: Stirbt der eine, folgt der andere.
Nichts macht mehr Spaß, alles scheint sinnlos. Wie gesagt, wenn diese Phase länger dauert als "normal", dann kann das arg böse werden. Bei Traurigkeit ist es ähnlich. Wenn dir immer wieder zum Heulen zumute ist und nichts Positives mehr wahrnehmen kannst, dann sollte man der Sache auf den Grund gehen. Ganz schlimm trifft es Leute, denen der wahre Grund nicht klar ist. Irgendwas aus der Kindheit, das plötzlich wieder vorkommt, oder ein anderes Ereignis, dessen Schatten alles überdeckt.
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