Welche Beweggründe einen Psychologen aufzusuchen?
Heutzutage hört man sehr oft, dass irgendjemand zum einem Psychologen geht. Fast jeder, den ich kenne, war schon einmal bei einem Psychologen oder einer Psychologin in Behandlung. Aber keiner will so recht darüber reden. Bei meiner Freundin weiß ich, dass sie irgendein Trauma aus ihrer Kindheit zu bewältigen hat. Sie ist wohl adoptiert von ihren Eltern und was davor geschah kann sie nicht richtig verarbeiten oder konnte es nicht richtig verarbeiten.
Aber warum gehen heutzutage so viele Leute zu einem Psychologen? Ich habe mal gehört, dass die Wartelisten bei einem Psychologen so lang sind, dass man fast ein Jahr auf einen Termin warten muss um die Therapie zu beginnen. Aber meist muss man ja so einen Termin auch schneller haben.
Könnt ihr mir Beweggründe nennen, warum man einen Psychologen aufsucht und warum so viele Menschen in psychologischer Behandlung sind?
Die Gründe einen Psychologen aufzusuchen sind mit Sicherheit genauso zahlreich, wie die Menschen selber. Ich war als Schülerin selber bei einem Psychologen. Wegen "Anpassungsschwierigkeiten". Und das nur, weil mein Klassenlehrer der Meinung war, dass meine Probleme mit meinen Klassenkameraden nur an mir lag. Und auch der Schulpsychologe hielt es für unnormal, dass ich mich besser mit Mädchen und Jungen verstand, die in den Klassen über mir waren. Aber, dass ich mich mit denen besser verstanden hatte, war ganz einfach: Die haben mich nicht wegen meiner Hobbys und meinem Musikgeschmack gemobbt. Es wurde also sehr viel Geld für nichts, denn der Psychologe, an den mich unser Schulpsychologe verwiesen hatte, konnte mir nicht helfen, denn ich war damals schon zu starrsinnig, mich selber zu verleugnen, nur um den Anderen zu gefallen!
Wie du selbst schon am Beispiel deiner Freundin festgestellt hat, sucht man einen Psychologen dann auf, wenn man ein seelisches Problem hat, das man allein nicht bewältigen bzw. verarbeiten kann. Der große Vorteil liegt darin, dass ein Psychologe an die Probleme seines Patienten ganz anders als beispielsweise die Eltern heran geht, weil er zum einen den Blick eines Außenstehenden hat und nicht in die Problematik involviert ist und zum anderen, weil er auf fundierte Weise helfen und Veränderungsprozesse anstoßen kann.
Dass über den Besuch beim Psychologen niemand reden will, liegt m.E. an zweierlei Faktoren. Erstens ist die psychologische Behandlung gesellschaftlich nicht besonders hoch angesehen. Wer psychologische Hilfe in Anspruch nimmt, bekommt doch recht schnell den Stempel aufgedrückt, "verrückt" zu sein. Niemand möchte, dass über ihn gesagt wird, er ginge zum "Seelenklempner", weil er "nicht ganz richtig im Kopf" sei. Also behält man es doch eher für sich, wenn man einen Psychologen aufsucht. Zweitens ist die Behandlung immer eine Sache zwischen dem Patienten und seinem Mediziner. Genauso wenig wie man in allen Einzelheiten die Behandlung einer körperlichen Erkrankung berichtet, tut man es auch nicht, wenn man eine seelische Erkrankung behandeln lässt. Oder würdest du deinem Gegenüber in aller Ausführlichkeit die Sorgen mit einem eingewachsenen Zehnagel oder mit der Entfernung eines Weisheitszahns darlegen?
Die Gründe dafür, dass immer mehr Menschen therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, sind wohl auch in der Gesellschaft zu suchen. Der Leistungsdruck auf den Einzelnen wird scheinbar immer stärker, weil immer mehr von ihm erwartet wird. Der Schüler hat immer schlechtere Berufschancen, wenn er nicht das Abitur anstrebt. Der Arbeiter oder Angestellte wird immer austauschbarer. Er bangt um seinen Job und schiebt deshalb "freiwillig" unbezahlte Überstunden. Jeder ist sich selbst der Nächste und braucht daher auch kaum auf ein offenes Ohr seiner Mitmenschen zu hoffen. Der Psychologe hingegen wird (salopp gesagt) fürs Zuhören und Ratgeben bezahlt und nimmt sich daher gern der Sorgen seines Patienten an.
In Amerika ist es ja ziemlich schick, einen Psychologen zu konsultieren und man ist dort wohl out, wenn man es nicht tut. Von hier kenne ich das eigentlich nicht so, dass jeder wegen jedem kleinen Problemchen zum Psychologen rennt. Ich denke, man sollte sich auch zunächst mal selber mit einem Problem auseinander setzen und versuchen es zu lösen und etwas zu ändern. Das ist allerdings unbequem und ich kann mir vorstellen, dass manche Menschen lieber zum Psychologen gehen und sich von dem Lösungen erwarten, statt selber nachzudenken.
Aber natürlich gibt es auch Situationen und Probleme, bei denen man dringend Hilfe von außen braucht. In meinem Umfeld kenne ich Personen mit Depressionen, einer Krankheit, die man nicht einfach mit Nachdenken heilen kann. Da ist die Hilfe eines Psychologen bzw. Psychiaters unabdingbar. Auch wenn jemand ein Trauma erlitten hat, ob nun durch ein einmaliges schreckliches Ereignis oder durch eine schlimme Zeit in der Kindheit, sollte er sich nicht schämen, einen Psychologen in Anspruch zu nehmen. Manche Menschen werden auch mit dem heutigen Leistungsdruck nicht fertig, wie Doreen schon sagte. Dies zieht psychische Erkrankungen wie zum Beispiel Burnout nach sich, die von einem Psychologen behandelt werden sollten.
Beweggründe gibt es sicherlich viele. Ich könnte mir vorstellen dass natürlich in erster Linie es sich um Menschen handelt die psychisch auffällig sind oder meinen es zu sein. Dann gibt es sicherlich noch eine Gruppe die meint dass es in ist wenn man regelmäßig zum Psychologen geht. Vielleicht gibt es auch Leute die einfach nur einmal mit jemanden über ihre Probleme reden möchten oder sicher gehen wollen dass man ihnen auch zuhört. Viele brauchen auch solche Gespräche wenn sie bestimmte Ereignisse in ihrem Leben nicht selber verarbeiten können.
Die Tätigkeitsfelder der Psychologen sind ja auch recht vielfältig. Bestimmte Zwangshandlungen und Neurosen kann man ja auch fast nur mit Hilfe eines Psychologen zumindest ansatzweise unter Kontrolle bringen beziehungsweise sie zu verstehen lernen. Mobbingopfer sind sicherlich auch häufig dort anzutreffen und ich könnte mir auch vorstellen dass inzwischen viele Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer dort hin schicken wenn es im Beruf zu traumatischen Ereignissen kommen kann. Ich denke da nur an das Rettungswesen oder die Polizei. Nicht umsonst befinden sich bei Naturkatastrophen und Amokläufen auch immer Psychologen mit vor Ort. Das Grauen was man dort antrifft kann nicht jeder so einfach wegstecken, vor allem wenn es einen völlig unvorbereitet trifft.
Doreen82 hat geschrieben:Die Gründe dafür, dass immer mehr Menschen therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, sind wohl auch in der Gesellschaft zu suchen. Der Leistungsdruck auf den Einzelnen wird scheinbar immer stärker, weil immer mehr von ihm erwartet wird. Der Schüler hat immer schlechtere Berufschancen, wenn er nicht das Abitur anstrebt. Der Arbeiter oder Angestellte wird immer austauschbarer. Er bangt um seinen Job und schiebt deshalb "freiwillig" unbezahlte Überstunden. Jeder ist sich selbst der Nächste und braucht daher auch kaum auf ein offenes Ohr seiner Mitmenschen zu hoffen. Der Psychologe hingegen wird (salopp gesagt) fürs Zuhören und Ratgeben bezahlt und nimmt sich daher gern der Sorgen seines Patienten an.
Da stimmte ich dir auf alle Fälle zu und ich denke auch, dass viele Leute einen Psychologen aufsuchen, weil der Leistungsdruck heutzutage zu groß ist. Allerdings denke ich auch, dass heutzutage generell sehr viel schneller Ärzte (und auch Psychologen) aufgesucht werden. Sogar viele Kinder nehmen bereits therapeutische Hilfe in Anspruch. Früher hat man oft einfach gesagt, dass ein Kind eben "aufgekratzt und hibbelig" ist, heute hat es eben ADS oder ADHS. Früher wäre man eher gar nicht auf die Idee gekommen, dass es sich hierbei um eine Krankheit handeln könnte oder es gab nicht mal einen Namen dafür. Auch früher waren Leute schon (salopp gesagt) überarbeitet, heute haben sie "Burnout".
Ich halte grundsätzlich nicht viel davon, wegen jeder Kleinigkeit gleich zum Arzt bzw. zum Psychologen zu rennen. Natürlich ist es für einige die einzige Möglichkeit, das Leben wieder in den Griff zu bekommen und dann ist es natürlich richtig, sich professionelle Hilfe zu holen, aber wenn ich mitbekomme, weswegen manche zum Psychologen gehen, kann ich nur den Kopf schütteln. Im übrigen kann ich aus meinem Bekanntenkreis auch nicht sagen, dass es keinen geben würde, der noch nie beim Psychologen war. Im Gegenteil, es ist eher die Ausnahme.
Ich selbst habe vor zwei Jahren ebenfalls eine Psychologin aufgesucht und kann Dir sagen, dass bei mir eine kurzzeitige Störung aufgetreten ist, die nicht dauerhaft bleibt und nichts weiter mit sich bringt, als dass ich das, was mir in meinem Leben passiert, nicht immer sofort zeitnah verarbeiten kann, sondern Schwierigkeiten habe, mich auf diese neuen Situationen einzustellen, vieles Unverarbeitete mit mir herumtrage und irgendwann irgendwelche körperlichen Symptome für Krankheiten zeige, die ich organisch aber gar nicht habe.
Angefangen hat es damit zu eben dieser Zeit in meinem vorigen Job, weil es mir in diesem Unternehmen alles andere als gut ging. Damals stürzte alles mögliche auf mich ein und ich habe versucht, mich davon nicht unterkriegen zu lassen, mich zusammenzureißen und nach dem Motto „Augen zu und durch“ weiterzumachen. Ich dachte auch, dass das ganz gut klappt, bis ich irgendwann ein Herzstolpern bemerkte, das mir echt Angst gemacht hat. Irgendwann kamen schreckliche Magenschmerzen dazu und ich suchte meinen Hausarzt auf, der mich direkt gründlich untersucht hat und dann, nachdem er feststellen konnte, dass ich weder am Herzen noch am Magen etwas habe, den Stein der Psychotherapie ins Rollen gebracht hat, weil er mich direkt nach seinen Untersuchungen und dem negativen Ergebnis darauf angesprochen hat, ob es mir in der Arbeit eigentlich gut geht.
Weshalb heutzutage so viele Menschen in psychotherapeutischer Behandlung sind, hängt sicherlich mit vielen verschiedenen Faktoren zusammen. Zum einen spricht man darüber heute vermutlich einfach offener als man das noch vor wenigen Jahrzehnten getan hat. Auch heute noch kann man vor allen in ländlicheren Gegenden nicht selten feststellen, dass die Aussage, man mache eine Psychotherapie, häufig damit gleichgesetzt wird, dass man wohl ein bisschen meschugge sei, was natürlich Humbug ist. Der andere Aspekt ist, dass die Zeit einfach einen enormen Wandel erfahren hat und man heutzutage nicht sehr selten unheimlich viel und lange arbeiten muss, jede Menge Stress und Druck bekommt und viele dieser Erwartungshaltung ihrer Vorgesetzten einfach nicht gerecht werden können. Das führt wiederum nicht selten zu einer Belastungsproblematik, die sich irgendwie entlädt, sei es nun im Rahmen eines Burnouts oder eben mit einer ähnlichen Störung wie ich sie hatte.
Der Grund, einen Psychologen aufzusuchen, liegt also zusammenfassend sicherlich darin, dass man mit gewissen Umständen in seinem Leben selbst einfach nicht mehr klarkommt und den Blick für das Wesentliche und somit auch für das, was man tun kann, um sich selbst zu entlasten, verloren hat. Der Psychologe hilft einem beim Sortieren und beim Erkennen, damit man sich am Ende selbst helfen kann, also ist sein Dasein doch absolut berechtigt. Außerdem meine ich, dass es überhaupt nichts mit irgendwelchen Trends aus Amerika zu tun hat, dass man heutzutage eher zu einem Psychotherapeuten geht als noch vor wenigen Jahrzehnten. Heutzutage sind viele Menschen deutlich mehr auf sich allein gestellt und nicht umsonst ist häufig die Rede von einer Ellbogengesellschaft, in der wir leben. Es gibt eben wenig Miteinander, und allein das würde ich schon als Grund dafür sehen, dass man Hilfe bei der Bewältigung seiner psychischen Probleme heutzutage eben häufig nicht mehr über sein persönliches Umfeld erfährt, sondern durch den Gang zum Psychologen.
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