Jeder zweite in Deutschland ein Fall für den Psychologen?

vom 23.11.2011, 15:06 Uhr

Immer wieder hört man von "Burnout", "traumatisierte Kinder und Erwachsene", "Phobien", "Depressionen" usw. Kaum einer wird noch mit der Last des Alltags fertig. Die Psychologen sind überlastet und ein Termin ist kaum noch zu bekommen. Aber ich frage mich, warum so viele Menschen in Deutschland ein Fall für den Psychologen sind? Warum ist es gerade in Deutschland so schlimm? Neulich habe ich im Fernsehen gesehen, dass so ein Kuchendiagramm gezeigt wurde und da war Deutschland an erster Stelle mit psychischen Erkrankungen.

Es gab doch immer schon wirkliche Belastungen im Alltag. Wenn man an die Kriege denkt, die in der Welt stattgefunden haben und die auch deutsche alte Bürger miterlebt haben, dann war doch der Alltag früher mindestens genauso stressig und belastend wie der Alltag heute. Aber dennoch leben heute noch alte Leute, die den Krieg mitgemacht haben und trotz Trauma aber ohne Psychologe alt geworden sind. Sind die Menschen heute und hier in Deutschland nicht mehr so belastbar wie früher? Warum haben Psychologen Hochkonjunktur in Deutschland? Wie kann es sein, dass kaum noch jemand ohne psychologische Hilfe auskommt?

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge



Natürlich hatte man immer schon Belastungen. Gerade wenn man an die vergangenen Kriege denkt. Das muss doch wirklich sehr belastend gewesen sein für die Menschen damals. Ich denke, dass es einfach heute auch noch soweit gekommen ist, dass von einem Menschen viel mehr gefordert wird als damals. Überhaupt im Job muss man viel mehr leisten. Man hat auch mehr Existenzängste.

Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es früher einfach so war, dass die Psyche der Menschen nicht so erforscht war. Heute hat man doch mehr Erfahrungen und Burnout ist ja eigentlich ein Modewort und ist nichts anderes als eine Depression. Die hat es sicherlich auch damals schon gegeben. Ich denke aber nicht, dass die psychischen Probleme nur Deutschland betreffen. Auch hier in Österreich ist die Problematik groß. Ich glaube das wird aber sicherlich in der ganzen Welt so sein, zumindest in den weiter entwickelten Ländern.

» lisa1902 » Beiträge: 249 » Talkpoints: 0,08 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Gerade der Vergleich mit den älteren Generationen finde ich sehr interessant. Zur damaligen Zeit waren die Menschen deutlich genügsamer als heute. Die Familien waren noch sehr dicht beisammen. Die Aufgaben des Alltages wurden auf verschiedene Köpfe verteilt. So gab es die, die das Geld für die Familie erarbeitet haben, Zuständige für Ordnung, Haushalt und Kinder und mehrere Generationen, die anhand ihrer Fähigkeiten und Möglichkeiten geholfen haben. Heute sind die Ansprüche eines jeden Einzelnen so groß geworden, dass es oftmals nicht mehr ausreicht wenn Einer das Einkommen übernehmen soll. Viele haben sich von der Familie abgekapselt, da jeder heutzutage seinen eigenen Weg gehen möchte. Das hat natürlich zur Folge, dass man sich alleine um alle Aufgaben kümmern muss, die zur damaligen Zeit eben auf mehrere aus der Familie aufgeteilt wurden. Das führt meiner Meinung nach dazu, dass auch der Druck auf jeden Einzelnen steigt und man nicht mehr zur Ruhe kommt.

Ein weiterer Grund könnte sein, dass viele heute Versuchen einen Lebensplan zu entwickeln und sich unter Druck setzen, wenn dieser Plan ins Hintertreffen gerät. Dann fängt man an an sich zu zweifeln und vergleicht mit anderen bei denen der "eigene Plan" ungeplant zu funktionieren zu scheint und es fangen die Zweifel an, weshalb es bei anderen Klappt und man selbst nicht in der Lage ist, seinen Plan "durchzuziehen".

Ich denke, dass es noch viele weitere Ansätze gibt, die dieses erhöhte Aufkommen an psychischen Erkrankungen in unserer heutigen Gesellschaft erklären können.

» XBunny360 » Beiträge: 132 » Talkpoints: 7,30 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Damals war es doch eher ein Schandfleck, wenn man ein seelisches Problem hatte und sich zu einem Psychologen oder zu einem Psychiater gegangen ist. Gerade die Menschen, die zu Kriegszeiten gelebt haben und einiges durchgemacht haben, sind doch danach kaum noch froh geworden und haben meistens verdrängt, was gewesen ist, wollten darüber nicht reden und nur stichwortartig hat man da etwas mitbekommen. Heute sieht es anders aus, man redet auch darüber, was gewesen ist, wenngleich noch nicht alle so weit sind, ihr Verlebtes zu erzählen und ich weiß zum Beispiel auch, dass es schwerfällt, überhaupt danach zu fragen, obwohl es mich interessiert hat. Wie sollte man dann sich trauen, einem Psychologen oder von mir aus auch einem Gesprächstherapeuten sich anzuvertrauen? Das hat sich doch kaum einer gewagt. Wer weiß, wie viele Menschen an den Kriegserlebnissen innerlich eigentlich doch zerbrochen sind und dennoch weiter gelebt haben, und schon "irgendwie" damit klar gekommen sind?

Heute sieht es doch anders aus, es ist nicht mehr als etwas Schadhaftes anzusehen, wenn man sich Hilfe von außen sucht und sich anvertraut. Es ist doch besser, wenn man sich negative Ereignisse von der Seele reden kann, sich bei Depressionen und anderen seelischen Problemen Hilfe holt und nicht versucht, alles mit sich selbst auszumachen. Wenn dadurch Schlimmeres verhindert werden kann, finde ich es gar nicht schlimm, sich in die Hände einer Person zu begeben, bei der man sich professionelle Hilfe suchen kann. Dieser negative Beigeschmack ist einfach weniger geworden und man versucht es eben auf andere Art und Weise so damit zurecht zu kommen, als es noch zu Kriegszeiten der Fall gewesen ist. Man kann meiner ganz persönlichen Meinung nach diese Zeiten von damals und heute nicht mehr vergleichen, es sind andere Zeiten, es sind andere Voraussetzungen vorhanden, und es ist vor allem nicht mehr verpönt, sich aufgrund dessen in Behandlung zu begeben.

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» *steph* » Beiträge: 18439 » Talkpoints: 38,79 » Auszeichnung für 18000 Beiträge



Es war ja früher verpönt, wenn man psychisch krank war oder sogar eine Behinderung hatte. Es gab eine Zeit, da wurden solche Menschen in Anstalten gesteckt und vergessen, weil man sie für minderwertig gehalten hat. Ich schätze also mal, dass früher viele Menschen einfach nicht zugegeben haben, wenn sie psychische Probleme hatten und dafür natürlich dann auch keine ärztliche Hilfe in Anspruch genommen haben.

Meine Freundin ist Altenpflegerin und sie erzählt mir oft von alten Menschen, die gerade im Alter ihre ganzen Probleme aus der Jugend verarbeiten. Diese Menschen haben Kriege miterlebt und viele Zeiten, die sehr Entbehrungreich waren. So sang- und klanglos ist das nicht an diesen Menschen vorbei gegangen, viele können erst jetzt ihre Erinnerungen verarbeiten und diese seelische Belastung überhaupt ansprechen. Zu früheren Zeiten wäre das unmöglich gewesen, weil man oftmals als minderwertig dargestellt wurde, wenn man so etwas hatte.

Zudem gab es damals wohl solche Erkrankungen wie "Burnout" noch gar nicht, zumindest gab es dafür keinen Begriff. Heute aber gibt es viele psychische Erkrankungen, die gerade auf die moderne Zeit zurückzuführen sind. Das Burnout-Syndrom ist auch so eine Krankheit, welche uns die Moderne gebracht hat. Ich glaube nicht, dass heute die Menschen weniger belastbar sind als sie früher waren. Nur heute ist die Belastung eine andere, vieles geht heutzutage auf die Psyche eines Menschen zurück, was früher eher nicht so war. Der Druck, dem viele heute ausgesetzt sind, war früher auch nicht in der Form vorhanden. Und es ist heute auch nicht mehr verpönt zuzugeben, dass man depressiv ist, dass man psychisch betreut wird oder eine Gesprächstherapie macht. Heute gehört das dazu und wenn das jemand zu gibt, ist er deshalb kein Außenseiter mehr, so wie man es früher gewesen wäre.

Ich weiß nicht woran es liegt, dass offensichtlich Deutschland, laut deiner Aussage mit diesem Kuchendiagramm, die Liste der Länder anführt, die sehr viele psychologischen Erkrankungen haben. Vielleicht liegt das auch daran, dass man hier so eine Betreuung überhaupt hat und die Menschen diese in Anspruch nehmen. Der Druck ist in anderen Ländern sicherlich nicht geringer, aber möglicherweise geht man dort anders mit solchen Erkrankungen um. Es ist auch so, dass erst in den letzten Jahren psychische Krankheiten erstmal richtig ernst genommen werden, auch in Deutschland. Vorher wurde man oft für verrückt erklärt, wenn man bei seinem Arzt gesagt hat, dass man sich schlapp fühlt, dass man müde ist und dergleichen. Das wurde selten ernst genommen und man hat sehr selten einen psychischen Grund dafür gesehen. Das ist mittlerweile anders, denn den Ärzten ist auch klar geworden, dass psychische Erkrankungen ernstzunehmende Erkrankungen sind, die man behandeln muss.

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» Vampirin » Beiträge: 5979 » Talkpoints: 30,32 » Auszeichnung für 5000 Beiträge


Man kann wohl allgemeine tägliche Belastungen und Stress und ein Erleben des Kriegen nicht gleichsetzen. Alleine dieser Vergleich ist schon absurd und hat keinen Bezug zu dem eigentlich Thema. Kriegstraumata stehen doch auf einer ganz anderen Stufe, zumal sie zumindest in deinem Kontext keinen Bezug zur Gegenwart haben. Niemand der den Krieg mitbekommen hat, wird dies wohl einfach so weggesteckt haben, wie gesagt es ist etwas ganz anderes.

Das der Gang zum Psychologen so "boomt" hat meiner Meinung nach nur wenig mit der heutigen Zeit zutun sondern damit, dass dieses Angebot einfach da ist und psychische Krankheiten oder auch einfach Unstimmigkeiten viel mehr akzeptiert werden, wie noch vor 30 Jahren. Dazu kommt dann auch noch, dass es viele neue Krankheiten gibt oder diese schon immer bestanden und man jetzt nur einen Namen dafür hat, wie das Beispiel von einem Burnout.

Eine weitere Erklärung ist und wäre sicherlich auch, dass viele Krankheiten oder psychische Probleme viel ernster genommen werden, da sie jetzt einen Namen haben. Die Übertreibung normal zu sein ist bei vielen so gefestigt, dass alles was von der Norm abweicht direkt schlimm und fatal ist. Dies muss natürlich sofort behandelt werden, dass die Ursache vielleicht ganz banal ist und sich von alleine beheben lässt muss einem dann erst eine ausgebildete Fachkraft sagen, damit man etwas unternimmt.

Was mir auch sehr positiv aufgefallen ist, dass viele psychische Krankheiten mittlerweile einfach intensiver und damit länger behandelt werden. Dies nimmt natürlich auch einen gewissen Platz in Anspruch, welcher dann neuen Patienten fehlt. Dazu kommt sicherlich, dass die Krankenkassen viel mehr übernehmen als früher, da diverse Krankheiten einfach als solche auch anerkannt wurden, dadurch hat der Einzelne viel mehr Möglichkeiten sich behandeln zu lassen.

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» beere » Beiträge: 1325 » Talkpoints: 0,93 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ich denke einmal, dass es auch etwas übertrieben in den Medien dargestellt wird. Der Psychologe wird ja in manchen Fällen auch schon mal als eine Art Familienberater oder sogar Schuldnerberater genutzt. Die meisten Probleme haben in der heutigen Zeit auch nicht immer nur einen psychischen Ursprung. Nur daran wird eben in erster Linie nicht gedacht und hier fängt dann schon das eigentliche Problem an.

Leider sind manche Psychologen mit ihrer Arbeit schon völlig überfordert, weil sie den Patientenansturm nicht mehr gerecht werden können. Fehlbehandlungen oder eben auch die sogenannten Dauerbehandlungen sind dann die Folge. So gesehen kann sich dann schnell die genannte Zahl bilden oder eben so entstehen. Es entsteht damit ein Kreislauf zwischen den behandelnden Arzt und den Patienten.

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» karlchen66 » Beiträge: 3563 » Talkpoints: 51,03 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



@Diamante, du wirst Recht haben, dass die Menschen kaum noch belastbar sind. Die Menschen von denen du sprichst, die den Krieg mitgemacht haben, waren belastbarer, weil sie einfach durch mussten. Entweder sie gingen unter, oder sie taten alles dafür, um zu überleben. Sie waren auf sich angewiesen, denn jeder hatte mit sich selbst zu tun. Sie mussten sich selbst helfen, auch wenn es manchmal unmenschlich war, was sie geleistet haben.

Heute wird es allen zu leicht gemacht. Wenn sie ein Wehwechen haben, ist der Onkel Doktor da. Haben sie zu viel tun, bekommen sie ein Burnout-Syndrom. Also wieder mal zum Onkel Doktor. Wer von den Menschen während der Kriege hatte Zeit, über solch eine Überarbeitung nachzudenken? Es war halt so und wurde auch wieder besser. Und heute haben viele dieses Burnout, die in Wahrheit gar nicht wissen, was es eigentlich ist. Der Nachbar hat es, also muss es das bei ihnen auch sein. Phobien gab es immer und Depressionen auch. Heute wird alles viel ernster genommen. Während des Krieges fehlte einfach die Zeit, darüber nachzudenken. Die Psychologen sind heute so überarbeitet, dass sie sehr lange Wartezeiten haben und bald so weit sind, dass sie selbst Hilfe benötigen. Ich will aber nicht damit sagen, dass es nicht viele psychisch kranke Menschen gibt, denen auf jeden Fall geholfen werden muss. Aber was nützt es, wenn keine Termine frei sind, um den dringenden Fällen zu helfen?

Ich war noch nie in Amerika. Aber dort ist es wohl auch üblich, dass man stets den Psychologen um Rat fragt. Es kann sein, dass alles von Amerika rübergeschwappt ist, wie so vieles andere auch. Denn früher gab es das in Deutschland so nicht. Habe ich jedenfalls nie gelesen.

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge


Ich würde Cid weitestgehend zustimmen. Damit will ich nicht sagen, dass man nicht zum Psychologen gehen sollte, schließlich muss das auch jeder selbst für sich entscheiden, aber manchmal halte ich es einfach für überflüssig. Aber es ist natürlich richtig, wenn man sich mit ernsthaften Problemen an einen Psychologen wendet. Für jeden Menschen sind Probleme aber unterschiedlich schlimm. Der eine kommt mit etwas klar, der andere schon nicht mehr.

Ich habe es vor ein paar Tagen bereits in einem anderen Beitrag geschrieben: Früher war ein Kind einfach nur "hibbelig", heutzutage hat es ADS oder ADHS. Früher war man überarbeitet, heute ist es Burnout. Heute gibt es eben Namen und Krankheiten für viele Phänomene, die es früher auch schon gab, aber anders beurteilt wurden.

Wenn es dann durch die Medien und auch im Bekanntenkreis immer wieder zur Sprache kommt, dass Person XY wegen Burnout oder anderen Dingen in psychologischer Behandlung ist, kann ich mir schon vorstellen, dass einige Leute manchmal etwas voreilig zum Arzt oder Psychologen gehen, weil sie denken, dass es ihnen genauso geht, auch wenn es wirklich vielleicht mal nur eine kurzfristige Überarbeitung ist, die auch wieder vorbeigeht.

» SuperGrobi » Beiträge: 3876 » Talkpoints: 3,22 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


@Diamante, es würde mich interessieren, wie du die Situation heute beurteilst, nachdem inzwischen 1 ¼ Jahr vergangen sind. Glaubst du, dass der Trend zum Psychologen aufgrund der diversen Krankheiten (?) zugenommen hat, oder hat sich in dieser Richtung etwas getan. Ich meine, dass die Menschen auch mal versuchen nachzudenken und sich selbst helfen? Hast du da einen Überblick?

» Cid » Beiträge: 20027 » Talkpoints: -1,03 » Auszeichnung für 20000 Beiträge


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