Kurzfristige Vollbeschäftigung in Deutschland?
Alles spricht vom großen Konjunkturaufschwung in Deutschland. Die Arbeitsmarktdaten vermelden fast im Tagesrhythmus neue und bisher so gut wie nie da gewesene rekordverdächtige Kennzahlen. Das Wort vom Fachkräftemangel macht ja schon geraume Zeit die Runde, gerade Zeitfirmen würden angeblich alles einstellen, was noch einigermaßen ein Werkzeug in den Händen halten kann. Nun lehnen sich mehrere Arbeitsmarktforscher und auch Institute sogar schon so weit aus dem Fenster, dass sie eine Vollbeschäftigung in Deutschland innerhalb der nächsten 5 Jahre prophezeien.
Nun müsste man sicherlich erst einmal Vollbeschäftigung definieren, in „Fachkreisen“ spricht man jedoch bei Erreichen einer Arbeitslosenzahl von 2 Millionen von Vollbeschäftigung. Von daher möchte ich gern einmal in die Forum-Runde folgende Fragen stellen: Glaubt ihr kurzfristig an eine Vollbeschäftigung in Deutschland? Meint ihr die Statistiken werden so lange schön frisiert bis es passt? Schließlich werden ja alle Arbeitslosen die sich einer „arbeitsmarktpolitischen Maßnahme“ erfreuen, geringfügig Beschäftigte oder auch 1 Euro-Jobber und sicherlich noch ein paar mehr, statistisch nicht erfasst. Was glaubt ihr - gerade in Anbetracht der erwünschten Zuwanderung nach Deutschland - wohin in Punkto Lohnentwicklung in den nächsten Jahren die Reise hingeht?
Neben der Schönrechnerei, durch die man es schafft, die wahre Situation klein zu rechnen, muss man sich mal anschauen, was das für neue Jobs sind, die da so entstehen. Mehr als die Hälfte ist Leiharbeit, ca. 20% sind "atypisch" und nur ca. ein Viertel normale Beschäftigung. Gerade der Leiharbeitsbereich wuchert. Die normale Beschäftigung stagniert.
D. h. immer mehr Arbeitnehmer übernehmen ökonomische Risiken ohne Kündigungsschutz. Leiharbeiter unterliegen auch nicht den Tarifverträgen der Unternehmen, an die sie verliehen werden. Resultat ist, dass ein Leiharbieter nur ca. die Hälfte des Vollzeitbeschäftigen verdient (natürlich im Schnitt). Und der Lohnabstand wächst. Und da wächst auch der Teil von Leiharbeitern, die von der Arbeit gar nicht mehr leben können und auf Hartz IV angewiesen sind. Das sind die Aufstocker - ein Unding. So etwas dürfte es gar nicht geben. Nur ein kleiner Teil der Leiharbeiter gelangen durch die Jobs in reguläre Beschäftigung. Soweit ich mich erinnere, waren das unter 10%. Das machen übrigens die Franzosen total anders, aber das ist ein anderes Thema. Und dann gibt es noch diese ganzen Minijobber, Zahlen stark steigend. Ca. jeder 5. Job ist ein Minijob. Das machen mehr Frauen als Männer und in diesem Bereich breitet sich Armut ganz besonders aus. Denn leider sind die Geringverdiener immer öfter Alleinverdiener. Das sind längst nicht mehr nur "Nebenjobs" aus Spaß und Laune..
Der gesamte Niedriglohnsektor wuchert jedoch und drückt natürlich auf das Lohnniveau für alle. Das war so politisch gewollt. Nur so war das Lohndumping in der Eurozone für Deutschland möglich. Unternehmen mischen da mit und verlagern durchaus auch Arbeitsplätze ins Ausland, bzw. drohen ständig damit (v. a. die großen Unternehmen im DAX-Bereich). Das geht seit ca. 2000 so. Hier haben wir seitdem in Deutschland eine negative Lohnentwicklung (ca. 3%). Verlierer sind besonders die fünf unteren von 10 Einkommensgruppen und hier besonders die untere Mittelschicht (Verkäufer, Frisöre, Sicherheitsdienste). Innerhalb der Alt-EU hat Deutschland seit 2000 die mieseste Lohnentwicklung, katastrophal, was da passiert ist.
Folge: Die Nachfrage deutscher Haushalte nach Importen ist gesunken, es fehlt das Geld. Da wir aber hohe Exportüberschüsse haben (Stichwort: Exportweltmeister), ist der Euro-Außenkurs enorm hoch und schädigt die Exporte der ärmeren EU-Partner in Nicht EU-Räume. Griechenland war da noch ein winziges Problem. Auch ggü. Frankreich, Spanien und Italien wachsen die Probleme. Alles die Folge deutscher Niedriglohnpolitik, verstärkt durch Immobilien-, bzw. Banken-, heute Schuldenkrise.
Und wie das weitergeht? Es sieht nicht danach aus, als würde irgendjemand diese Probleme erkennen und angehen. Im Gegenteil, wir empfehlen jetzt anderen Ländern eine Sparpolitik, wie wir sie getrieben haben. D. h. der Lohndruck nach unten wird sich überall verstärken. In Europa ist jetzt absehbar, dass das Wachstum in weiten Teilen einbricht, das zeigen die Zahlen jetzt schon. Noch sind die Auftragsbücher bei uns gefüllt, aber wenn unser größter Kunde, die EU nicht mehr kauft, weil sie sparen sollen, was wird dann wohl hier passieren? Eine Binnenkonjunktur gibt es hier ohnehin kaum. Und auch die USA scheinen als Motor auszufallen.
Üblicherweise laufen solche Katastrophen so ab: Erst die Immobilien- und Bankenkrise, die Banken werden von Staaten gerettet. Die haben nun die Schulden der Banken übernommen. Die sind unfähig, die wahren Ursachen der Probleme anzugehen. Folge: Die Schulden schaden den Staaten und die drohen unter der Schuldenlast zu ersticken. Was tun? Sparen, sparen, sparen und das natürlich v. a. bei den ohnehin Schwachen. Auf die Idee, die Einnahmeseite zu verbessern, kommt keiner (schließlich wäre genug Geld vorhanden). Folge: Soziale Unruhen. In diesen Prozess wandern wir so langsam rein. Mögliche Folge: Das Aufkommen extremer politischer Akteure und zunehmende staatliche Repression. Lösbar ist das Problem am Ende eigentlich nur noch durch staatliche Enteignungen, wie z. B. Zwangshypotheken. Irgendwer zahlt die Zeche, so viel ist klar und erfahrungsgemäß ist das die Masse. Kein schöner Blick in die Zukunft.
Ich sehe weder einen Aufschwung noch eine nahende Vollbeschäftigung. Statistiker scheinen hingegen ausgelastet zu sein. Zu überarbeitet um ihre eigenen Statistiken auswerten zu können? Es stimmt wohl, dass vor den Jobcentern immer mehr arbeitende Menschen warten, Ein-Euro-Jobber, Teilzeitbeschäftigte im Niedriglohnsektor, Minijobber, Leute in irgendwelchen Beschäftigungsmaßnahmen, sowie einige Selbstständige.
Auch bietet das Schulsystem diverse Möglichkeiten nicht arbeitslos zu sein und sich anderweitig zu finanzieren. Auch jeder der aktuell krank geschrieben ist, in Mutterschutz, usw. zählt nicht zu den Arbeitslosen. Der Lohn ist abhängig von dem, was die Leute zu zahlen bereit sind. In Zeiten, wo alles immer billiger sein muss, denke ich nicht, dass die Löhne steigen können.
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