Eine Notlösung studieren?

vom 04.07.2011, 07:48 Uhr

Ich weiß, dass hier schon des Öfteren nach verschiedenen Studiengängen gefragt wurde und auch konkret danach, ob man bestimmte Studiengänge wählen sollte, obwohl sie nicht unbedingt der persönlichen Neigung entsprechen, aber in beruflicher Hinsicht vielleicht sinnvoll wären.

Neulich habe ich mich mit Chef unterhalten, der mich fragte, weshalb ich nicht Jura studiert hätte und dass ich dann hätte bei ihm einsteigen können. Ich erklärte ihm daraufhin, dass ich etwas ganz anderes studiert hätte, wenn ich denn überhaupt das Abitur hätte, was, wie er eigentlich wissen müsste, nicht der Fall ist. Zunächst habe ich mich kurz darüber geärgert, dass ich ihm so durch die Blume zu verstehen gegeben haben könnte, dass mich das Fach, mit dem ich jetzt konfrontiert bin, nicht interessiert, dabei stimmt das nicht einmal. Aber glücklicherweise hat das Gespräch eine andere Wendung genommen.

Mein Chef erzählte mir daraufhin, dass er einmal ein oder zwei Semester lang Kunstgeschichte studiert habe und sein Traumberuf eigentlich Steuerberater gewesen wäre, wofür er damals aber laut eigener Aussage einen Abiturschnitt von 1,5 hätte haben müssen, den er aber leider nicht vorweisen konnte. Jura sei für ihn eine Notlösung gewesen, sagte er, interessiert habe ihn das weniger, aber es war eine Möglichkeit. Und dann sei er ausgerechnet in dem Fach, das ihn am wenigsten interessierte, auch noch am besten gewesen, weswegen er sich auch auf dieses Fach ausgerichtet habe und in diesem Bereich nun hauptsächlich tätig ist.

Ich fand diese Erzählung deshalb erstaunlich, weil ich meine, dass es eher selten vorkommt, dass jemand eine Notlösung studiert und dann auch noch in dem Fach, das ihn am wenigsten interessiert und reizt, die besten Arbeiten abliefert. Früher hatte ich immer das Ideal, nur das bei vorhandenem Abitur studieren zu wollen, was mich auch wirklich interessiert. Die Berufsaussichten meines Wunschstudiums waren mir zur damaligen Zeit eher sekundär wichtig, weil es mir mehr um meine Überzeugung ging. Heute sehe ich das zwar etwas anders, aber nicht grundlegend – eine Notlösung zu studieren, würde für mich immer noch nicht in Frage kommen.

Wie seht Ihr das? Würdet Ihr einen Studiengang wählen, der Euch eigentlich weder interessiert noch vermutlich liegen könnte? Und könnt Ihr Euch vorstellen, mit genügend Ehrgeiz an diese Notlösung heranzugehen, um auch noch sehr gute Arbeiten abzuliefern? Oder käme für Euch die Notlösung wie für mich nicht in Frage? Kennt Ihr vielleicht jemanden, der auch zu so einer Notlösung gegriffen hat, vielleicht auch, weil er wegen eines zu schlechten Notendurchschnitts nicht seinen eigentlichen Wunschstudiengang wählen konnte? Falls ja, würde mich interessieren, wie erfolgreich der jeweilige Student in seinem Studium war und ob die Überzeugung für dieses Studium vielleicht sogar während des Studierens irgendwann kam.

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» moin! » Beiträge: 7218 » Talkpoints: 22,73 » Auszeichnung für 7000 Beiträge



Bei Jura geht es ja nur darum, Fachinhalte mehr oder wenige auswendig zu lernen und dann herunterzubeten. Ob man sich für die Inhalte interessiert oder nicht, ist beim Auswendiglernen egal, von daher kann man sicherlich auch in etwas gut sein, für das man sich nicht unbedingt begeistert.

Viele studieren aber auch nur ein oder zwei Semester irgendwas, um Wartesemester für das eigentliche Wunschstudium zu sammeln und dann – trotz schlechter Abinote – noch das Fach studieren zu können, was man eigentlich wollte. Zum Teil kann man sich dann die im anderen Fach verbrachten Semester später als Nebenfach anrechnen lassen oder als studium generale und was es da alles gibt. Das wäre also gar keine so sinnlose Variante.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich habe Abitur gemacht und es damals abgelehnt zu studieren, wofür ich mir heute in den Hintern beißen könnte. Ich wollte nach meinem Abschluss aber nicht mehr lernen sondern Geld verdienen und entschied mich dafür eine Ausbildung zu machen. Heute kann ich sagen, dass ich mal besser doch studiert hätte, den ich habe durchaus meinen Traumberuf, den ich aber jetzt nicht mehr lernen kann, weil ich dafür ein Studium absolvieren müsste, das in meinem Bundesland nicht angeboten wird. Da ich zwei Kinder habe und arbeiten muss, weil unser Haus bezahlt werden will, ist das nicht drin, wie man sich vorstellen kann.

Ein "Notstudium" würde ich nicht empfehlen. Erstens ist es furchtbar öde, wenn man für eine Sache arbeiten muss, die einen herzlich wenig interessiert, und zum andern ist man damit dann ja auch nicht wirklich glücklich. Zudem kann vielleicht jemand, der das wenig interessante Fach gerne studieren möchte, damit nicht anfangen, weil ein "Notstudent" einen ansonsten freien Platz belegt. Aber ich glaube, so sozial darf man wohl nicht denken.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich in dem, was mir Spaß macht, auch am besten bin. Man geht mit einem ganz anderen Lerneifer an die Sache heran und nimmt auch alles besser auf, weil man sich dafür schließlich interessiert. Fakten über einen Popstar, den man gut findet, behält man ja auch viel besser als welche über irgendwelche Opernsänger, die man sich nicht anhört.

Dass jemand ausgerechnet in einem zunächst abgelehnten Fach als besonders begabt herausstellt mag daran liegen, dass man seine Leidenschaft oder ein Interesse erst bei der Arbeit entdeckt. Aber so völlig ohne Hang zur Materie ist es ziemlich schwer, glaube ich.

» Thaddäus » Beiträge: 1011 » Talkpoints: 22,78 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Zitronengras hat geschrieben:Bei Jura geht es ja nur darum, Fachinhalte mehr oder wenige auswendig zu lernen und dann herunterzubeten.


Mit Auswendiglernen allein kommt man in Jura nicht weit. Recht muss man verstehen und anwenden können, alleine das Auswendiglernen bringt nicht allzu viel.

Generell könnte ich mir jedoch nicht vorstellen, eine Notlösung zu studieren. Wenn jedoch für einen bestimmten Studiengang der Notendurchschnitt nicht reicht und man wohl oder übel (erst mal) etwas anderes machen muss, handelt sich das ja quasi auch um eine Notlösung. Manchmal merkt man dann vielleicht doch, dass diese Notlösung unglaublich viel Spaß macht.

Dass man in Fächern, die einen nicht wirklich interessieren, besonders gut abschneidet, kommt öfter mal vor. Ein wenig ungewöhnlich ist es schon, denn wenn man sich für etwas nicht interessiert, beschäftigt man sich mit diesem Fach meistens auch weniger. Manchmal sind diese Fächer jedoch zwar langweilig, aber recht einfach, sodass man trotzdem gute Noten schreibt. Das kenne ich selbst aus der Schule noch. Da gab es auch Fächer, die ich überhaupt nicht mochte, in denen ich aber gut war.

» SuperGrobi » Beiträge: 3876 » Talkpoints: 3,22 » Auszeichnung für 3000 Beiträge



Menschen handeln ihren Interessen gemäß. Das ist in der Schule und natürlich auch beim Studium so. Das Wesen einer jeden Bildungsinstitution besteht darin, Wissen zu vermitteln, was wiederum mit Lernen verbunden ist. Lernen ist für das Überleben des Organismus' immanent wichtig. Und da das Hirn selektiv mit Informationen umgeht und nur Dinge gespeichert werden und bewusst als Wissen abrufbar sind, die vom Hirn als "überlebenswichtig" erachtet werden, lernt man Dinge, die einen nicht interessieren, sehr schwer.

Ich kann nur davon abraten, sich für ein Studium zu entscheiden, welches einen nicht interessiert. Das Studium besteht darin, dass man sich den Großteil des Stoffes selbst aneignen muss. Man beschäftigt sich viele Stunden in der Bibliothek mit Fachliteratur, liest verschiedenste Texte für Seminare und Vorlesungen und so weiter. Interessiert einen das Thema nicht, so werden die Jahre zur Qual. Insbesondere bei schweren Studiengängen wie Jura oder Medizin, bei denen man viele Jahre mit knackigem Selbststudium zubringt, ist Interesse am Fach notwendig.

Grundsätzlich ist ein Studium, egal welcher Art, zumeist einem Ausbildungsberuf vorzuziehen. Ob du in einem Studium, welches dich nicht interessiert, Erfolg haben wirst, ist schwer zu sagen. Es gibt ja den Spruch: "Ich bin immer dann am Besten, wenn es mir eigentlich egal ist.". Wenn du nicht der Typ dafür bist, rate ich nochmals von einem solchen Unterfangen ab.

Ein letzter Aspekt ist die Finanzierung, gekoppelt mit der Regelstudienzeit. Bei Aufnahme eines B-Studiums wird man irgendwann an den Punkt stoßen, von dem aus man andere Perspektiven, beispielsweise den Wechsel des Studienganges sieht. Dieser Wechsel geht innerhalb des Bachelor/Master-Systems und unter der Prämisse, dass man die Fachrichtung beibehält, unter Umständen recht leicht. Doch bei zusätzlichen Semestern, mit denen man die Regelstudienzeit überschreitet, ist die Folge, dass sich der Einstieg in den Arbeitsmarkt verzögert. Bafög-Ausfälle (was für dich ja sicherlich nicht zur Debatte steht) können die Folge sein; für mich wäre das sehr problematisch.

Nimm dir ein Jahr Zeit, um gezielt das zu suchen und zu finden, was du auch möchtest, bevor du deine Wahl bereust; immerhin musst du dein ganzes Leben damit beschäftigen, da du ja einen entsprechenden, mit dem Fach verbundenen Beruf ergreifen wirst. Hast du dein Studium von vornherein durchgeplant, zieh es so schnell wie möglich durch! Alles gute dabei für dich.

» Haltz92 » Beiträge: 17 » Talkpoints: 17,10 »


@ Haltz92: Es ging in der geschilderten Geschichte nicht um mich, sondern um meinen Chef, wie Dir sicherlich aufgefallen ist, ich trage mich also nicht mit dem Gedanken, selbst eine Notlösung zu studieren, sondern sagte, dass das für mich nicht in Betracht kommen würde. Ich stimme Dir auch in allen genannten Punkten zu und finde Deine Beratung generell recht gelungen, allerdings ging es wie gesagt in der Grundfragestellung nicht um mich selbst.

Du hast allerdings noch einen weiteren Aspekt aufgeworfen, den ich bisher tatsächlich unberücksichtigt gelassen hatte und der meiner Meinung auch wiederum dagegenspricht, eine Notlösung zu studieren: die Kosten für das Studium. Ich habe mich neulich erst näher mit einem Studium befasst, weil ich mittlerweile selbst konkreter darüber nachdenke, das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachzuholen und dann einen Studiengang zu belegen. Die Studiengebühren sind mit 540 Euro pro Semester nicht gerade gering, wie ich finde, und schon aus diesem Grunde würde ich sicherlich nicht etwas studieren, das mich nicht wirklich reizt und herausfordert, wenn ich meinen eigentlich gewünschten Studiengang nicht belegen könnte, weil ich die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfüllen kann.

Damals war das allerdings noch anders, denn zu den Zeiten, als mein Chef studiert hat, gab es diese Semestergebühren noch nicht. Damals konnte man also vermutlich deutlich leichter die Entscheidung für einen Studiengang treffen und musste sich wenigstens nicht durch horrende Studiengebühren davon abhalten lassen, sein Abitur als Grundlage für ein Studium zu nutzen.

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» moin! » Beiträge: 7218 » Talkpoints: 22,73 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


Es gibt ja auch nicht in allen Bundesländern Studiengebühren und man kann ja einfach z.B. in die neuen Bundesländer wechseln, wo eben keine Studiengebühren erhoben werden. Davon zu unterscheiden ist der Semesterbeitrag – den bezahlt man für die Leistungen des Studentenwerks (Mensen, Wohnheime) und für die Studententickets im Nahverkehr:

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »



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